Juli Zeh: „Treideln“ (Vorlesungen)
Die Geistervertreibung einer Schriftstellerin
Juli Zeh: „Treideln. Frankfurter Poetikvorlesungen“ (Vorlesungen)
Juli Zeh wehrte sich – könnte man meinen – mit Händen und Füssen, aber vor allen Dingen schriftlich, die renommierte Poetikvorlesung in Frankfurt anzunehmen. Was die Anfrage bei ihr ausgelöst hat, ist im Buch „Treideln“ nachzulesen. Als Anti-Poetik angekündigt, berichtet sie darin vom Schreiben und legt damit also keine Poetik des Geschriebenen vor. Herausgekommen ist Literatur: die E-Mail-Erzählung einer Schriftstellerin – fiktiv und wahr und sehr unterhaltend.
Von Jolanda Heller.
„Treideln“ ist keine Sammlung von Poetikvorlesungen. Juli Zehs erste Vorlesung im Sommersemester 2013 an der Goethe-Universität in Frankfurt sei vielmehr eine Lesung aus dem vier Tage zuvor erschienenen Buch „Treideln“ gewesen, so der FAZ-Redakteur Morten Freidel, aber trotzdem besuchenswert, fügt er an. „Treideln“ ist offen und sehr direkt und eine Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb, der Literaturkritik, der Germanistik, dem Deutschunterricht und vor allen Dingen mit sich selbst als Autorin und ihrem Verständnis von Literatur. Was „Treideln“ deshalb auf jeden Fall sein sollte: Pflichtlektüre in jedem Literatur-Grundstudium, für jeden Deutschlehrer und jede Deutschlehrerin und für alle, die sich für Literatur interessieren und ebenso für jene, die sich überhaupt nicht dafür interessieren.
„Treideln“ kommt von „Treicheln“
„Treideln“ ist eine Erzählung über das eigene Schreiben und ist zugleich Literatur. Fiktives, Konstruiertes vermischt sich mit Fakten, Eindrücken und Reflexionen. Diese Mischung gibt der Leserin den Blick frei auf das, was Literatur sein kann, und zwar auf eine so erfrischende Weise, dass man immer wieder hellauf lachen muss. Darf eine Poetik das? Eine Anti-Poetk sicherlich. Juli Zeh behindert das Lesen nicht durch viele Terminologien (die sind zwar auch vorhanden) und stellt den Autoren nicht als abgehobenen Übermenschen des Schreibens dar. Alle, die schreiben, wissen, wie hart dieser Akt manchmal sein kann, und denken, nur bei ihnen herrschten diese Kämpfe vor, bei Autoren und Autorinnen aber würden die Ideen und Geschichten fixfertig zu Papier gebracht. So erfahren wir, dass Juli Zeh für ihre eigenen Schreibkrisen den „Schreibsoldaten“ erfunden hat: „Der stellt keine Fragen und marschiert brav geradeaus. Den hole ich aus der Kiste, wenn ich unsicher werde. Wenn sich die bösen Fragen melden: Was mache ich hier überhaupt, ist das gut, und was würde Hubert Winkels dazu sagen?“
„Eine Treichel ist im Schweizerdeutschen eine Kuhglocke. In den längsten Nächten des Jahres treffen sich die Leute mit verschiedenen Glocken und Schellen und dann treicheln sie stundenlang in langsamem Gleichschritt die Gassen der Dörfer auf und ab, um böse Geister zu vertreiben. Treicheln würde ich auch gern: Schreiben als Geistervertreibung. Aber der Name ist nun leider schon an eine real existierende Person vergeben.“ Damit meint Zeh Hans-Ulrich Treichel, Autor und Literaturdozent in Leipzig, wo auch Juli Zeh ihr Schreibhandwerk gelernt hat. Anstelle von „Treicheln“ findet sie via Alphabet-Verschiebung den neuen Begriff „Treideln“. Daraus entsteht die Figur „Karl Treidel“, dem sie eine Identität zu geben versucht, mit ihm herumspielt und der schliesslich wieder stirbt, sterben muss. Genug getreidelt, auch wenn das Treideln damit nicht vorbei ist. Das Treideln ist das Verfahren, das der Schriftsteller anwendet, wenn er schreibt. Und einen Einblick in ihr Treideln gibt uns Juli Zeh mit diesem Buch.
Für Aphorismen nicht zu jung
Auch wenn Juli Zeh schreibt, sie sei zu jung für Aphorismen, und Mark Twain oder Thomas Mann ihr dann und wann zu Hilfe kommen müssen, ein paar schöne Aphorismen hält sie uns doch auch bereit – und einige werden vielleicht demnächst in einem Literaturkalender stehen: „Poetik ist, wenn man eine Schreibkrise hat.“ Literatur will stattfinden, „wo das Unsagbare, Unbeschreibbare, Unaussprechliche beginnt.“ „Das Peinliche des Schreibens entstammt der Peinlichkeit des Lebens selbst.“ „Jeder Autor lernt, im Nebenberuf sein eigener Lektor zu sein.“ „Schreiben ist die Literatur des Autors, während das Ergebnis die Literatur des Lesers ist.'“ Oder zum Abschluss ein längeres Zitat, das Sprach- und Literaturbegeisterte freuen wird: „Am Ende des Schreibens steht die Literatur, und in dieser drückt sich etwas anderes aus. Sie vermag Ähnliches wie die Musik: das Unsagbare, Unaussprechliche, nicht zu Beschreibende wahrnehmbar machen. Es aus der Welt nehmen und in die Welt setzen.“
Titel: Treideln
Autorin: Juli Zeh
Verlag: Schöffling & Co.
Seiten: 197
Richtpreis: CHF 27.40
Im Netz
Der FAZ-Artikel von Morten Freidel zu Juli Zehs Poetikvorlesung im Sommersemester 2013 an der Goethe-Universität Frankfurt:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/frankfurter-poetik-vorlesung-dauergast-in-der-ewigkeit-12219165.html#Drucken