„The Place Beyond the Pines“ von Derek Cianfrance
Wie der Vater, so gar nicht der Sohn
Zu viele Stars, um als Independentkino durchzugehen; zu außergewöhnlich für Mainstream-Popcorn-Kino. Derek Cianfrances „Autorenfilm“ The Place Beyond the Pines ist ein Experiment auf hohem Niveau und ein sehenswerter Film, auch wenn einen am Ende mehr Fragezeichen als Antworten aus dem Kinosaal begleiten.
von Karsten Senkbeil
Der Kinosommer war hart für die Superstars von gestern: Helden wie Will Smith und Tom Cruise, die in den 1990er Jahren in Actionklassikern die Welt retteten, um wenig später in intelligent erzählten Dramen schauspielerisches Talent zu beweisen, gingen diese Saison mit pseudo-intelligenten Science Fiction Blockbustern aber mal so richtig baden – und das vollkommen zurecht. Ausgestochen wurden sie von den neuen Superstars: Riesenrobotern aus der CGI-Werkstatt, die irgendwo im Pazifik rumkrawallen, kleinen gelben Tic-Tacs mit Latzhosen …. und eben zwei neuen Superstars, die sich mit Coolness, gutem Aussehen und zugegebenermaßen auch mit einer Menge Talent in der vordersten Reihe moderner Schauspielkunst etabliert haben: Ryan Gosling und Bradley Cooper.
Diese beiden Overachiever hat Regisseur und Drehbuchautor Derek Cianfrance in The Place Beyond the Pines für ein zuweilen spannendes, zuweilen tiefgründiges Drama, in dem es um die ganz großen Themen wie Vaterschaft, Moral und Verantwortung gehen soll, zusammengeführt. Besonders Gosling scheint für die Rolle des wortkargen, charakterstarken Einzelgängers mit psychologischer Tiefenschärfe prädestiniert zu sein. Derzeit spielt er eine ganz ähnliche Rolle in Only God Forgives, wie auch schon im Independent-Drama Drive, das wahlweise als modernes Noir-Arthouse-Kunstwerk gefeiert oder als unsäglicher Kitsch verrissen wurde.
The Place Beyond the Pines funktioniert ganz ähnlich und versucht relativ offensichtlich (man könnte auch sagen: etwas gekünstelt), sich vom Mainstream-Hollywood-Kino abzusetzen. Cianfrance bricht mit den Sehgewohnheiten des Publikums, indem er in zweieinhalb Stunden nicht eine, sondern drei Geschichten mit drei verschiedenen Protagonisten nacheinander erzählt. Der Held der ersten Episode, der von Gosling gespielte Stuntman Luke, der Banken ausraubt, um seinen Sohn zu unterstützen, stirbt ziemlich überraschend bei einer Schießerei; da sind gerade 50 Minuten des Films um. Die tödliche Kugel stammt aus der Waffe des Polizisten Avery (Bradley Cooper), um den sich die zweite Episode dreht. Geplagt von Schuldgefühlen, weil er mehr oder weniger aus Versehen den Vater eines Einjährigen erschossen hat, entwickelt sich Avery zum „white knight“, bringt korrupte Cops hinter Gitter und macht als Staatsanwalt Karriere. Die dritte Episode spielt 15 Jahre später und befasst sich mit den Söhnen der beiden Vorgenannten. Auch hier hat sich Cianfrance offensichtlich vorgenommen, sein Publikum unbedingt und mehrfach zu überraschen. Der Sohn des toten Bankräubers, der in relativer Armut aufwächst, entwickelt sich zu einem sympathischen, introvertierten Teenager. Sein Stiefvater ist, entgegen aller Hollywoodusancen, ein netter, fürsorglicher Kerl. Der sechzehnjährige Sohn des erfolgreichen, wohlhabenden Juristen Avery hingegen ist ein gewalttätiger, drogendealender Kotzbrocken. Ganz ohne Westentaschenpsychologie kommt Cianfrance hier nicht aus: der karriereorientierte Avery hat zu wenig Zeit für seinen Sohn, was bleibt diesem da anderes übrig, als über die Stränge zu schlagen?
The Place Beyond the Pines ist durchaus erfolgreich darin, Sympathie für die Schicksale seiner Charaktere zu entwickeln, auch basierend auf den schauspielerischen Leistungen der genannten Protagonisten. In Nebenrollen überzeugen Eva Mendes, ein wie gewohnt brillanter Ray Liotta in seiner Paraderolle als gefährlich blinzelnder Fiesling, und der recht unbekannte aber hervorragende Ben Mendelssohn als sympathischer, abgerockter Hillbilly, der den Fluchtwagen fährt. Die Motorradverfolgungsjagd nach einem Banküberfall wird ausgesprochen spannend und originell in Szene gesetzt, obwohl es sich hier um alles andere als einen Actionfilm handelt.
Das Storytelling gelingt jedoch nur in den ersten zwei Dritteln des Films; um im dritten Akt alle angefangenen Erzählstränge in der Generation der Söhne zu Ende zu führen, benötigt das Drehbuch einige ziemlich hanebüchene Zufälle und unmotivierte Entscheidungen der sechzehnjährigen Jungs. Cianfrance überspannt den emotionalen Bogen bis gefährlich an die Grenze zum Kitsch. Damit könnte man leben, ist einem doch zu diesem Zeitpunkt klar, dass der Film letztlich eine Allegorie auf die großen Fragen maskuliner Identitätsbildung sein soll. Was macht einen guten Vater aus? Welches Verhältnis von Ehrgeiz versus Moral ist gerade noch akzeptabel? Wie viel Verantwortung tragen wir für das Leben anderer? Die Fragen sind am Ende offensichtlich, Antworten jedoch bleibt der Film uns letztlich schuldig. So ist das Drehbuch gespickt mit bedeutungsschwangeren Szenen und tiefgründigen Blicken; mehrfach macht Cianfrance uns klar, dass er uns etwas ganz ganz ganz Wichtiges zu sagen hat. Leider wird am Ende nicht klar, was.