“Amphitryon und sein Doppelgänger“ nach Heinrich von Kleist | Schauspielhaus Zürich, Pfauen
Auch der Olymp ist öde ohne Liebe

Karin Henkels fünfte Regiearbeit am Schauspielhaus Zürich lässt existentielle Fragen in Klamauk und Komödie versinken. Ein überdrehtes Lustspiel, in dem mit Wurst und Worten um sich geworfen wird, ist die Folge.
Von Tamara Schuler.
Es waren wilde Zeiten, als sich die Götter noch auf diese Erde schlichen: Ein gelangweilter Jupiter vergnügt sich in der Gestalt Amphitryons mit dessen Frau Alkmene, während der eigentliche Gatte die Athener bekriegt. Der Betrug wird erst entdeckt, als Amphitryons Diener Sosias der Zutritt zu Alkmene verweigert und er brutal zusammen geschlagen wird – von sich selbst. Merkur, quasi als Wingman für Jupiter fungierend, hat Sosias’ Gestalt angenommen und sorgt dafür, dass das falsche Liebespaar nicht gestört wird. Als dann der echte Amphitryon vom Schlachtfeld nach Theben heimkehrt, ist die Verwirrung perfekt und ein jeder fragt sich: Wer bin ich denn nun eigentlich?
Tour de Force in Theben
Der Theatersaal im Pfauen füllt sich nur langsam. Ebenso schleppend beginnt auch das Stück selbst – und kommt bis zum Schluss nicht recht in die Gänge. Was anfangs noch witzig anmutet, wird bald komödiantisch: Sosiasse purzeln durcheinander, es wird hysterisch geschrien und gestritten, die zuweilen etwas zähen Sätze Kleists Mal um Mal wiederholt. Aller Respekt gehört hier den Schauspielern: Ein Rollenwechsel löst den nächsten ab; Jede und Jeder spielt praktisch jede Rolle, die dieses Stück hergibt. Hinzu kommt der Kleisterne, altmodisch-umständliche Text – eine wahrhaftige Tour de Force für Carolin Conrad, Lena Schwarz, Marie Rosa Tietjen, Fritz Fenne und Michael Neuenschwander, welche die Darsteller jedoch souverän meistern.
Merkur und die Mettwurst
Das Rollenkarussell dreht sich weiter, immer hektischer wechseln die Schauspieler Rollen und Kleider, was in einen regelrechten Requisiten-Reigen mündet (Kostüme: Klaus Bruns). Während die Amphitryone und Sosiasse streiten, wer denn nun wer sei, dreht Alkmene verständlicherweise durch, da sie nicht feststellen kann, welcher der beiden Herren denn nun ihr sterblicher Göttergatte ist. Als endlich das Austeilen von Namensschildern ein wenig Klarheit schafft, wird deutlich, dass da ein Schauspieler zu wenig ist – ein Aushilfs-Merkur muss her. Dieser wird flugs hergeschafft, isst Kohl und Wurst, während Alkmene im Akkord aus dem Fenster springt. Um das anhaltende Redegewirr wenigstens einmal zu durchbrechen, wird dann Musik eingespielt: Outkast singen “Hey ya“, während Jupiter fröhlich tanzt. Zum Schluss wird noch ein bisschen mit Wurst geschmissen, Jupiter klärt das ganze Trugspiel endlich auf und singt, von sphärischen Synthesizern unterstützt: “Heaven is a place where nothing happens.“ Na dann.
Und ew‘ge Nacht begrabe meine Schmach
Das vielleicht schönste Detail dieser Inszenierung, mit Sicherheit jedoch das schönste Detail des Bühnenbildes, sind die Schatten der Schauspieler, aufs Zehnfache vergrössert, die an den grauen Backsteinmauern tanzen (Bühne: Henrike Engel, Licht: Michel Güntert). Die Poesie, die durchaus auch in den tiefgründigen Fragen zu finden wäre und die Heinrich von Kleist in “Amphitryon und sein Doppelgänger“ aufwirft, fehlt in Karin Henkels Umsetzung leider gänzlich. Anstatt den Fragen nach Identität, Eigen- und Fremdwahrnehmung einen gebührenden Platz einzuräumen, gehen ebendiese zeitlosen Themen in all dem Klamauk und der Hysterie leider völlig unter.
Zwar schrieb Kleist dieses gesellschaftliche Lustspiel auf der Grundlage einer Komödie Molières, doch was lustvoll und bissig hätte daherkommen können, ist bei dieser Inszenierung übertrieben und mokierend. Nichts passt da irgendwie richtig zusammen – eine Enttäuschung für all jene Zuschauer, die sich eine ähnlich grandiose Darbietung erhofft hatten, wie dies bei Karin Henkels vorangehenden Stücken am Schauspielhaus (insbesondere “Geschichten aus dem Wiener Wald“ und “Elektra“) der Fall gewesen ist.
Weitere Vorstellungen im September und Oktober.
Dauer: 1h 40 Minuten
Besetzung
Carolin Conrad, Lena Schwarz, Marie Rosa Tietjen, Michael Neuenschwander, Fritz Fenne
Regie: Karin Henkel
Bühne: Henrike Engel
Kostüme: Klaus Bruns
Musik: Tomek Kolczynski
Licht: Michel Güntert
Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger
Regieassistenz: Hans-Christian Hasselmann
Bühnenbildassistenz: Regula Zuber
Kostümassistenz: Mitra Karimi
Regiehospitanz: Anastasia Ioannidis
Souffleur: János Stefan Buchwardt
Inspizienz: Ralf Fuhrmann
Bilder/Copyrights: Matthias Horn
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