Big in Japan: Meine erste Toyko Game Show

Spielemesse für Anfänger

Big in Japan: Meine erste Toyko Game Show

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Die Toyko Game Show ist eine feste Institution des jährlichen Spielekalenders. Obwohl man der Messe unterstellt, sie habe – ganz wie ihr Austragungsort Japan – an Bedeutung für die Spiele-Industrie verloren, stellt sie dennoch einen Fixpunkt für die Branche dar, um den Fachbesucher wie Spielepublikum gleichermaßen kreisen. RUDOLF INDERST bereiste die Messe dieses Jahr zum ersten Mal und schildert im Folgenden seine (ernüchternden) Eindrücke.

Ich weiß nicht genau, wie lange ich schon um die Existenz jener sagenumwobenen Veranstaltung namens Toyko Game Show weiß. Vermutlich las ich zum ersten Mal in einem der nun (sich im Keller befindlichen) vergilbten Spiele-Printmagazine (sie hatten damals kecke Namen wie Mega Fun) davon. Wer weiß, wann das war – vielleicht 1996 oder 1997. Eines war mir seither klar: Irgendwann, und mag es noch so lange dauern, würde ich dort durch die Hallen schlendern. Und es würde sich großartig anfühlen. Alle wären total begeistert, dass man von so weit anreiste, um sich im Mutterland der Videospiele an der Quelle zu informieren; man würde unter Spielern Freundschaften schließen und diese per Brief pflegen; die Mitbringsel, um die einen alle zuhause beneideten, würden in großen Mengen in Tüten fliegen. So war das. Mit der Vorstellung. Mitte der 1990er.

Das ewige Reiseziel Japan

Etwa zur selben Zeit bastelte ich auch meine erste Reiseziel-Liste. Sie enthielt damals nur einige, wenige Ziele, wie etwa Island, Südkorea und eben…Japan. Im Frühjahr 2011 schließlich war es soweit – in einer kleinen Gruppe buchten wir und waren bester Dinge. Dass es in jenem Jahr nichts aus der Reise wurde, lag an einem Erdbeben, einer Flutwelle und einem Reaktorunglück. Doch was ein echter Traum ist, lässt sich nicht so einfach beiseite wischen. Und siehe da: 2013 sollte es klappen.

Der güldene Herbst führte uns nach Tokio und Kyoto – und da in diesem Reisezeitraum auch die Tokyo Game Show fiel, ließ ich unsere Reisegruppe akkreditieren. Dieser Vorgang war – einigen Gerüchten zum Trotz – nicht aufwändiger als bei anderen Messen; etwas kurios war lediglich folgende Anforderung: Für den ersten Tag benötigt akkreditiertes Personal zwei Visitenkarten, für jeden weiteren Tag eine Karte. Gleich einen Tag nach unserer Anreise ging es los zu Makuhari Messe, wo das Branchen-Event stattfindet.

Auf in die Schlacht!

Das Erste, was uns als Games Convention- und gamescom-Veteranen auffiel, war der eher geringe Fachbesucher-Strom in Richtung Messe: Nur in vereinzelten Gruppen fanden sich die Menschen vor Ort ein – ein engagierter Herr mit Megaphon wies uns den Weg. Vor Ort holten wir unsere Presseausweise ab; ein wenig später trafen wir eine deutsche Bekannte, der wir auch unser erstes TGS-Gruppenfoto verdanken.  Anschließend nahmen wir uns die Zeit, um die Hallen der Messe ausgiebig zu durchstreifen.

Kurz vor unserer Reise nach Japan war dort das Super-Seller Monster Hunter 4 erschienen. Und dies merkte man. Nicht nur sprangen einem an jeder Ecke große Anzeigen in die Augen, sondern acht von zehn 3DS-Kontakten, die ich aufsammelte, spielten laut Eigenauskunft den Monster-Titel. Was im Westen ein Call-of-Duty-Release, ist ohne Frage dort die Veröffentlichung eines Spiels der Jäger-Reihe. Dieser enorme Erfolg spiegelt sich auf der Messe wieder. Vom Monster Hunter-Kuchen wollen andere Spieler auch etwas abhaben. Entsprechende Spieleindrücke waren bei etwa bei Soul Sacrifice Delta oder God Eater Burst 2 zu finden.

Von wegen Next-Gen

Aufgrund der Tatsache, dass die Next-Gen-Konsolen in Japan erst 2014 erscheinen werden, waren Xbox One und PS4 nicht übermäßig präsent. Sony und Micrsosoft selbst stellten ihre Gerätschaften zwar vor, aber viele Firmen beschränkten sich auf ihr Playstation 3, 3DS und Vita-Portfolio – das wird sich nächstes Jahr allerdings bestimmt ändern. Sehr erstaunlich war die fast komplette Abwesenheit der Wii U. Obgleich Nintendo selbst zwar durch Abwesenheit glänzte (bis vor ein paar Jahren hatte Nintendo eine eigene Messe am Start, jetzt geht man andere Wege), war es erschreckend, so wenig von Nintendos TV-Konsole entdecken zu können. Sagen wir so: Von Nintendo sahen wir AUF der Tokyo Game Show in etwa so viel wie von der alten Xbox außerhalb des Messegeländes.

Weitere Trends

Crossover-Spiele waren eine weitere Messe-Erscheinung. Allerdings geht es dabei in erster Linie um Titel, von denen der mainstreamigere Spieler in der Regel nichts hören wird. Dazu gehören zum Beispiel Puyo Puyo Tetris oder J-Stars Victory Vs. Auch Arena-Brawler (in der Machart von Platinums Anarchy Reigns) sind in Japan klar auf dem Vormarsch – genauso wie Remakes. Das ist wenig verwunderlich: Am Ende einer Konsolengeneration stellt das HD-Remake (z.B. Soul Calibur 2 oder Final Fantasy X HD ) eine großartige Möglichkeit dar, noch einmal ein wenig Kasse zu machen. Dagegen ist nichts zu einzuwenden, wenn die Qualität stimmt.

Es ist einigermaßen lange her, dass ich mich auf einer Spielemesse für einen Titel in eine Schlange stellte. In vielen Fällen erscheint es albern, für ein (oftmals) unfertiges Spiel Lebenszeit zu verbrennen, wenn man es 12 Wochen später sowieso auf der eigenen Couch genießen (oder schlechterdings nicht) kann. Diesmal entschieden wir uns anders, diesmal entschieden wir uns für…Titanfall (und tauschten etwa 30 Minuten Wartezeit gegen sechs Minuten Spielzeit). Und tatsächlich: Es machte Riesenspaß, und ich freue mich bereits jetzt, den Titel an anderer Stelle vorstellen zu dürfen.

Das Ende vom seichten Lied

Leider war dies bereits einer der wenigen Höhepunkte des Messetages. So sehr mich das aufgeregte Hype-Geschrei junger Schwitzehansis (mit einer Kameraausrüstung, die ich mir heute noch nicht leisten würde können) in Köln aufregt, so wenig enthusiastisch ging es in Tokio zu. Alles wirkte steril und gelangweilt — nicht langweilig, gelangweilt. Der absurde Höhepunkt war die letzte Halle: Dort setzte man sich zum Essen auf den Hallenboden. Und wenn ich nun ernsthaft hier die Kulturkarte spielen möchte, dann stecke ich sie ich ihm/ihr in den relativistischen Hintern. Niemand setzt sich in einer kalten, dunklen  und hässlichen Halle gerne auf den Boden, um dort Ramsch zu essen.  Und dass der Typ von Wolfenstein aussieht wie Till Schweiger in etwas breiter, machte meine Laune noch mieser. Insgesamt erscheint es mir nun so wie mit 8-Bit-Spielen, die man in so wunderbarer Erinnerung hat und nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder spielt, nur um dann frustriert festzustellen, dass man einer Täuschung aufsaß. Es ist eine gefährliche Leidenschaft, seinen Träumen nachzuspüren und sie umsetzen zu wollen und die enttäuschende Messe ist ein wunderbares Beispiel dafür. Doch gleichzeitig treiben uns genau solche Wünsche immer wieder an. Wir alle müssen den Preis der (gefühlten) Nostalgie zahlen.

Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in Kopenhagen und verliebte sich. Doppelt promoviert, übernimmt er Verantwortung als Ressortleiter für digitale Spiele hier bei nahaufnahmen.ch. Liebt Stanislaw Lem, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Game Studies / Spielanalyse / Game Business an der IU und krault sich gerne seinen Bart.

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