Medikamentenrückstände sollen nicht mehr ins Wasser gelangen

Unsichtbares Gift

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Scheint zumindest sauber: Vorderrhein bei Tamins

 

In unseren Gewässern finden sich vielerorts Rückstände aus Medikamenten. Zwar nur in geringen Konzentrationen – doch dies reicht aus, um das vielfältige Leben in den Bächen, Flüssen und Seen zu gefährden. Neuere Erkenntnisse zeigen Wege bei der Prävention und Beseitigung dieser Mikroschadstoffe auf.

Von Dora Schweighoffer und Martin Geiser

Unsere Flüsse scheinen nur sauber – in Wirklichkeit sind sie verschmutzt: In den meisten Gewässern des Mittellandes finden sich Reste von Medikamenten und Chemikalien wie Farben oder Reinigungsmittel. Diese Rückstände gehören zu den so genannten Mikroverunreinigungen.

Breite Chemikalien-Palette
Die Chemikalien kommen auf verschiedenen Wegen in die Gewässer: Zum Beispiel werden Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft in unsere Bäche geschwemmt oder es gelangen chemische Stoffe aus Farbanstrichen von Hausfassaden mit dem Regenwasser in die Gewässer.

Mikroverunreinigungen entstehen aber auch wenn wir Medikamente zu uns nehmen. Denn viele Wirkstoffe verlassen den Körper unverändert oder weiterhin aktiv. Auch Medikamente die an Nutztiere verabreicht werden, sind nicht zu vernachlässigen. Dazu kommt die illegale Entsorgung von nicht verwendeten Arzneimitteln via WC oder Lavabo.

In Bäche und Flüsse gelangen viele Mikroverunreinigungen dann über die Kanalisation und die Kläranlage. Denn hier werden sie nicht oder nur ungenügend abgebaut. Zwar werden die  Mikroverschmutzungen in den Gewässern, in welche sie eingeleitet werden noch verdünnt – in den grösseren etwas mehr, in den kleineren weniger. Doch so gering die Konzentrationen auch sind, dadurch, dass diese Substanzen beinahe ständig vorhanden sind, schaden sie den Lebewesen in den Gewässern.

Hormonaktive Stoffe gefährden Fischbestände
Denn die Gefahr bei Mikroschadstoffen ist nicht die akute, also die direkte Giftigkeit, sondern die Ansammlung der Schadstoffe in einem Organismus über einen längeren Zeitraum. So bewirken zum Beispiel Hormone wie Östrogenderivate, welche aus Empfängnisverhütungsmitteln ins Wasser gelangen eine Verweiblichung von Fisch- und Amphibienmännchen. Diese Männchen können sich nicht mehr fortpflanzen und es gibt weniger Nachwuchs.

Gefährlich an den Mikroschadstoffen ist zudem deren Mischung. Während gewisse einzelne Substanzen für sich noch unbedenklich wären, ist es der Mix aus dutzenden von Stoffen  nicht mehr. Solche Chemikaliencocktails belasten auch Gewässer in der Schweiz, wie Messungen unterhalb von Kläranlagen zeigten.

Einige dieser Mischungen sind giftiger als andere, soviel ist heute klar. Aber die Zahl der möglichen Kombinationen von Chemikalien in solchen Cocktails ist enorm gross. Und es ist daher unmöglich die Wirkung aller Kombinationen auf die Gewässerökologie abzuschätzen.

Lösungsansätze umsetzen
Der Kampf gegen Chemikalien- und Arzneimittelrückstände ist jedoch nicht hoffnungslos. Es gibt mehrere Lösungsansätze, die parallel verfolgt werden können. Auf der einen Seite muss an der Quelle angesetzt werden: So zum Beispiel soll die Ausbildung von Landwirten verbessert werden. Oder die Bevölkerung sollte verstärkt darauf hingewiesen werden, dass nicht verwendete Medikamente keinesfalls via WC oder Lavabo heruntergespült werden dürfen.

Auf der anderen Seite müssen die Abwasserreinigungsanlagen in Zukunft so ausgerüstet werden, dass sie Mikroschadstoffe besser eliminieren können. Die aufgrund von Auflagen in der neuen Gewässerschutzverordnung. In den letzten Jahren haben unter anderem Forscher des Wasserforschungs-Instituts Eawag in Dübendorf zwei besonders geeignete Methoden dafür etabliert: Die Ozonierung und die Behandlung der Abwässer mit Aktivkohle.

Vielversprechende Reinigungsstufen
Die Aktivkohle wirkt als Adsorptionspartner, an den die Mikroschadstoffe binden und so aus dem Wasser gefiltert werden können. Das Ozon dient als Oxidationsmittel: Die Chemikalien und Wirkstoffe werden so umgewandelt, dass sie keine schädliche Wirkung mehr aufweisen. Beide Verfahren haben sich als wirksam erwiesen: Sie entfernen mehr als vier Fünftel der Mikroschadstoffe, die nach der normalen Reinigung zurückbleiben.

Beide Methoden können gemäss Eawag als zusätzliche Reinigungsstufen relativ problemlos und mit vertretbaren Kosten in bestehende Kläranlagen eingebaut werden. In den nächsten Jahren sollen zuerst die grösseren Abwasser-Reinigungsanlagen in der Schweiz modernisiert werden, sowie Anlagen, die Abwässer in trinkwasserrelevante Gewässer einleiten. Die ARA Basel zum Beispiel bereitet derzeit ihren Ausbau vor. Die Inbetriebnahme der Erweiterung ist für das Jahr 2022 geplant.

 

Links

Das Wasserforschungs-Institut Eawag

Bundesamt für Umwelt: Thema Mikroverunreinigungen

 

Arzneimittel in den Gewässern: Die Situation in Europa und in den USA
Schon bevor die Abwässer die Kläranlagen erreichen, kann viel getan werden. Beim Stockholm County Council im Jahr 2009 wurden erstmals viele Arzneimittel in Umweltverträglichkeitskategorien eingeteilt und in einer Datenbank namens JanusInfo erfasst, die im Internet frei zugänglich ist.
In dieser Datenbank müssen schwedische Ärzte nach dem umweltverträglichsten Medikament für die gewünschte Wirkung suchen, bevor sie ein Rezept ausstellen.
Seit 2006 hat die EU Gesetze erlassen, welche auf noch höherer Ebene ansetzen: Pharmakonzerne in der EU sind verpflichtet, ihre Medikamente auf Umweltverträglichkeit zu prüfen und genaue Berichte an die European Medicine Agency abzugeben.
Im Gegensatz zu den Entwicklungen in den europäischen Ländern, haben die USA bisher weder eine Datenbank für Medikamente noch strenge umweltrelevante Gesetze für Pharmakonzerne durchgesetzt. Da der Pro-Kopf-Medikamentenverbrauch in den USA eine weltweite Spitzenposition einnimmt, gelangen riesige Mengen an Arzneimitteln in die Umwelt. Die USA schlagen laut Environmental Health News den passiven Weg im Kampf gegen die Mikroschadstoffe ein. Der Fokus liegt eher auf der Modernisierung der Abwasserreinigungsanlagen, als auf Präventionsmassnahmen.

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