Karl Ove Knausgård: „Spielen“
Erinnerungen an die aufregende Kindheit voller fantastischer Spiele
Karl Ove Knausgård: „Spielen“ (Roman)
Im dritten Band seines sechsbändigen, autobiographisch angelegten Projektes widmet sich Karl Ove Knausgård auf über 500 Seiten dem Thema „Spielen“ in der Kindheit. Das Werk ist eine Wucht von einem Buch – sowohl inhaltlich wie auch sprachlich, literarisch und emotional. Wer einmal mit den Büchern des Norwegers beginnt, wird süchtig und findet in der heutigen Zeit kaum ein ebenbürtiges Buch mehr.
Von Luzia Zollinger.
Spielend die Welt entdecken. Gibt es dies im Zeitalter der Digitalisierung überhaupt noch? Einige Kinder werden fragend den Kopf schütteln oder womöglich irgendetwas von Computerspielen erzählen. Andere wiederum erleben diese fantastische Welt der Spiele draussen in der Natur am eigenen Leibe. Zu jenen hat auch Karl Ove Knausgård als Kind gezählt. Es gibt doch als Kind nichts Schöneres, als stundenlang im Grünen zu verweilen und sich der Vielfalt des einfachen Spielens hinzugeben. Einmal sieht der Norweger einen Regenbogen und ist kaum mehr zu halten. Aufgeregt ruft er seinen Freunden, die sofort ihre Regensachen anziehen und sich auf den Weg machen, um am Ende des Regenbogens den Schatz zu finden. Im Frühling schnitten sie jeweils Birkenäste ab und banden Flaschen an die verbleibenden Stümpfe. Am nächsten Tag, wenn die Flaschen mit dickflüssigem Birkensaft voll waren, tranken sie diesen und waren überglücklich.
Die Kunst der richtigen Worte
Mancher Leser mag sich fragen: „Halte ich es aus, auf über 500 Seiten nur über das Spielen zu lesen?“ Die Antwort ist einfach. Ja, man hält es aus, ohne dass auch nur ein leiser Schimmer an Langeweile entsteht. Wieso wir das Buch kaum aus den Augen lassen, haben wir einzig und alleine dem unglaublichen, fast schon übermächtigen, Norweger zu verdanken. Am liebsten möchte man ihm um den Hals fallen, ihn fest umarmen und unzählige Male danke sagen. Knausgård arbeitet mit einer präzisen und detaillierten Sprache, als würde er jedes einzelne Wort auf die Waage legen, um genau zu wissen, wie schwer oder leicht es an der richtigen Stelle zu lesen ist. Er beschreibt seitenweise atemlos. Manchmal gibt es kaum Abschnitte, geschweige denn kurze Sätze. Und auch dafür ist man ihm dankbar. Jedes Wort saugt man in sich auf, taucht in die Tiefe einer hochstehend literarischen Welt hinab und kann nicht genug davon bekommen. Jeder einzelne Satz ist ein Genuss und man wird süchtig danach. Es kribbelt im ganzen Körper und muss man einmal pausieren, freut man sich auf das Weiterlesen wie sich ein kleines Kind auf seinen Geburtstag freut.
Oft schüttelt man den Kopf und entwickelt eine unglaubliche Ehrfurcht vor Kindern und ihren erstaunlichen Spielideen. Das Feingefühl, die Sensibilität und die grenzenlose Liebe, die in diesem Werk steckt, hatte Knausgård bereits als Kind. Ungerechtigkeit konnte er nicht ausstehen, auch wenn sie gegen andere Mitmenschen gerichtet war. Zudem liefen ihm immer wieder die Tränen hinunter, wenn er der unbändigen Wut seines Vaters ausgesetzt war.
Wuchtige Gedanken und Sprachlosigkeit
Die Gedanken des Norwegers und die Kraft, die in seiner Sprache liegt, machen einen sprachlos, bringen einen zum Nachdenken und regen zu philosophischen Diskussionen über das Leben generell an. „Darüber hinaus, dass man niemals nachgeben, niemals aufgeben durfte, denn wenn man standhaft, aufrecht, mutig und ehrlich war, ganz gleich, wie einsam es einen gemacht haben mochte und wie allein man am Ende dastand, wurde man zu guter Letzt belohnt“, ist ein solcher Satz. Oder dieser wunderbare Gedanken über die Kindheit: „Nie vergeht die Zeit so schnell wie in der Kindheit, nie ist eine Stunde so kurz wie in ihr. Aber gleichzeitig vergeht die Zeit auch nie so langsam wie in der Kindheit, niemals sonst ist eine Stunde so lang wie in ihr.“
Nach dem letzten Satz schluckt man leer und kann nicht glauben, dass das Buch schon zu Ende ist. Einmal tief durchatmen und innehalten, danach kehrt das Lächeln aber wieder zurück. Denn im Juni 2014 erscheint bereits der nächste Band auf Deutsch – und zwei weitere folgen glücklicherweise noch! Den Gedanken ans Ende dieses biographischen Werkes darf man noch nicht zulassen. Dieser Moment wird viel zu schnell kommen. Doch Knausgårds Bücher kann man beruhigt immer und immer wieder lesen. Bestimmt entdeckt man nämlich wieder neue Schönheiten in den hunderten von Seiten.
Titel: Spielen
Autor: Karl Ove Knausgård
Übersetzer: Paul Berf
Verlag: Luchterhand
Seiten: 576
Richtpreis: CHF 32.90