E.T. (Atari)

E.T. weinte

Außerirdische, Körperflüssigkeiten und biblische Bilder

Titelbild E.T.

Über das ATARI-Spiel E.T. zu schreiben, bedeutet den Bogen vom Himmel bis zur Hölle zu spannen. Denn die Geschichte des kleinen Außerirdischen ist die von einem, der begraben wurde und in den Himmel aufgefahren ist. Die Reihenfolge wurde jedoch im Vergleich zur Bibel etwas durcheinander gewürfelt. PETER KLEMENT, pünktlich zu Ostern und zur Wiederausbuddelung der verborgenen Schande, mit einem überarbeiteten Text aus der ersten WASD.

Zur Rechten des Vaters

E.T. verzauberte Millionen und sitzt heute im cineastischen Olymp auf einem Thron von 359.2 Millionen Dollar, die der Film während seiner Laufzeit in den vereinigten Staaten und Kanada einspielte. Das bildgewaltig inszenierte Abenteuer des kleinen, knubbeligen Außerirdischen und seines jugendlichen Retters ist ein modernes Märchen, das genauso mit „Vor langer Zeit…“ beginnen könnte. Es handelt von Vertrauen, Freundschaft und Opferbereitschaft und natürlich darum seinen Nächsten zu Lieben – auch wenn dieser durch die halbe Milchstraße gereist ist. E.T. ist eine Geschichte, die mit dem gesamtem Bombast einer millionenschweren Produktion einen Außerirdischen zum Himmel auffahren lässt, aus dem er zuvor gefallen ist.

Zeit für einen religiösen Exkurs: Platon lehrte, dass die Materie von einer Sphäre (Empireum) beeinflusst wird, in der die Ideen in reiner Form, quasi als kantsches Ding an sich existieren. Darauf baut der Doketismus auf, der lehrt, dass aus Gott, dem absolut reinen Wesen, nichts Unreines hervorgehen kann, wie beispielsweise ein materielles Wesen aus Fleisch und Blut.

The ptolemaic system

Jesus war also lediglich eine immaterielle Projektion des göttlichen Willens, eine Art Heilsbringer-Hologram und somit über den weltlichen Dinge und durch diese auch nicht zu verwunden. Das erste Konzil von Nicäa machte im Jahre 325 Schluss mit dem Spuk und zog zur Begründung das Zitat „Und Jesus gingen die Augen über.“ heran. Der Satz findet sich in der Bibel (Johannes 11:35-45) und ist für den geneigten Christen der Beweis, dass Jesus nicht etwa eine geisterhafte Erscheinung war, wie es der Doketismus lehrt, der Jesus als reine Manifestation des Willen Gottes betrachtet.

Die auch körperlich gezeigte Trauer am Grab des Lazarus bedeutet, dass Jesus ein Wesen aus Fleisch, Blut und all den anderen Körperflüssigkeiten war. Einer von uns also, genau so wie es E.T. am Ende des Filmes ist, eben weil er Emotionen zeigt, die ihn von den sonst so unheimlichen Wesen aus einer fremden Welt abheben – auch wenn sein Finger leuchtet und er in gleißendem Licht gen Himmel fährt.

Lazarus ersteht aus dem Grab auf

Gelitten unter Atari

E.T. aus dem Atari-Spiel ist keiner mehr von uns, denn er weint nicht – kann er auch nicht denn er ist ein grünlicher Pixelhaufen, der durch eine zufallsgenerierte Pixelhölle watschelt, um Teile seines Telefons wieder zu finden. Alles was E.T. großartig macht wird eingedampft auf sechs Bildschirme, auf denen SpielerInnen vor den menschlichen Pixelhaufen flüchten müssen, um in Löcher zu fallen, auf deren Grund die begehrten Telefonteile sind.

Die großartige Geschichte über Freundschaft und Erlösung passt hinten und vorne nicht in das Spielsystem, das in nur fünf Wochen regelrecht in die Welt geprügelt wurde, um das Weihnachtsgeschäft mit abzugreifen. Sisyphos hat im Vergleich dazu einen Kuscheljob, denn er ist wenigstens nicht von der Gnade des Zufalls abhängig: Sobald der Fels oben auf dem Berg ist, rollt er wieder runter.

Das mag zwar unerfüllend sein, aber in Löcher fallen zu müssen auf deren Grund sich vielleicht etwas befindet, das stellt jedem, der mit Super Mario groß wurde, die Nackenhaaren auf. In Löcher fallen! Freiwillig! Wem das grausige Spielprinzip nicht schon nach zehn Minuten derart frustriert hat, dem besorgt die Steuerung dreckig den Rest: E.T. kann zwar aus Löchern wieder heraus schweben, doch eine falsche Bewegung und er liegt sofort wieder drin. Fünf Mal im selben Loch zu liegen ist keine Seltenheit.

Gekreuzigt, gestorben und begraben

E.T. von Atari ist zwar nicht das einzige miese Spiel der Plattform, doch das mit dem gewaltigsten Erbe und daraus resultiert seine tragische Fallhöhe. 1983 verzeichnete der Markt für Videospiele einen Umsatz von ungefähr drei Milliarden Dollar. Innerhalb von zwei Jahren fielen die Umsätze auf magere 100 Millionen. Die Gründe dafür waren eine kaum überschaubare Zahl von untereinander inkompatiblen Geräte, kurze Lebensdauer bis zur nächsten Generation eines Modells und viele, viele schlechte Spiele. Von all diesen großen und kleinen Fehlern stach der E.T.-Flop am meisten hervor. Daher wurde er zu mythologische Proportionen aufgeblasen und musste als der digitale Antichrist die Hauptverantwortung für den großen Videospielcrash schultern. Dabei warfen alle Hersteller hunderte von ähnlich schlecht programmierten Spielen in kürzester Zeit auf den Markt und verschuldeten seinen Zusammenbruch aus.

Doch einer musste dafür gekreuzigt werden, um zu sühnen.

Drei Frauen am Grab Jesu

Und so begab es sich, dass 1983 der digitale E.T. zusammen mit anderen Verbrechen gegen Gemeinde digitaler Spiele in der Wüste von New Mexico von Atari zermahlen, begraben und in Beton eingegossen wurde, damit er ja nicht wieder aufersteht.

Bis heute…

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