Genre-Polygamie am NIFFF 2014

Wo das Kino noch nicht tot ist

what we do in the shadows

Das NIFFF ist – nicht nur, aber auch – ein Trödelladen im besten Sinn des Wortes, ein Kuriositätenbasar, der aus der Festivallandschaft heraussticht wie ein Comic-Buchladen in einer Shoppingmeile. Wer heute Filme abseits des angeblichen Publikumsgeschmacks machen will, steht oft Jahre für finanzielle Mittel Schlange, die dann doch für millionenteure Metamorphose-Animationen böser Autoroboter ausgegeben werden. Doch am NIFFF findet man sie, die Kinder von Filmemachern mit ungewöhnlichen, seltsamen, bizarren Ideen.

Von Lukas Hunziker.

Nicht aus allen dieser Ideen sind gute Filme geworden. Meisterwerke waren dieses Jahr keine zu sehen – mit vielleicht einer Ausnahme. Und trotzdem: Wer die letzten Jahre HBO-Serien gegenüber dem Kino den Vortritt gab in der Überzeugung, in Kinosälen kaum noch mehr als die postmortalen Ausscheidungen eines toten Mediums zu sehen, konnte am NIFFF Hoffnung schöpfen.

Gerade in den Filmen des internationalen Wettbewerbs wurde nämlich erfrischend oft ohne Rezept gekocht. Filme wie der Wettbewerbsgewinner Housebound, der Publikumsliebling What we do in the Shadows oder das ungarische Hunde-Horror-Melodrama White God schienen auf die Leinwand adaptierte Mindmaps kreativer Köpfe, die glücklicherweise zu sehr von sich überzeugt waren, um ihren Ideendschungel zu einer übersichtlichen, wohlgeordneten Baumschule zurückzustutzen. Streng genommen ist keiner der drei Filme gelungen. Housebound braucht lange, bis er in die Gänge kommt und einige der Wendungen kratzen schwer an der Glaubwürdigkeit des ohnehin schon absurden Szenarios: Eine Kleinkriminelle wird zu Hausarrest in ihrem Elternhaus verurteilt, in dem es heftig zu spuken scheint. Eine elektronische Fussfessel zu tragen ist verständlicherweise doppelt unangenehm, wenn der Nachbar ein psychopathischer Mörder zu sein scheint und der Geist einer Ermordeten durch die üblichen Knarrgeräusche um Kontaktaufnahme bittet.

"Housebound" von Gerard Johnstone
„Housebound“ von Gerard Johnstone

Zuerst Geisterhausgeschichte, dann Psychothriller, dann blutige Horrorkomödie mit Gore-Finale – Housebound kann, oder will sich nicht entscheiden, was es sein will. Und ist wohl gerade deshalb ein verdienterer Gewinner als der zwar grundsolide Honeymoon, der ebenfalls geschickt Psychothriller mit Bodysnatch-Horror verband, dem die raue, ungebundene Fantasie und Originalität von Housebound aber fehlte. Die Komödie aus Neuseeland wäre zwar nicht unsere erste Wahl für den ‚Narcisse‘ gewesen – It Follows, Der Samurai und Blind haben uns da besser gefallen. Gönnen mag man dem Film den Preis aber dennoch – gerade weil beim Schreiben dieses Drehbuch der Fantasie gegenüber kalter Methodik der Vortritt gelassen wurde.

What we do in the Shadows indessen schaffte über die Form des Mockumentary das Meisterstück, dem überstrapazierten Genre des Vampirfilms doch noch etwas Neues zu entlocken. Dem angeblichen Kamerateam gelingt es nämlich, die vier Bewohner einer Vampir-WG im Alltag (oder der Allnacht, wie auch immer) zu begleiten und sie zu ihren vampirischen Gewohnheiten im ganz privaten Rahmen zu interviewen. Einer von vier Gags ist dabei grossartig, zwei sind amüsant, jeder vierte geht in die Hose. Als Mockumentary scheitert der Film – das Genre dient hier lediglich der stilistisch einfachen und finanzierbaren Umsetzung eines gewaltigen Gag-Mindmaps. Aber wenn alles lacht, darf man auf Genretreue nun mal getrost scheissen. Auch What we do in the Shadows ist kein genialer Film. Aber eben ein erfrischend fantasievoller, der mit Genrekonventionen spielt und sich über sie lustig macht, anstatt sie im Dienste des Publikumserfolg endlos zu reproduzieren.

"What we do in the Shadows" von Jemaine Clement und Taika Waititi
„What we do in the Shadows“ von Jemaine Clement und Taika Waititi

Zu weit trieb die Vernachlässigung gewisser Genre-Konzessionen lediglich White God, dessen Trailer noch Grosses erhoffen liess. Als die 13-jährige Lili für einige Monate zu ihrem Vater ziehen muss und ihren Hund Hagen mitnimmt, setzt ihr Vater diesen auf der Strasse aus. Von staatlichen Einschläfern und Hundekampftrainern verfolgt, tritt Hagen eine lange Reise in die Arme seines einstigen Frauchens an, die mal an Disneytierfilme, mal an den koreanischen Dark-Lassie-Film Howling (NiFFF 2012) erinnert, mal Sozialdrama, mal Kinderfilm, mal Revengethriller und mal metaphysischer Kitsch ist. Hundeheld Hagen hetzt eine ihm untertänige Meute auf seine Peiniger, stellt der schiesswütigen Polizei eine Falle, und legt sich dann am Schluss lammfromm vor der Trompete spielenden Lili nieder. Soll man da lachen? Gerührt sein? Soll man den ganzen Film als Allegorie verstehen? Und auf was? Kennt der Film selber eine Antwort auf diese Fragen? Hat hier jemand weiter gedacht als „Hey, lasst uns einen Film machen, in dem 200 Hunde einem Mädchen auf einem Fahrrad durch die leeren Strassen Budapests nachrennen?“ (Zumindest unser geschätzter Kollege Michael Sennhauser beantwortet diese Frage mit ja. Und wenn nein: Ist diese Szene allein, trotz der Schwächen des Films, nicht dennoch gewagter, aufregender und schlicht besser als praktisch jede Szene der diesjährigen so genannten Sommer-Blockbuster?)

"White God" von Kornél Mundruczó
„White God“ von Kornél Mundruczó

Nicht nur das – auch am NIFFF waren schwächere Filme zu sehen. Der Hong Kong Thriller That Demon within war ein grundsolides Filmchen seines Genres, aber unüberraschend wie ein Gericht aus dem TipTopf. White Bird in a Blizzard, ein der uninspiriertesten Literaturverfilmungen der letzten Jahre, hatte wenig mehr zu bieten als den nackten Oberkörper von Shailene Woodley. Aber die Mehrzahl der Filme boten das, was wir vom NIFFF erwarten – Filme, deren Plot sich nicht schon nach wenigen Minuten exhibitionistisch entblösst, sondern den Anstand haben, uns zu verwirren, zu überraschen, zu erschrecken und uns herauszufordern.

Trailer
Housebound
What we do in the Shadows
White God

Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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