Interview mit Sven Regener
„Es ist laut, sieht gut aus und wenn man es spielt, gucken alle hin!“

Element of Crime haben soeben ihr 13. Studioalbum „Lieblingsfarben und Tiere“ veröffentlicht. Aus diesem Anlass korrespondierten wir mit Sven Regener, Sänger, Texter und Trompeter der Band, über die Faszination für sein Lieblingsinstrument, 60er-Jahre-Psychedelic, die Überhöhung des Marmeladenbrotes, das perfekte Album-Format und Kritik als unfreundlicher Akt.
Von Christoph Aebi.
Nahaufnahmen.ch: Herr Regener, was haben Lieblingsfarben, Tiere, Dosenravioli und ein Bildschirm mit Goldfisch gemeinsam – ausser dass sie alle im Refrain des Titelsongs „Lieblingsfarben und Tiere“ vorkommen?
Sven Regener: Die haben alle etwas leicht Regressives, Kindliches.
Das Lied ist eine Art Ode an den Müssiggang und an alle, die es schaffen, sich ab und zu von Handys, Kurznachrichten, Mails und Skype-Kontakten auszuklinken. Wie häufig gelingt es Ihnen, sich von elektronischen Kommunikationsmitteln abzukoppeln?
Mal besser, mal schlechter, aber in der Tendenz immer besser.
Bei Element of Crime wird immer zuerst die Musik kreiert, dann schreiben Sie die Texte. Inwiefern gab die Musik beim neusten Album die Themen für die Texte vor?
Wenn wir das Beispiel des Titelsongs nehmen, ist das gut zu sehen: Eine entspannte, zugleich ausladende Melodie, die an 60er-Jahre-Psychedelic erinnert: Da ist es dann zu Farben, Tieren und Dosenravioli nicht weit!
Welche Begebenheiten des Alltags inspirieren Sie beim Schreiben der Songtexte am meisten?
Es sind eher die Situationen. Am Ende geht es ja immer um Leute und ihre Geschichten und Gefühle. Mit Alltag hat das eigentlich nicht viel zu tun. Im Alltag lauert ja auch immer das Besondere. In dem Moment, in dem Dinge in einem Song stattfinden, sind sie nicht mehr alltäglich.
Wie kamen Sie beispielsweise auf die Idee, für das Lied „Rette mich (vor mir selber)“ eine rote Morgensonne mit einem Erdbeermarmeladenbrot, das ein Kind für die Schule geschmiert bekommt, zu assoziieren?
Das ist das Schwierige an Ideen: Man weiß es nicht. Sowas kommt von alleine oder gar nicht, glaube ich. Auf jeden Fall findet hier eine Überhöhung des Marmeladenbrotes statt. Und das ist doch mal was!
Welches Lied auf der neuen Platte entstand am Schnellsten und bei welchem Lied hatten Sie bis zu seiner endgültigen Version am meisten zu kämpfen?
Ich glaube, am Schnellsten entstand „Wenn der Wolf schläft müssen alle Schafe ruhen“. Die Schwierigsten waren „Dunkle Wolke“ und „Dieselben Sterne“. Komischerweise merkt man denen das gar nicht an!
„Lieblingsfarben und Tiere“ ist mit 37 ½ Minuten das bislang kürzeste Element of Crime-Album. Zufall oder halten Sie es wie der Schweizer Musiker Stephan Eicher, der sein letztes Album „L’envolée“ bewusst kurz gehalten hat, da sich viele Menschen heute kaum noch Zeit nehmen würden, ein ganzes Album anzuhören?
Ich muss leider widersprechen: Die „Try To Be Mensch“ ist ohne CD-Bonustrack, also in der eigentlichen LP-Version, nur 37 Minuten lang. die „Freedom, Love and Happiness“ sogar noch kürzer. Insofern ist es eher ein Back-to-the-roots-Ding. Wir glauben, dass ein Album etwa 10 Songs haben und nicht viel länger als 40 Minuten sein sollte. Dann ist es das perfekte Format. Keine Ahnung, warum. Das ist ein bisschen wie mit dem abendfüllenden Spielfilm: Der hat 90 Minuten. Plus minus, natürlich. Da weiß ja auch keiner, warum das so ist.
John Cale, der Ihre zweite Platte „Try to be mensch“ produziert hat, sagte einmal über die Musik von Element of Crime: „It’s sad, but it’s not.“. Wie würden Sie Ihre Musik beschreiben?
Ich glaube, ich würde das einfach zitieren. Besser kann man’s ja nicht sagen.

Das Cover zum neuen Album „Lieblingsfarben und Tiere“ irritiert. Nur Sie schauen den Betrachter direkt an, die anderen Bandmitglieder gucken mehr oder weniger demonstrativ weg oder entdecken wie Richard Pappik gerade was Interessantes in ihrer Jackeninnentasche. Gibt es irgendeine versteckte Nachricht à la REM’s „Collapse into now“ (Michael Stipe erklärte später, seine zum Abschiedsgruss erhobene Hand auf dem Cover sei das Signal für das Ende der Band gewesen) oder wieso haben Sie gerade dieses Bild als Plattencover ausgesucht?
Es ist ein Bild zwischen den Bildern. Wir wollten eigentlich Pressefotos machen und dabei sitzen, einer vielleicht stehen. Jedenfalls eine kurze Phase der Entspannung bei einer Fotosession. Das hat uns dann von allen Bildern am besten gefallen. Ganz ähnlich war es mit dem Coverfoto von der „Try To Be Mensch“ damals, das sollte eigentlich nur ein Schnappschuss sein, der Fotograf hatte das Motiv gar nicht auf dem Zettel, aber das hat’s dann gebracht. Aber eine geheime Botschaft ist in dem Bild nicht versteckt. Oder wenn, dann wäre sie ganz, ganz geheim.
Ich habe gelesen, in Ihrem Studium der Musikwissenschaften hätten Sie Gruppenarbeiten überhaupt nicht leiden können. Element of Crime besteht als Band nun schon fast dreissig Jahre und die Entstehung einer neuen Platte stelle ich mir ebenfalls als eine Art Gruppenarbeit vor. Wieso funktionieren die „Element of Crime-Gruppenarbeiten“ so gut?
Weil wir Musik machen. Auf sehr freie Weise. Weil es Rock’n’Roll ist. Eine andere Erklärung habe ich auch nicht.
Seit dem dritten Album „Freedom, Love and Happiness“ werden die Element of Crime-Alben von David Young produziert, der seit dem Abgang von Christian Hartje 2002 auch Bass in der Band spielt. Welches ist das Erfolgsrezept dieser fruchtbaren Zusammenarbeit?
Er ist ein super Typ, ein guter Freund und ein toller Musiker. Mehr kann man nicht wünschen. Und er hat einen Adelstitel.
Und sollten Sie sich jemals einen neuen Produzenten suchen müssen, welchen würden Sie wählen?
Aus dem Alter sind wir raus. Im Grunde sind wir ja alle zusammen die Produzenten, darum heißt es ja auch immer „Produziert von David Young und Element of Crime“. Ich glaube, Produzenten sind bei jungen Bands wichtiger als bei Bands, die es schon so lange gibt, um es mal so zu formulieren.
Sie haben selber schon viele andere Bands und Musiker produziert, unter anderem vier wunderschöne Alben der leider nicht mehr existierenden Schweizer Band „Le Soldat Inconnu“. Bei welchem Musiker oder welcher Band würde es Sie reizen, wieder die Produzentenrolle zu übernehmen?
Ich habe die letzten beiden Maike-Rosa-Vogel-Alben produziert und wenn sie will, mache ich beim nächsten Album auch gerne wieder mit!
Das Tritonus-Tonstudio in Berlin-Kreuzberg, in dem viele Element of Crime-Werke, so auch die neuste Platte „Lieblingsfarben und Tiere“ entstanden, haben Sie mal als „alte Nutte, immerwährender Hort der Musikliebe und Zentrum des Guten“ bezeichnet. Können Sie das etwas näher ausführen?
Nein, dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Jakob und ich waren mit einer früheren Band schon 1984 das erste Mal dort gewesen. Und wir waren in vielen anderen Studios. Aber am Ende gehen wir immer wieder dorthin zurück. Wahrscheinlich weil es besser ist, über die Musik nachzudenken, als über das Studio. Dann ist es gut, wenn man mit dem Studio sehr vertraut ist.
Welche Atmosphäre herrscht dort? Welchen Einfluss hat die Atmosphäre eines Aufnahmestudios auf die Entstehung der Songs und schliesslich auf das fertige Album?
Leander Haussmann, der schon oft zu Besuch war, meinte einmal, man würde nie merken, dass überhaupt einer Musik macht. Da ist was dran: Alle sitzen im Regieraum, dauernd läuft Musik, ab und zu geht einer raus und kommt wieder, manchmal auch alle, und plötzlich ist der Song fertig. Über den Einfluss dieser Umstände auf die Songs kann ich nichts sagen, das kann ich nicht beurteilen.
Auf der neuen Platte sind wieder viele alte Bekannte zu hören. Orm Finnendahl ist verantwortlich für die Streicherarrangements, Ekki Busch spielt Akkordeon und Kurt Dahlke ist erstmals seit „Psycho“ wieder mit Synthesizerklängen vertreten. Inwiefern ist es für Sie wichtig, bei der Plattenproduktion bekannte Gesichter um sich zu haben?
Entscheidend ist nicht, dass die Leute vertraut sind, entscheidend ist, dass sie gut sind. Und diese Leute sind die Besten. Ich möchte da auch Christian Komorowski (Geige), Sabrina Briscik (Bratsche) und Rainer Theobald (Tenorsaxophon/Klarinette) erwähnt wissen, die sind auch solche Spitzenleute, die immer wieder bei uns auftauchen.
Sie haben mit 15 angefangen, Trompete zu spielen, haben unter anderem im Spielmannszug des Kommunistischen Bundes Westdeutschland gespielt. Was fasziniert Sie an diesem Instrument besonders?
Es ist laut, es sieht gut aus und wenn man es spielt, gucken alle hin!
Mit Leander Haussmann zusammen haben Sie den Film „Hai Alarm am Müggelsee“ realisiert und zusammen den bluesig-folkigen, von Gitarre und Mundharmonika dominierten Filmsoundtrack geschrieben. Darauf gibt es die grossartige, fast fünfzehnminütige „Grosse Ballade vom Hai-Alarm am Müggelsee“. Wann dürfen wir mal mit einem 15-minütigen Element of Crime-Song rechnen oder würde hier die Plattenfirma ihr Veto einlegen?
Wie es in einem dieser Ruhrgebietsfilme aus den 80ern heißt: Es kommt der Tag, da wird die Säge sägen. Aber beim Hai-Alarm gab es ja auch einen konkreten Grund: Das Lied erzählt den ganzen Film von Anfang bis Ende nach. Da kann man schon mal ehrgeizig werden…
Element of Crime haben schon unzählige Lieder anderer Bands und Musiker gecovert. Von den Bee Gees, über die Pet Shop Boys, Wham, Noir Désir und Bob Dylan bis zu Alexandra und den Beatles. Auf der Vinyl-EP „Lieblingsfarben und Tiere“ haben Sie sich „Medicine Man“ von John Mayall & The Bluesbreakers, dem von Roger Waters geschriebenen Pink Floyd-Song „If“ und dem von David Hal und John Barry für den James Bond-Film „On Her Majesty’s Secret Service“ komponierten und von Louis Armstrong gesungenen „We have all the time in the world“ angenommen. Was hat Sie speziell an diesen drei Liedern fasziniert? Und ist es Zufall, dass die Originale alle aus der gleichen Zeit (1968-1970) stammen oder finden Sie generell Musik aus jener Zeit inspirierend?
Das ist gut beobachtet, ich habe das noch gar nicht bemerkt. Die anderen auch nicht, glaube ich. Aber ich denke ohnehin, dass auch durch die Songs auf der regulären Platte, also auf der „Lieblingsfarben und Tiere“, ein gewisser Wind der 60er Jahre weht. Ansonsten ist es natürlich bei Coverversionen immer gut, wenn es da einen zeitlichen Abstand gibt, das hat dann etwas von einer Hommage, und das ist ja nie falsch!
Gibt es auch Songs, die Element of Crime gerne covern wollten und an denen die Band bei den Aufnahmen gescheitert ist?
Ich denke, ja. Man scheitert ja aber nicht, weil man die Songs etwa nicht spielen könnte, jede Band kann ja eigentlich jeden Song spielen. Aber manchmal bringt das einfach nichts. Dann lässt man es.
Ihre letzte Tournee lief unter dem Motto „Wir hängen tagsüber ab und spielen abends im Club“. Wie muss man sich das „Abhängen“ der einzelnen Element of Crime-Mitglieder denn vorstellen?
Tja, das ist natürlich geheim. Das Besondere an dieser Tour war aber, dass wir mehrere Tage hintereinander in derselben Stadt spielten, während man sonst ja den Tag mit Reisen, Soundchecks usw. verbringt. Also hatten wir mehr Zeit. Das nur zur Erklärung. Ansonsten hängt das ja auch von der Stadt ab. In Hamburg: Im Zweifel Fisch essen oder Hafenrundfahrt. In Köln: Brauhaus, Kölsch, Dom. In München: Englischer Garten. Oder so. Und immer so weiter. Aber das ist natürlich auch irgendwie dann Touristenquatsch und kein wirkliches Abhängen. Wirklich abhängen kann man auf Tour nur in der Backstage oder im Hotel.
Sie haben mal in einem Interview gesagt: „Wir haben einen Widerwillen gegen bestuhlte Säle. Bei solchen Konzerten kannst du dich nicht frei bewegen. Solange wir auf der Bühne stehen, steht unser Publikum auch.“ Nun werden Sie zum Album-Release im ehrwürdigen Schauspielhaus auftreten, wo Sie zuletzt eine Lesung aus Ihrem neusten Roman gehalten haben. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Keine Regel ohne Ausnahme. Das ist mal was anderes. Aber ich würde keine Gewohnheit daraus machen wollen.
Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee der „Bluebird Tapes“ und wird es diese von der kommenden Tournee ebenfalls wieder geben?
Ich glaube, wir machen das auf jeden Fall wieder, das macht Spaß. Die Idee kam daher, dass wir uns an die 80er Jahre erinnerten, an die Punk- und Kassettenzeit, wo die Leute heimlich mit dem Walkman, der damals ganz neu war, Konzerte mitschnitten und die Kassetten dann als Bootlegs verkauften. „Bluebird Tapes“ war der Name einer solchen Bootleg-Serie aus Hamburg. Genau diesen Sound sollen unsere Bluebird Tapes auch haben. Deshalb lassen wir einfach einen das mit einem Stereorecorder o. ä. irgendwo unter den Zuschauern aufnehmen, so mit Gerät in die Luft halten und fertig.
In der Ur-Formation von Element of Crime gab es mit Jürgen Fabritius einen Saxofonspieler. Nun wird Sie – erstmals seit den Anfängen – mit Rainer Theobald wieder ein Saxofonist auf Tournee begleiten, der auch auf dem neuen Album unter anderem in „Liebe ist kälter als der Tod“ mit einem Solo prominent vertreten ist. Ist dies eine Art Referenz an die Anfänge der Band oder aus welchen Gründen haben Sie entschieden, wieder einen Saxofonisten im Live-Line-up aufzunehmen?
Bei der letzten Platte hatten wir viel mit dem Geiger Christian Komorowski gemacht und diesmal waren wir irgendwie auf dem Saxofon-Trip, da lag es nahe, diesmal Rainer Theobald mitzunehmen. Ja, das hat sicher auch mit früher zu tun, aber früher war das ja auch nur deshalb so, weil wir das toll fanden…
Mit dem Album-Release von „Lieblingsfarben und Tiere“ sind Element of Crime nun wieder der Kritik ausgesetzt. Sie haben einmal gesagt, am besten solle man Kritiken stumm hinnehmen. Bei welchen Kritiken gelingt Ihnen dies nicht?
Wenn man mir so etwas ins Gesicht sagt. Also negative Sachen. Das ist unhöflich. Ein unfreundlicher Akt. Man kann das denken, man kann es den anderen gegenüber sagen, man kann es schreiben. Aber einem nicht ins Gesicht sagen. Wie soll man sich als Künstler denn verhalten bei sowas? Wir haben ja keine Wahl, wir müssen es so machen, wie wir es für richtig halten.
Welche Fragen von Musikjournalisten können Sie nicht mehr hören?
Ich bin da schmerzfrei.
Was wollten Sie schon lange einmal gefragt werden, das Sie noch nie jemand gefragt hat?
Das ist jetzt so eine Frage, die immer öfter gestellt wird. Und die Antwort ist: Nichts. Wenn ich einen Mitteilungsdrang habe, dann hau ich es raus, egal ob einer fragt oder nicht.
Aktuelle CD/LP:
„Lieblingsfarben und Tiere“ (Universal)
Live-Termine:
13. November 2014 Zürich, Schauspielhaus
(Ausverkauft! Das Konzert wird jedoch am selben Abend ab 22.35 Uhr auf Radio SRF 2 Kultur zeitverschoben übertragen)
19. Februar 2015 Zürich, Maag Halle
Im Netz:
www.element-of-crime.de