“Roberto Zucco“ von Bernard-Marie Koltès | Schauspielhaus Zürich
Die „Reinheit“ des Serienmordes

Die Taten Roberto Zuccos, dem unglücklichen Helden des Stückes von Bernard-Marie Koltès, werden auch in der Inszenierung von Karin Henkel nicht verständlicher. Das choreographierte Chaos auf der Bühne zeigt dieses Unverständnis: beim realen jungen Mörder im Italien der 1980-er Jahre, in der Öffentlichkeit dieser Zeit und bei den Zuschauern von heute. Die Pfauen-Inszenierung ist eine dramaturgische Hommage an die einsame Figur.
Von Jolanda Heller.
Eine runde Sache, dieses Stück. Es hat einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss. Doch zwischendrin, da läuft es rund – rückwärts – vorwärts – und auf das Ende zu. Roberto Zucco, der junge Mörder, verschwindet, Dunkelheit im Bühnenraum. So beginnt das Stück, mit einer dunklen Bühne. In der ersten Reihe sitzen die Aufseher des Gefängnisses, in dem der Serienmörder Roberto Zucco einsitzt, und schauen ins dunkle Nichts. Es scheint, als guckten sie auch in den Abgrund der Hauptfigur, den keiner zu deuten weiss, keiner versteht. Auch seine Mutter nicht, die ihn doch geboren hat. Auch sie fällt dem Vatermörder zum Opfer.

Die wahre Geschichte
Roberto Succo (so sein wahrer Name) lebte tatsächlich. Am 3. April 1962 ist er in Mestre/Italien geboren und am 23. Mai 1988 durch Selbstmord in Venedig gestorben. Mit 19 Jahren tötete er seine Eltern aus dem banalen Grund, dass sie ihm ihr Auto nicht ausleihen wollten. Nach der Flucht wurde er gefasst und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Im psychiatrischen Gefängnis in der Reggio Emilia studierte er gar Politikwissenschaften. Nach fünf Jahren gelang ihm die Flucht und bis zu seinem eigenen Tod mussten in Italien, Frankreich bis in die Schweiz mehrere Menschen unter anderem ihr Leben lassen.
Die Verbrechen Roberto Succos beschäftigten den französischen Theaterautor Bernard-Marie Koltès. Er hat sie noch in seinem Todesjahr im Theaterstück “Roberto Zucco“ umgesetzt. Ihn hätte die “Reinheit“ der brutalen Taten fasziniert, die dieser ohne eigentlichen Grund ausführte. Es wären lediglich kleine “Momente der Loslösung“ gewesen und “hopp! ist es aus.“

Die Geschichte auf der Bühne
So sieht man sich auch “Roberto Zucco“ in der Inszenierung von Karin Henkel gegenüber. Die Ereignisse geschehen in einer fast naiven Brutalität, die in ihrer Unerklärbarkeit sprachlos machen. Jirka Zett spielt den jungen Roberto Zucco in genau diesem Duktus. Lisa-Katrina Mayer in der Rolle des Mädchens, die von Roberto Zucco vergewaltigt wird, die lieber “Ferkelchen“ als “Spätzchen“ oder “Täubchen“ genannt würde, beeindruckt in ihrem wachsenden Selbstbewusstsein, das ihre Schwester – gespielt von Friederike Wagner – nie besessen hat. Auch Lena Schwarz in ihren Rollen, Alexander Maria Schmidt als Bruder des Mädchens und Fritz Fenne als Inspektor und Junge, der von Zucco kaltblütig erschossen wird, nur weil er losheult, machen das Stück zu einem Karussell des Schreckens. Ein Karussell, das sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft in einem hin und her auf die Bühne bringt, ablesbar auf einer Projektion römischer Zahlen auf die Bühnenwand. Jean Chaize als Herr mit französischem Akzent versucht als Autor Koltès das Geschehen zu verstehen, erfolglos. Das Chaos der Ereignisse, der Einbildungen und Vorstellungen, das die Aufseher schon zu Beginn beklagen, löst sich auch beim Zuschauer nicht auf. So bleibt die Dunkelheit bestehen, die die Taten Roberto Zuccos auslösen.
Besetzung
Roberto Zucco: Jirka Zett
Seine Mutter / Die Dame / Die Patronne / Die Nutte: Lena Schwarz
Das Mädchen: Lisa-Katrina Mayer
Ihre Schwester: Friederike Wagner
Ihr Bruder: Alexander Maria Schmidt
Der Inspektor / Der Junge: Fritz Fenne
Der Herr: Jean Chaize
Regie: Karin Henkel
Bühne: Stéphane Laimé
Kostüme: Klaus Bruns
Musikalische Leitung: Tomek Kolczynski
Licht: Frank Bittermann
Dramaturgie: Malte Ubenauf
Regieassistenz: Hans-Christian Hasselmann
Bühnenbildassistenz: Regula Zuber
Kostümassistenz: Noelle Brühwiler
Dramaturgieassistenz: Irina Müller
Praktikum Regie: Valeria Popp
Praktikum Musik: Janos Mijnssen
Bühnenbildhospitanz: Dominique Lanz
Souffleuse: Katja Weppler
Inspizienz: Michael Durrer
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