Tageszeitung

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Ohne Zukunft? – ein Versuch

 

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Die Zeitung hat es schwer. Sie verliert Leser und die Verkaufszahlen gehen zurück. Wenn sie bestehen will, muss sie ihr Konzept grundsätzlich überdenken. Dazu gehört unter anderem, einen Journalismus zwecks Meinungsbildung zu fördern. Es ist Zeit aufzubrechen – bevor es zu spät ist.

 

Von Emmanuel Heman

 

Jede grosse Tageszeitung beklagt heute ihren permanenten Leserschwund. Immer weniger Menschen wollen eine gedruckte Zeitung lesen und die meisten tun das auch gar nicht mehr, sondern sind ins Land der unermesslichen Information abgewandert: ins Internet. Dort klickt man sich gratis durch ein paar Artikel, liest dieses und jenes und merkt: auf die gedruckte Ausgabe kann man gut verzichten. Doch was tun die Zeitungen gegen ihre Mangelerscheinungen?

 

Wandel und Wandlung

Es scheint, dass in diesem Punkt wenig Gegensteuer gegeben werden kann – man ist der Übermacht des Internets scheinbar hilflos ausgeliefert. In viel versprechenden Marketingstrategien spricht man dann auch gerne von „grösster Herausforderung und Chance“ zugleich; wobei Herausforderung selbstredend Problem heissen müsste. Doch bereits hier produzieren die meisten Zeitungen ihren Fehler: Sie versuchen mit einer unfassbar schnellen Technologie Schritt zu halten; man will das Internet sozusagen kopieren. Dies müsste eigentlich schon bei Radio und Fernsehen fehlgeschlagen sein, denn diese Medien konnten Nachrichten weitaus schneller verbreiten und dies auch mehrmals am Tag. Doch die fehlende Konservierung der Information liess die Tageszeitung noch am Leben. Ein Radioprogramm konnte man noch nicht als Podcast wieder und wieder anhören, eine Zeitung dafür zwei- oder dreimal lesen: ihr gehörte die Schriftlichkeit. Mit dem Aufkommen des Internets und der Digitalisierung ist jedoch nicht nur ein Raum geschaffen worden, indem immer und zu jeder Tageszeit neue Meldungen eintreffen und präsentiert werden können – sondern es ist auch ein riesiges Archiv. Artikel, die vor zehn Jahren geschrieben wurden, sind immer noch abrufbar. Man muss nicht mehr in alten Ausgaben suchen und blättern. Kurz: Das Internet hat die Informationsbeschaffung wesentlich erleichtert und nebenbei der gedruckten Form in ihrer Permanenz einiges voraus.

 

Kontrastiv statt informativ

Wenn die Zeitungen überleben wollen, muss ein Punkt akzeptiert werden: Die Zeitung hat ihre Funktion als reiner Nachrichtenkanal endgültig verloren. Es kann nicht mehr darum gehen, dem Leser brühwarme Meldungen aus aller Welt zum Kaffee zu servieren. Diese Zeiten sind vorbei und werden nicht wiederkommen. Es kann genau so wenig darum gehen, „mit der neusten Technik Schritt zu halten“ und sich dem Internet anzupassen – ansonsten ist das Problem der mangelnden Differenzierung zu einem grossen Teil auch selbst verschuldet. Vielmehr muss wieder ein Medium geschaffen werden, dass sich vom Internet abgrenzt und es muss ein klar differentes Produkt auf den Markt gebracht werden. In Zeiten der „Twitter-Diskussion“ brauchen wir Plattformen, in der die Debatte gelebt wird, wo fundierte Inhalte geboten werden, die der Meinungsbildung dienen. Die Zeitung, die sich dem „objektiven“, rein „berichtenden“ Journalismus verschreibt, wird früher oder später verschwunden sein. Man wird wohl in Zukunft in diesem Sinne die sogenannten „breaking news“, die Eilnachrichten im Netz abrufen. Denn das, was es ohnehin an Vorsprung bietet, gilt es dem Internet auch nicht abzusprechen. Doch wo liegt nun der Vorteil der gedruckten Form?

 

 

 

Was die Zeitung besser kann

Was das Internet bisher nur ungenügend bietet, wird in den meisten Zeitungen zu wenig ausgenützt: Den Eindruck von Qualität. Heute ist es immer noch so: Was in gedruckter Form erscheint, sei es ein Buch oder ein Magazin, hat auf die eine oder andere Weise eine Qualitätsprüfung durchlaufen. Es ist unmöglich, einen Artikel zu schreiben und „einfach so“ in die Welt zu setzen. Er wird gegenlesen, durchläuft Lektorat sowie Korrektorat, nötigenfalls muss das Ganze umgeschrieben, Passagen gekürzt oder Teile ganz gestrichen werden. Im Internet kann jeder eine Website kaufen und seine Texte dort ungeprüft publizieren. Damit wird zwar die Pluralität von Meinungen und Sichtweisen gefördert, aber es bleiben eben nur Meinungen, die nicht immer fundiert sind. Hintergründe, Analysen und Interviews sind es was letztlich gebraucht wird und wo sich der Zeitung ihr Potential erschliesst – nämlich dort, wo lange Recherche und Gedankenarbeit verrichtet wurde. Ob die Tageszeitung in ihrer jetzigen Form überlebensfähig ist, ist zu bezweifeln. Es ist so einfach und dazu noch legal, gratis an die Artikel zu kommen, die in der gedruckten Ausgabe angeboten werden. Doch verschwindet die Zeitung, verschwindet auch die ausgeglichene, fundierte Debatte und versumpft in der „Twitter-Diskussion“.

 

Ausblick

Die Zeitung muss wieder zu einem Ort werden, an dem kritisch und vielfältig geschrieben wird. Dem objektiven oder rein informativen Journalismus muss diesbezüglich entsagt werden. So müssen kontroverse Debatten auch kontrovers präsentiert werden: Die Aufgabe der Zeitung scheint in diesem Sinne zu sein, Gegensätze gegenüberzustellen und sich damit selbst in die Mitte zu rücken und auf diese Weise selbst neutral zu erscheinen: in ihr sind die Gegensätze aufgehoben und in einem umfassenden Gesamtabriss präsentiert. Und so gilt es kein Plädoyer für die Zeitung zu halten, sondern für das, wofür sie einmal eingestanden ist: für die Kultur der fundierten Debatte – dem freien Meinungsaustausch zwecks einer offenen Meinungsbildung.

 

Im Netz:

http://www.spiegel.de/thema/2020_die_zeitungsdebatte/

 

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