Roger Strub: „Verfalldatum“
Kompromisslos dargestellte Gewalt
Als Autor von Kriminalromanen kennt sich Tobias Landauer bestens mit Bösewichten aus. Doch als er mit seinem neuen Buch auf Lesereise geht und selbst mit einem konfrontiert ist, bringt ihn das an seine Grenzen. Denn er hat keine Ahnung, wer ihm Böses will. Weil auch der Leser nicht mehr weiss, bleibt „Verfalldatum“ spannend bis zum Schluss.
Von Fee Anabelle Riebeling.
Die Geschichten, die Tobi Landauer zu Papier bringt, sind vielen Menschen ein Dorn im Auge. Kein Wunder, schliesslich handeln sie alle vom Thema Kindesmissbrauch. Doch statt es beim Anschneiden des Themas zu belassen, schildert der fiktive Autor die brutalen Übergriffe auch äusserst detailliert. Während ihn seine Fans für diese realistischen Szenen lieben, prangen seine Kritiker ihn für diese lautstark und öffentlichkeitswirksam an. Denn sie befürchten, dass er damit Pädophile auf Ideen bringen könnte.
Dass deren Angst nicht von ungefähr kommt, erkennt auch der echte Leser schnell. Denn Roger Strub schickt Landauer mit seinem neuen Buch auf Lesereise durch die Schweiz und lässt ihn an jedem Abend eine andere Passage daraus vorstellen.
Protagonist mit Startschwierigkeiten
Bei so viel kompromisslos dargestellter Gewalt fällt es schwer, Landauer ins Herz zu schliessen oder auch nur irgendwie sympathisch zu finden. Zudem präsentiert ihn Strub als äusserst kauzigen Typen, der – wie die in seinen Büchern beschriebenen Männer – ein merkwürdiges Verhältnis zu Sexualität hat.
Statt sich gleich mit dem bedrohten Protagonisten zu solidarisieren, baut der Leser in den ersten Kapiteln eine Aversion ihm gegenüber auf. Stellenweise erwischt man sich sogar dabei, dass man sich auf die Seite der protestierenden Landauer-Gegner schlägt. Auch hat man einige Zeit auch Verständnis für den Verfasser von Drohbriefen, die Tobi Landauer erhält und die ihn über sein in grossen Schritten näher kommendes Verfalldatum informieren.
Bewegende Wende
Doch je mehr Landauer deswegen die Kontrolle verliert, desto mehr fühlt man mit ihm mit. Nicht, weil er aufgrund der immer bedrohlicher klingenden Warnungen sein Leben grossartig ändern würde, sondern viel mehr, weil er endlich Seiten von sich zeigt, die ihn menschlicher wirken und damit liebenswerter machen.
Auch weil die Gefühle des Lesers im Verlauf der Geschichte diese Wandlung durchmachen, ist Roger Strub mit seinem Debüt ein ganz besonderes Werk gelungen. Denn tatsächlich gelingt es ihm, dass man bereits nach einigen Kapiteln körperlich mit dem Protagonisten mitgeht: Beschleicht Landauer das Gefühl, jemand wäre in seine Wohnung eingedrungen, schaut man sich auch selbst prüfend in den eigenen vier Wänden um. Bekommt er Unterstützung, atmet man erleichtert auf.
Als am Ende alles ganz anders kommt, als gedacht, spürt man Landauers Entsetzen auch in den eigenen Gliedern – und das nachhaltig. Auch nach der Lektüre schweifen die Gedanken immer wieder zu dem Krimi. Das hat noch kaum ein Buch geschafft.
Titel: Verfalldatum
Autor: Roger Strub
Verlag: Gmeiner
Seiten: 279
Richtpreis: CHF 18.90