“Fidelio“ von Ludwig von Beethoven | Opernhaus Zürich

Perfekte Illusion (fast) ohne Requisiten

 Leonore: Anja Kampe, Florestan: Brandon Jovanovich, Chor / Foto: T+T Fotografie, Toni Suter
Leonore: Anja Kampe, Florestan: Brandon Jovanovich, Chor / Foto: T+T Fotografie, Toni Suter

Keine einzige Farbe, neben Weiss, Schwarz und Grautönen, welche aber im hervorragenden Lichtkonzept mal gleissend Strahlen, dann wieder neblig ermattend wirken und stets sowohl verspielte als auch bedrohliche Schatten werfen, sodass man tatsächlich glaubt Farben zu sehen: Ein sonniges Gelb für die Freude, tiefes Schwarz für den Schmerz. Doch das ist nur Illusion.

Andreas Homoki (Inszenierung) verwendet das Mittel der Illusion bewusst, nicht allein in der Ästhetik und Optik dieser Fidelio-Inszenierung, auch im Handlungsablauf: Er habe sich entschlossen, “gravierende Eingriffe in die Struktur des Werkes zu nehmen, und eine Art Rahmenhandlung für das Stück zu erfinden“, wie er im Gespräch mit Werner Hintze für das Programmheft erläutert. So stirbt Leonore zu Beginn in einem Handgemenge, in welchem sich tragischerweise ein Schuss löst und sie trifft. Das hatte das Libretto nicht so vorgesehen.

Doppelung der tragischen Szene
Leonore vermutet, dass ihr Mann Florestan im Staatsgefängnis versteckt und festgehalten wird. Sie verkleidet sich als Mann und macht sich unter dem Namen Fidelio auf die Suche nach ihm. Der Kerkermeister Rocco schenkt Fidelio sein Vertrauen und nimmt ihn als Gehilfen auf, während sich Marzelline, des Kerkermeisters Tochter, sogar in ihn verliebt. Tatsächlich befindet sich Florestan in diesem Gefängnis. Sein Erzfeind, der Gouverneur Don Pizarro will ihn loswerden, was Leonore im letzten Moment – im genannten Handgemenge – verhindern kann.

Während der Ouverture öffnet sich die hintere Bühnenwand und gleissendes Licht erstrahlt (der Himmel?), im gezeigten und schon erwähnten Handgemenge stirbt Leonore, worauf die Handlung von vorn zu beginnen scheint. Am Ende des zweiten Aktes dann ein weiteres Handgemenge, welches sich aber mit der Ankündigug des Ministers auflöst und Florestan zur Freiheit verhilft und dem sich ein freudiger Empfänge für Leonore und Florestan anschliesst. Die letzten Klänge der Inszenierung zeigen Leonore tot am Boden liegend. Die geschaffene Doppelung der tragischen Szene erzeugt eine Drehhandlung und inspiriert zum selber weiter Denken: wunderbar!

Die wohlüberlegte, dramaturgisch sorgfältige und gesellschaftspolitisch begründete Anpassung der Handlung erfreut. Es ist spannend und es muss mitgedacht werden. Und das ist gerade die gesellschaftspolitische Erklärung Homokis dieses Todes, der Auferstehung und des erneuten zu Tode Kommens Leonores: Sich in Traum oder Wirklichkeit befindend, mache ihr Wesen gerade aus und es liege ihm fern, diese Hoffnung zu relativieren. Im heutigen Europa seien wir mit höchst brisanten Konflikten ökonomischer, ethnischer, religiöser und politischer Art konfrontiert, für die wir keine Lösungsansätze werden geben können, wenn wir nicht über das Bestehende und Mögliche hinaus, in das scheinbar Unmögliche – also Utopische – hinein denken (aus dem Programmheft-Interview).

Rocco: Christof Fischesser, Leonore: Anja Kampe, Florestan: Brandon Jovanovic | Foto: T+T Fotografie, Toni Suter
Rocco: Christof Fischesser, Leonore: Anja Kampe, Florestan: Brandon Jovanovic | Foto: T+T Fotografie, Toni Suter

Illusionsdurchbrechung
Es ist ungemein schwierig, Illusionen zu erfinden, die den traditionellen Handlungsstrang durchbrechen und ein volles Opernhaus überzeugen sollen – hier gelingt es eindrücklich.  Hervorragende Sängerinnen und Sänger, die auch schauspielerisch differenziert und uneitel arbeiten unterstreichen die gelungene Arbeit. Dargestellt wird dies etwa durch Florestan, der mit verbundenen Augen auftritt: Es gibt für ihn nichts zu sehen, die Zuschauenden aber sitzen mit offenen Augen da und staunen. Die Musik steht zu jedem Zeitpunkt im Zentrum, die schlichte Bühne und der Verzicht auf altbackene Gesten ermöglichen dem Besucher, mit den Ohren zu sehen, und, ja, mit den Ohren die fehlenden Farben auf der Bühne zu erkennen. Sie sind nämlich alle da – hörbar in der Musik. Stimmgewaltig und zu jedem Zeitpunkt überzeugend ist auch der grosse Chor, kraftvoll und leidenschaftlich das Orchester unter der Leitung von Markus Poschner.

Bei Beethoven dürfen die Farben auf der Bühne fehlen, oder wie es diese Inszenierung zeigt: müssen vielleicht sogar fehlen für ein ganzheitliches Erlebnis.

 

Spieldauer: 2 Stunden

Musikalische Leitung: Markus Poschner
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühnenbild: Henrik Ahr
Kostüme: Barbara Drosihn
Lichtgestaltung: Franck Evin
Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger
Dramaturgie: Werner Hintze
Video-Design: Alexander du Prel

Besetzung
Der Minister: Oliver Widmer
Don Pizarro: Martin Gantner
Florestan: Brandon Jovanovich
Leonore: Anja Kampe
Rocco: Christof Fischesser
Marzelline: Deanna Breiwick
Jaquino: Michael Laurenz
Erster Gefangener: Airam Hernandez
Zweiter Gefangener: Alexei Botnarciuc

new Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Zusatzchor der Oper Zürich SoprAlti

Bilder/Copyrights
T+T Fotografie / Toni Suter

Im Netz
www.opernhaus.ch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert