Samuel Beckett «Glückliche Tage» | Schauspielhaus Zürich

Positiv denken!

Glückliche Tage
© Toni Suter (T+T Fotografie)

Samuel Becketts 1961 in New York uraufgeführtes Stück ist ein Stück der leisen Töne wie auch Werner Düggelin ein Meister in der Regie der leisen Beckett-Töne ist. Und auch Imogen Kogge und Ludwig Boettger als Winnie und Willie zeigen ihr schauspielerisches Können – mit leisen Tönen.

Von Jolanda Heller.

Positiv denken, wenn man in einem Haufen von Trümmerteilen sitzt. Ein Trümmerhaufen, der eine Mauer oder die Welt in zwei Teile zerbrochen hat und in dem man feststeckt und sich von der Hüfte abwärts nicht bewegen kann. Das ist nicht einfach. Winnie (Imogen Kogge) gelingt das. Jeden neuen Tag wacht sie von einer schrillen Glocke geweckt auf, spricht ein kurzes Gebet und geht ihrem Tagwerk nach. Jeder Tag wird wie sie meint «wieder ein glücklicher Tag gewesen sein».

Optimismus für zwei
So viel Optimismus und Freude am Leben ist bemerkenswert. Ist er ihrem Gottesglauben geschuldet? Man könnte es fast glauben, doch das Stück ist von Samuel Beckett geschrieben worden, der mit «Warten auf Godot» eigentlich jedem diesen Glauben hat nehmen müssen. Das mag für die Zuschauer gelten, die Figuren scheinen sich diesen Glauben erhalten zu haben. Der Fatalität ihres Schicksals, in die sie sich ergeben, ist aber nie entwürdigend dargestellt. Beckett stellt so das kleine Glück und Unglück – je nach Betrachtungsweise – subtil und glaubhaft dar. Doch was treibt Winnie denn an, dass sie wie jeden Tag so auch heute die Zahnbürste aus ihrer Tasche hervorkramt und der Zahnpastatube den letzten kleinen Rest Zahnpasta herausdrückt und sich die Zähne bürstet? Nicht die Angst vor Karies. Was lässt sie so verdammt positiv sein? So positiv, dass auch ihr Mann Willie (Ludwig Boettger), der – fast immer unsichtbar hinter ihrem Rücken und dem Trümmerhaufen ­– bei ihr bleibt? Ihr Optimismus, ihre Lebensfreude lässt ihn wohl trotz der Widrigkeiten bei ihr bleiben. Oder ist es doch auch das christliche «bis dass der Tod euch scheidet»? Wir erfahren es nicht.

Toni Suter/ T+T Fotografie
Toni Suter/ T+T Fotografie

Optimismus pur
Imogen Kogge zeigt das Auf und Ab, das die Figur Winnie trotz allem Optimismus durchlebt eindrücklich. Die Verlassenheit und zeitweise die Verzweiflung der Figur findet man in ihrem Gesicht wieder. Das Schwärmerische etwa, wenn sie an Erlebnisse aus der Kindheit und Jugend oder ihrer ersten Begegnung mit Willie denkt. Oder die Entrüstung, wenn sie vom Paar spricht, das sie als letzte lebende Menschen im Haufen sitzend gesehen hat und die sich laut darüber unterhalten und gefragt hätten, weshalb sie in dem Haufen sitze, ob sie unter dem Kleid nackt sei und weshalb sie nicht aus dem Haufen hervorkomme.

Bis dass der Tod euch scheidet
Man fragt sich in der Tat, wie lange man so überleben kann. Wieso sich Winnie nicht ausgräbt oder Willie ihr nicht dabei hilft? Winnie und Willie nehmen ihr Schicksal hin, wie auch Estragon und Vladimir in «Warten auf Godot». Das Absurde am Leben, das man ihm nicht entfliehen kann, wird hier in fataler Weise vorgezeigt. Es ist ein enorm starker Moment, als Willie dann doch ganz sichtbar wird, in einem feinen Anzug steckt und sich angestrengt auf die inzwischen bis zum Halse im Trümmerhaufen steckende Winnie hinzubewegt. Seine Hand geht ausgestreckt voran und ist im Begriff, die Wange Winnies zu berühren. Da rutscht er den Trümmerhügel hinab und bleibt regungslos liegen.

Toni Suter/ T+T Fotografie
Toni Suter/ T+T Fotografie

Werner Düggelin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Texten des absurden Theaters, so auch mit Beckett, und war einer der ersten deutschsprachigen Regisseure, die sich unter anderem mit dem irischen Autor auf der Bühne auseinandergesetzt haben. Er hat den Feinheiten und Zwischentönen, aber auch des Unsagbaren, nur mit schauspielerischen Mitteln Sagbaren auch dieses Textes nachgespürt, was insbesondere Imogen Kogge bedeutungsvoll umsetzt. Auch das Bühnenbild nimmt dieses Unsagbare und zugleich Undeutbare auf. So ist das Leben in der kleinen Welt des Trümmerhaufens ein Teil des gelebten Lebens Winnies und Willies. Es ist aber auch die kleine Welt, die sich von der grossen abgelöst hat und diese als zerbrochene zurücklässt. Und einen Maurer (namens Godot etwa), der diese wieder zusammenflicken würde, gibt es auf der Beckschen Bühne endgültig nicht.

 

Besprechung der Premiere vom 29. Oktober 2015.
Dauer ca. 1 Stunde 20 Minuten
Weitere Aufführungen im November 2015.

Besetzung
Winnie: Imogen Kogge
Willie: Ludwig BoettgerRegie: Werner Düggelin
Bühne und Kostüme: Raimund Bauer
Licht: Markus Keusch
Dramaturgie: Irina Müller
Regieassistenz: Sophia Bodamer
Bühnenbildassistenz: Dominik Freynschlag
Kostümmitarbeit: Selina Tholl
Inspizienz: Ralf Fuhrmann
Soufflage: Rita von Horváth

Im Netz
www.schauspielhaus.ch

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