Nelly Cootalot: The Fowl Fleet!

Liebe auf hoher See

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Nelly Cootalot, rothaarige Piratenbraut, Freundin gefiederter Meeresfauna und Rätsellöserin deluxe, macht jetzt auf professionell: Fast zehn Jahre nach ihrem ersten Auftritt im hochgelobten Point&Click-Adventure Nelly Cootalot: Spoonbeaks Ahoy! sticht sie erneut in See. Unterhaltungen mit schrägen Vögeln (im mehrfachen Wortsinn) wollen bestritten, unwahrscheinlich verwickelte Handlungsketten entwirrt und eine überschaubare Ecke der Welt der gerettet werden – dank Kickstarter-und Publisher-Unterstützung malerischer denn je. CHRISTOF ZURSCHMITTEN hat als Schiffsjunge angeheuert und sich in guter Gesellschaft befunden.

Eine Protagonistin, die sich als Freibeuterin der Meere immer wieder von Neuem beweisen muss. Verquere Rätsel, die sich ihr in den Weg stellen, um in einer Mischung von schierem Glück, irrwitzigem Einfallsreichtum und ärmelaufrollender Experimentierwut überwunden zu werden. Schräge Gestalten, wahnwitzige Wortwechsel und ein Spieler, der eifrig zeigend und klickend hinter den Kulissen die Verantwortung trägt: Nelly Cootalot: The Fowl Fleet! tritt selbstbewusst in altehrwürdige Fusstapfen und findet sich auf diesem Pfad auch in Sichtweite der Affeninsel erstaunlich gut zurecht –  dank einem Übermass an selbstgestricktem Charme und einer nüchternen Einsicht darin, was im Leben eines Piraten und Abenteurers wirklich zählt.

The Death and Return of Adventure Pointing&Clicking

Holen wir etwas aus: Das Click&Point-Adventure, so geht die Geschichte, hat den wohl steilsten Abstieg durchgemacht, den je ein Computerspiel-Genre erleben musste. Einst gefeiert als Höhepunkt interaktiven Erzählens, verlor sich das Genre immer tiefer in die Abgründe einer verschwrubelten Logik, die diesen Begriff immer weniger verdiente. Als Mitte der 90er die CD-Rom kam, um dem Adventure ihre blanke Unterseite hinzuhalten, erblickte es in diesem Spiegel grauenerfüllt die mit Katzenhaaren und Kleister entstellte Fratze eines schrulligen Greisen. Der Gnadentod folgte glücklicherweise auf dem Fuss (ausser in Deutschland, wo es sich nie so recht totschlagen lassen wollte, aber immerhin komisch roch), und niemand, oder zumindest nicht ich, konnte sich zur Trauer wirklich hinreissen lassen.

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Dass das Genre gut fünfzehn Jahren später wiedergeboren werden sollte, verdankte sich einer doppelten Erkenntnis. Numero uno: Point&Click-Adventures können auch mit kleineren Budgets und Freundeskreisen glücklich sein und machen. Numero zwei: Selbst zur Blütezeit des Genres, als dieses mächtig und stolz durch die Untiefen des Mediums stapfte und die Winz-Gattungen des Shooters und der Echtzeit-Strategie keckernd und lauernd ins Unterholz trieb, spielten nur Masochisten Point&Click-Adventures, um die zunehmend verzweifelt wirkenden Hirnsprünge der Entwickler nachvollziehen zu können.  Telltale entdeckten spätestens mit The Walking Dead, dass eine Prise Interaktiver Spielfilm als Würze mindestens ebenso gut wie Rätsel funktioniert, Amanita Design zimmerte lieber interaktive Biotope statt Puzzle-Pastiches und Wadjet machen alles wie früher, nur komfortabler. Die Spieler wussten es ihnen zu danken.

Nelly Cootalot: The Fowl Fleet! schlägt, um den Bogen zurück zum RECHT HIER RECHT JETZT zu schlagen, noch einmal einen anderen Weg ein (obwohl auf diesem Weg ausdrücklich so gut wie niemand geschlagen oder sonst wie brutal behandelt wird): Es stülpt sich zwar ein Mäntelchen von Ravensburger über, ist im Rätseldepartement aber vor allem eins: freundlich, manchmal geradezu zuvorkommend. Die Threepwoodschen Gene lassen Nelly zwar von absurder Situation zu absurder Situation stolpern, in denen Dinge sortiert, Objekte kombiniert, und die richtigen Dinge zur richtigen Person gesagt werden müssen. Aber all dies sind eher Gelegenheiten, die Spielwelt und die Charakter auf Herz und Nieren zu prüfen, als wirkliche Hindernisse: Streicheleinheiten für die Hirnlappen statt blutende Kopfnüsse, gewissermassen. Und falls doch irgendwann einmal die Synapsen stocken, fasst ein hilfreicher Seevogel, der mit der Stimme des berühmtesten beschalten zeitreisenden Doctors aller Zeiten spricht, die ausstehenden Aufgaben freundlicher Weise zusammen.

Reichlich Chemie, zündender Humor

Das all dies nicht manchmal schon fast zu einfach und reibungslos wirkt, ist genau derartigen Einfällen zu verdanken: Nelly Cootalot ist, allen Anleihen an offensichtliche Vorbilder zum Trotz,  ein so eigenständiges wie eigenwilliges Werk, dem die Liebe aus allen Poren quillt. Der (nach wie vor kostenlos downloadbare) Vorgänger Spoonbeaks Ahoy! entstand als Geburtstagsgeschenk von Alasdair Beckett-King, seines Zeichens preisgekrönter Komiker und Züchter prächtigen Haupthaares,  für seine Freundin, und trotz höherem Budget ist eine Mischung aus Hingabe und höchstpersönlichem Charme auch in The Fowl Fleet unverkennbar: Beckett-King zeichnete das Spiel, schrieb alle Rätsel und Dialoge und leiht einigen Charakteren seine Stimme; seine Freundin diente ihrerseits nicht nur als Muse und Vorbild für Nelly, sondern spricht in The Fowl Fleet auch die Rolle der Freibeuterin mit britischem Akzent, Talent und Hingabe. Sie haben Chemie, würde man im Englischen sagen – und überhaupt sollte man sich alles in diesem Spiel unbedingt in ihrem britischen Englisch sagen lassen, mit seinem prächtigen Lokalkolorit und seinen schamlos plump-brillanten Wortspielen, die selbst die redlichsten Bemühungen von Übersetzern wie Synchronsprechern über die Planke gehen lassen müssen.

Einem Spiel, das einem mit so viel Charme und Humor begegnet, kann man unmöglich böse sein. Wann immer Nelly eine Handlungsanweisung des Spielers quittiert mit einem „I can’t do that“ statt einer gewitzten Bemerkung, wann immer die Handlung abgekürzt oder nicht zu Ende gedacht scheint, wann immer die Bekanntschaft Nellys mit Charakteren vorausgesetzt wird anstatt erklärt– kurzum, wann immer die Zwängereien des letztlich doch beschränkten Budgets sichtbar werden –, folgt unweigerlich ein Moment, der einen laut lachen lässt, oder zumindest wohlig lächeln. Nelly Cootalot: The Fowl Fleet! ist nicht mehr und nicht weniger als das: Vier bis sechs Stunden in Gesellschaft von Charakteren und Menschen, die gewitzt sind und die es gut mit einem meinen. Menschen (und Vögel), mit denen man gut und gerne anschliessend noch ein Pint oder einen Grog heben gehen würde. Manchmal braucht man nicht mehr, um zufrieden zu sein.

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen
Originaltitel: Nelly Cootalot: The Fowl Fleet!
Plattformen: PC
Genre: Point&Click-Adventure
Entwickler: Ubisoft
Veröffentlicht von: Application Systems

Disclaimer: Der Autor liess sich von oben eingebettetem Kickstarter-Video bezirzen und unterstützte die Kampagne mit einem niedrigen Beitrag. Grog war dabei nachweislich nicht im Spiel.

 

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