Quantum Break

Der Wert von Zeit

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Quantum Break behandelt komplexe Zeitreisen-Themen, sorgt sich um die Übermacht eines undurchsichtigen Superunternehmens, verbindet zum ersten Mal konsequent Videospiel mit Fernsehserie und steckt voller Anspielungen auf vergangene Heldentaten seines Entwicklerstudios. Schafft es Remedy Entertainment, all das nachvollziehbar unter einen Hut zu bekommen? NORMAN VOLKMANN hielt die Zeit an und schrieb diesen Text somit in nicht einmal einer Sekunde.

Remedy Entertainment ist eine Art Einhorn innerhalb Videospielentwicklung. Dank eines finanzstarken Unternehmens im Rücken, das offenbar neben Geld auch viel Vertrauen in das Studio steckt, müssen Remedy-Spiele nicht im Jahrestakt erscheinen und lassen Experimente zu. Sechs Jahre sind seit Alan Wake vergangen – dem letzten großen Spiel des Unternehmens. In der Zwischenzeit ist eine neue Konsolengernation auf den Markt gekommen, die Xbox hat ihre einstige Vormachtstellung eingebüßt und sucht nach DEM Titel für die Plattform. 2016 ruhen die Hoffnungen daher vor allem auf Quantum Break. Nicht nur deshalb werden seit seiner ersten Präsentation hohe Erwartugnen an das Spiel gerichtet. Fans und Kritiker erwarteten einen Titel, der jahrelang in Erinnerung bleibt – so wie es Max Payne und später Alan Wake, die letzten Spiele von Remedy, taten. Einen Flop wird sich das Unternehmen nicht leisten können – trotz oder gerade wegen Microsoft als Geldgeber.

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Auf dem Papier bleiben sich Remedy treu: Quantum Break ist ein Third-Person-Shooter, der vor allem durch seine Handlung zu brillieren versucht. Diese entfaltet sich — und das ist definitiv neu — nicht nur in ‚klassischen‘ Spielabschnitten, sondern auch in jeweils  20-minütigen Folgen einer Live-Action-Serien.

Für die Handlung hat Remedy tief in der „Generic-Names“-Kiste gegrabbelt und Jack Joyce als Namen des Helden hervorgezaubert. Gespielt von Shawn Ashmore (X-Men) überträgt sich die Fadheit des Namens aber nicht vollends auf den Charakter, auch wenn seine Geschichte lange nicht so faszinierend ist wie die von Alan Wake oder Max Payne. Sein Gegenspieler und ehemals bester Freund Paul Serene, gespielt von Aidan Gillen (bekannt aus Game of Thrones und The Wire) ist Kopf der sinistren Monarch-Kooperation. Ebenfalls mit an Bord ist Lance Reddick, der die rechte Hand des Kontrahenten mimt.

Aus Film und TV bekannte Gesichter, eine Veknüpfung von Spiel und TV-Serie… das alles klingt wie ein wirrer, feuchter Traum von Hideo Kojima, ergibt am Ende aber tatsächlich ein kohärentes Gesamtbild. Zu Release allerdings hatten Microsoft und Remedy erst mal ein anderes „schwerwiegendes Problem“. Denn: Wie es sich für das Spielejahr 2016 gehört, war vor Erscheinen die Auflösung ein großes Thema. Kein natives 1080p, sondern lediglich 720p sollte da ausgeliefert worden sein. Und darauf wartet man sechs Jahre? Mit Verlaub: Alles Bullshit, denn der Titel sieht einfach toll aus.

Und nirgends ist Quantum Break beeindruckender als in den Effekten, mit denen die Manipulation der Zeit veranschaulicht wird: Der Spielfluss kommt zum Erliegen, Elemente der Umwelt beginnen zu wabern, alles nimmt eine kühle und blaue Tönung an. Diese Momente, in denen die Zeit komplett angehalten wird, heissen in Quantum Break „Stutter“. Jack Joyce kann diese nicht kontrollieren, er kann sich aber —  wie auch ein Teil der Gegner — durch sie hindurch bewegen, bleibt nicht stecken wie alles andere um ihn herum. Die Welt steht still, nimmt ihn nicht wahr.

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Die „Stutter“ sind in dieser Weise nicht nur ein wesentlicher Teil des Spiels, sondern auch Teil der Handlung: Durch die Eingriffe in die Zeit droht diese angeblich aus der Bahn zu geraten. Wirklich zu Ende gedacht ist dieser Gedanke allerdings nicht. So schön die stillstehende Welt nämlich visuell auch sein mag — habe ich erst allen Widersachern Kugeln in die Ommel gedrückt, wird alles so ruhig, dass es mich fast erdrückt. Überhaupt ist der Gedanke einer steckengebliebenen Zeit bei näherer Betrachtung deprimierender, als Quantum Break dies eingestehen will. Nicht nur für den Protagonisten Jack, der zwar nicht stecken bleibt, aber auf Ewigkeiten in einer Welt gefangen wäre, in der nichts passiert und sich nichts mehr ändert. Auch für die Menschen, die von den Stuttern gelähmt werden — ihr Vorteil ist lediglich, dass sie von alledem nichts mitbekommen. Ich wiederhole mich gern: Wie unfassbar deprimierend!

Während ich mich also durch diverse Stutter bewege und darüber nachdenke, warum Jack ellenlange E-Mails lesen kann und ob das Internet und Festplatten nicht auch in der stehenden Zeit feststecken müssten, kann ich auch in anderer Weise mit der Zeit spielen: Ich kann etwa Time Vision aktivieren, eine aus diversen Spielen unter weniger irreführendem Namen bekannte Mechanik, die verwendet wird, um es dem Spieler noch einfacher zu machen, das eigenständige Erforschen der Spielwelt zu ignorieren und lediglich in der grau eingefärbten Welt nach leuchtenden Objekten Ausschau zu halten. Die Time Vision zeigt mir Dokumente, Computer und auch Feinde. Die obligaten Sammel-Elemente, ohne die kein Remedy-Spiel auskommt, gibt es ebenfalls in Form sogenannter Quantum Ripples, deren Existenz halbpatzig dadurch zu rechtfertigen versucht wird, dass sie auch in den Serien-Teilen auftauchen — obwohl sie keine wirkliche Bedeutung für die Handlung haben.

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Die das Spiel begleitende „TV“-Serie kommt insgesamt nur langsam in die Gänge. Anfänglich stellte ich enttäuscht fest, dass ihr Fokus nicht auf den Hauptpersonen des Spiels liegt, sondern auf drei Nebencharakteren. Zumindest einer von ihnen, Charlie (Marshall Allman, bekannt aus Prison Break), macht allerdings im Verlauf von Quantum Break eine echte Entwicklung durch und wird im Laufe des Spieles immer wichtiger — und dadurch auch in der Serie interessanter. Die beste Leistung kann indes Lance Reddick (Bosch, Fringe) abrufen. Mit eiserner Miene, gnadenlosen Augen und tiefer Stimme standen mir immer die Nackenhaare hoch, wenn er auftauchte.

Die Serie ist nicht zwangsläufig wichtig, um die Handlung des Spiels dramatisch voranzubringen, macht die Welt aber nachvollziehbarer – sie erklärt zum Beispiel das Verschwinden eines Wissenschaftlers, was zwischen Schußwechseln und Rätselpassagen ansonsten möglicherweise untergegangen wäre. Es ist allerdings auch nicht zu leugnen, dass Quantum Break im Vergleich zu den mächtigen Production Values von Serien wie Daredevil, Game of Thrones und Konsorten nicht die beste Figur macht. Viele Outfits und Kostüme sehen einfach nach Videospiel aus und lassen Szenen dilettantischer aussehen, als sie es verdient haben.

Insgesamt gibt es vier TV-Serien-Abschnitte. Bevor diese gestartet werden, wechselt die Perspektive: Statt des Helden Jack, spielt man nun den vermeintlichen Bösewicht Paul Serene. Diese Sequenzen fordern jeweils eine Entscheidung von Paul, der auf die gespielten Handlungen von Jack reagieren muss. Paul hat Visionen von der Zukunft und kann dementsprechend begrenzt vorhersehen, was seine Entscheidungen anrichten.  Dieser Perspektivenwechsel führt zu einer interessanten Dymanik: Als Jack steuert der Spieler zwar den Helden, trifft allerdings keine schwerwiegenden Entscheidungen. Treffe ich dagegen eine Entscheidung mit Paul, entscheide ich nicht nur über das Schicksal von Kindheitsfreund Jack, sondern bestimme auch selbst, wie böse und verrückt die Entscheidungen des Monarch-Chefs sind. Lasse ich eine Zeugin erschießen oder nutze ich diese für eine Schmutzkampagne gegen Joyce? Werde ich zum Mörder oder lasse ich die Massen manipulieren? Ich habe die Wahl, ob ich den Absturz von Paul Serene in die Bösartigkeit beschleunige oder versuche, ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Da es nur ein Ende gibt, sind diese Entscheidungen letzlich allerdings nicht so schwerwiegend, wie das Spiel einem weis machen will.  Gerade weil das Gameplay von Quantum Break an vielen Stellen arm an Highlights ist, hätte ich mir hier etwas mehr Konsequenz gewünscht. Auch sonst bietet das Spiel einige Wermutstropfen: Zeitreisengeschichten können naturgemäß sehr schnell sehr verworren werden — auch Remedy verfängt sich in diesen Windungen. (Ob Klarheit in der Handlung überhaupt das Ziel war, sei allerdings dahingestellt — Jack selbst versteht die Feinheiten der Zeitreisen jedenfalls nie komplett und steht damit zumindest auf derselben Stufe wie sein Spieler.)  Und ohne Zweifel sind die zahlreichen Gefechte im Spiel alles andere als zeitgemäß. Anfangs bringen sie durchaus Spaß , über den Spielverlauf aber werden sie zu repetitiv und können den Schwierigkeitsgrand nur durch die höhere Anzahl an Gegnern steigern. Das konnte man bereits Alan Wake zum Vorwurf machen, und es wirkt sechs Jahre später umso überholter.

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Bei allem Anlass zur Detailkritik fühlt es sich aber nicht ganz richtig an an, zu hart mit Remedys Experiment ins Gericht zu gehen. Insgesamt ist der unwahrscheinliche Hybrid aus Videospiel und Fernsehserie nämlich durchaus gelungen. Dazu tragen nicht nur die fähigen Schauspieler bei — auch die Setpieces und die visuelle Präsentation beweisen einmal mehr, warum das Studio so hoch angesehen ist. Zum guten Ruf trägt auch der sympathische Humor der Entwickler bei, dem Remedy auch in Quantum Break treu bleiben: sie liefern zuhauf versteckte Anspielungen auf die (Spiel-)Geschichte des Studios und sympathische Boni wie das Script für einen Film namens Time Knife, das man nur findet, wenn man die Spielumwelt aufmerksam durchsucht.

Quantum Break ist an vielen Stellen sonderbar, bricht dramaturgische Höhepunkte mit Humor, und bietet eine Handlung, der nicht immer leicht gefolgt werden kann. Dennoch wollte ich immer weiter spielen, wollte wissen, wie es mit Jack im Spiel und Charlie in der Serie weitergeht und war am Ende heilfroh, eine Xbox One zu besitzen.

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen
Originaltitel: Quantum Break
Plattformen: Xbox One, PC
Genre: Third Person Shooter
Entwickler: Remedy Entertainment
Veröffentlicht von: Microsoft

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