TrackMania: Turbo

Bunt wie Dreamcast, „brutal“istisch wie Stahlbeton

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Auf über 200 Rennstrecken könnte der geneigte Raser in TrackMania: Turbo Gas geben – wenn er es denn hinbekäme, jene durch Talent und Tatkraft freizuspielen. Nach einem Viertel der genannten Zahl war für RUDOLF INDERST allerdings schon Ende (Renn-)gelände. Berauschend war es dennoch.

TrackMania: Turbo ist das aktuelle Kokain unter den Arcade-Rennspielen! Dass ich ein Fazit an den Beginn eines Textes stelle, ist dem Geschwindigkeits-Dogma des italienischen Futurimus geschuldet: „Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit.“ (Filippo Tommaso Marinetti) Obgleich auch TrackMania: Turbo alles andere als unpolitisch daher kommt, zumindest in der von mir noch zu erläuternden Lesart, möchte ich an dieser Stelle futuristische-faschistische Liebeleien im Keim ersticken und noch einmal unterstreichen: Es geht um die unheimliche Verschwägerung von Beschleunigung und Geschwindigkeit! Die farbenprächtige Verneigung von Ilinx und Jägermeisterflaschengeexe in Kirmesfahrgeschäften auf Provinzfürstenfesten!

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Zum ersten Mal präsentiert auf der E3 2015, ist dieser Teil der TrackMania-Reihe für PC, PlayStation 4 und der Xbox One am 24. März 2016 erschienen. Schwindelfreie Piloten können in vier verschiedenen Umgebungen ihre Kotzresistenz unter Beweis stellen. Jene wurden von Entwickler Nadeo (der seit 2009 zu Ubisoft gehört) mit den illustren Namen „Rollercoaster Lagoon“, „International Stadium“, „Canyon Grand Drift“ und „Valley Down & Dirty“ versehen. Einzel- und Mehrspieler sowie ein Streckeneditor warten in der ersten Startreihe auf das Input-GO-GO-GO der SpielerInnen.

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Ich möchte im Folgenden kurz zwei potentielle Lesarten des Rennspieltitels skizzieren, die mir so historisierend einfielen, als meine Freundin und ich eine Bronzemedaille nach der anderen einfuhren (im Grunde eher sie. Manchmal auch nur sie. Oft. Sie.). Da ist zum Einen das Erahnen, dass TrackMania: Turbo eine einzig große Verneigung vor den großen Titeln der Sega Dreamcast darstellt. Es ist schnell wie Sonic, der vor dem Wal davonläuft, cool wie das geschwindigkeitstreibende Metropolis Street Racer , bunt wie ein urbane Taxifahrt in Crazy Taxi und abgefahren wie ein Roller-Blade-Ausflug in Jet Set Radio – oder doch surreal wie alle TV-Commercials für die Konsole zusammen?

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Eine Hardware, die derat hell strahlte, dass sie vom Roten Riesen zum Weißen Zwerg transzendierte. All die winkenden Katzen, Digitalwerbeflächen mit Roten Pandas, Babuschka-Puppen am Wegesrand und grinsenden Schweine mit umgeschnallten Audioboxen, die in der Luft schweben…popikonisches Sammelsurium, welches das essedum digitalis einhüllt, ihn trägt, schweben lässt, auf den Kopf stellt, die Perspektive wechseln lässt und am Ende der Strecke in eine ungewisse, nicht näher definierte Ferne katapultiert. Und das alles gabt Ihr auf? Für eine DVD-Funktion. Einer anderen Konsole. Ihr seid schlimme Menschen.

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Wenn ich schon fortlaufend LeserInnen durch schmierige, halbwahre Unterstellungen vergraule, sollte ich wenigstens die zweite versprochene Lesart liefern (bevor ich das Mic, das ich hart fallen ließ, wieder demütig aufheben muss, da mir noch was Essentielles einfiel – in etwa: „Wem gehört der weiße Mercedes? Ich kann nicht ausparken!“) Okay. Beton. Fahrspurerrichtung, die vorgibt, Everyday Architecture zu sein – ist das gespielter Brutalismus? Ein Urban Sprawl, der als theoretische geleitete Baupraxis sich als Krisenfaktor der Spätmoderne manifestiert? TrackMania: Turbo geizt nicht mit dem markanten, rohen Materialcharakters des béton brut, der sich inmitten herrlicher Tropenlandschaften mit einer seltsamen postökologischen Ästhetik in der Motivwahl – wie einem gestrandeten Superfrachter – zu paaren versucht und dabei an die verloren geglaubten Motive der Moderne anschließt.

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Freilich, über eine theoretische Kodifizierung hinaus, die hier im Schnellschuss gesellschaftliche Psychosen beschreibt, geht mein Verdachtsmoment nicht hinaus. Brutalistische Praxis zeigt in TrackMania: Turbo zugleich auf, dass eine unmittelbare Wirkung auf die Spieler offenbar Designern und Architekten wichtiger als Ikonographie und Stilfragen gewesen sind. Die Rennstrecken – diffuse und verworrene Versuche einer falsch verstanden Bau-Poesie, die sich eben nicht von dem Adjektiv „brut“ ableitet?

 

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen

Originaltitel: TrackMania: Turbo

Plattformen: Xbox One, PS4

Genre: Arcade-Racer

Entwickler: Nadeo

Veröffentlicht von: Ubisoft

Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in Kopenhagen und verliebte sich. Doppelt promoviert, übernimmt er Verantwortung als Ressortleiter für digitale Spiele hier bei nahaufnahmen.ch. Liebt Stanislaw Lem, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Game Studies / Spielanalyse / Game Business an der IU und krault sich gerne seinen Bart.

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