Gears of War 4
Generationenwandel
Die Besten gehen nach Top Gun. Oder zu den Gears. Für nahaufnahmen.ch haben genau das KAROLINE GORSKI und RUDOLF INDERST gemacht: die eine Neuling in der Serie, der andere ein alter Hase, mit drei Gears-of-War-Spielen unter dem Gürtel und unzähligen virtuellen Kerben im Kolben. Ist der Generationenwechsel im vierten Teil der Reihe geglückt? Und ist Bizeps nach wie vor die entscheidende Währung auf Sera? Lasst es uns herausfinden…
Für Neueinsteiger in die Gears-Saga, die nun auch am PC ballern können, erleichtert die Story die Eingewöhnung in einer Welt, die vielen Nerds bereits vertraut ist. Bei zahlreichen Spielen beginnt die Story mit einem gedächtnislosen Charakter, in dessen Haut sich der Spieler in der neuen Welt orientiert. Statt dessen nutzt Gears of War 4 Rückblenden, um die Feinde und Fronten vergangener Teile ins Zentrum zu rücken und ein Tutorial aus der Perspektive von gesichtslosen Rädchen der kriegerischen Story zu schildern. Gleich zu Anfang wird klar: Es geht um eine neue Generation der Geschichte, eine neue Welt und neue Probleme, an die sich neue und alte Spieler gewöhnen müssen. Dabei entwickelt sich sie Story glaubhaft — auch als die neue Generation bei Problemen aus vergangenen Teilen einen Veteranen um Hilfe bittet und sich dieser nach einer schroffen Starthilfe aus dem aktuellen Kampf zurückzieht, um das Feld den Jungen zu überlassen: eine schön umgesetzte Geste für die Gears-Fans der neuen Stunde. Besonders positiv fällt auf, dass Frauencharaktere allesamt stark auftreten und die aktuelle Entwicklung in der Medienlandschaft in diesem Sinne unterstützen. Die neue Hauptakteurin, Kait, hat allerdings in dieser Hinsicht noch etwas Verbesserungspotential. So muss sie unnötigerweise als erste Person Herzblut und Tränen lassen.
Die neu eingeführten Sympathieträger JD (seines Zeichens Sohn von Marcus Pheonix, dem Protagonisten der ersten drei Gears-Spiele), Kait und Del geben sich gleich von Anfang an natürlich und mit Witz, die Lokalisation klingt nur unter den alten Charakteren etwas zu aufgepumpt. Das entspricht aber durchaus den Unterschieden der Generationen und macht das Aufeinandertreffen unterhaltsam. Auch wenn wir hier nicht gleich die Nähe zu unserem Charakter JD aufbauen, ist er leicht ernst zu nehmen. Vor allem nimmt man ihm die Beklemmung ab, die er beim Aufeinandertreffen mit einem sehr persönlichen Endgegner, seinem Vater, spürt. Dialoge unter den Kameraden und der Kameradin finden parallel zur Erkundung der Umgebung statt und so entwickelt sich in den ersten Spielstunden die Tiefe der Charaktere recht gut. Besonders der nahtlose Übergang von Storysequenzen in Schießereien macht Spaß und hält die Aufmerksamkeit hoch. Das klappt immer wieder ungewohnt unbeschwert und hinterlässt den unaufmerksamen Spieler schnell mal in Mitten eines Kampfes. Dann interagieren die Charaktere und die Kugelfänger gut mit dem Hintergrund, was eine schöne Ergänzung zum Gameplay ist. Während der auf dem Planeten typischen Stürme können festgemachte Gegenstände freigeschossen und auf Gegner losgelassen werden. Vorausgesetzt JD ist in Sicherheit.
Das Kanonenfutter nutzt serientypisch ein Überangebot aus Deckungsmöglichkeiten, was die ersten Akte ein wenig eintönig macht. Auch fallen in den ersten Stunden die freie Bewegung und Erkundung der Umgebung eher knapp aus. Daher verließ mich die Motivation gelegentlich beim Spielen, hatte ich doch auf eine Alternative zu Mass Effect gehofft, mit mehr Bums, abgefahrenen Waffen und klug gesteuerten Kumpanen. Bisher vermisse ich Spezialfähigkeiten und besagtes Erkunden sowie Interagieren mit der Umgebung. Vor allem mehr oder weniger belanglose Gesprächsfetzen, wie man sie aus umgebungsdichten Games wie Final Fantasy oder Metro kennt, fehlen am Anfang leider komplett. Die Hoffnung auf deutlich mehr Abwechslung bezüglich Wendungen, Waffen und Gegnern ist aber immer noch sehr stark.
Zweitmeinung Rudolf Inderst
Der Title Screen des Third Person Shooters Gears of War 3 im Jahr 2011. Bis auf die blutrote Ziffer „3“ beherrscht eine sehr zurückgenommene, sehr gedämpfte, fast als monochrom zu beschreibende Farbpalette den Bildschirm. Gräuliche Töne dominieren, und ein dichtes Netz aus nicht näher zu definierendem Organischen wabert gediegen und ruhig vor sich hin. Dunkle Verästelungen, einem Netz von schwärzlichen Blutgefäßen gleich, bilden einen finsteren, nihilistischen Kranz um einen Totenschädel, dessen makabres Grinsen vom Spieltitel überlagert wird. Dennoch starrt er SpielerInnen aus leeren Augenhöhlen an. Das Ende einer Trilogie, von der man zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, wie sie enden mag. Press Start – und Du findest es heraus. Die Musik unterstreicht das Schicksalhafte, das Wagnereske der bevorstehenden Entscheidung: Streicher geben ihr letztes Hemd und vereinzelt durchschneidet ein beinahe schrilles Horn die Dämmerung wie ein ultrastarker Scheinwerfer eine bedrohliche Nebelfront.
Generationenwechsel
Schnitt. Generationenwechsel. Xbox 360 gestern. Heute die Xbox One. Vergessen wir für einen Moment Judgement und das Remastering des ersten Teils. Kontentrieren wir uns auf Gears of War 4. Der verlorene Sohn. Das Hauptmotiv des Spiels. Sofort und klar. Der junge, bullige Mann, der dennoch ein wenig aufgeschwemmt wirkt, nimmt einen Großteil des Title Screen ein. Ein zartes Spotlight ist auf sein Gesicht gerichtet. Durch Abschürfungen und kleine Schnittverletzungen wirkt der CIS-Protagonist zwar etwas abgekämpft, aber seine Augen verraten durch ihren stolzen und herausfordernden Blick, dass jederzeit mit ihm zu rechnen sei. Man nenne die Herausforderung und er wird sie meistern. Wird es schaffen – freilich geführt von SpielerInnen.
Ein Brustkorb sie alle zu knechten
Diesen wird auch schwarz-bläulich schimmerende Rüstung auffallen, die der Jungspund trägt: Ein Schulterriemen, der wie die Akkubalken eines Smartphone wirkt. Ein Fadenkreuz am unteren Bildschirmrand gehört zu einer Waffe, die mit ihrer oberen Hälfte ins Bild ragt. Man vergesse besser nicht, was die Aufgabe im Spiel sein wird: diese zu benutzen. Oft. Unnachgiebig. Die Genre- und Serienerwartung an das Spiel ist jedoch derart ausgeprägt, dass ein Mehr an Sturmgewehr nicht nötig ist. Es ist zu jedem Zeitpunkt klar, dass das tödliche Handwerk elementarer Bestandteil von Gears of War 4 sein wird. Lässig wippt er auf und ab, wiegt sich im imaginären Wind – der Brustkorb einer Gefrierkombo, der dennoch im Gegensatz zu dem seines Vaters , der menschgewordenen Hyperhetero-Anti-Barbiepuppe, schmächtig wirken muss.
Was für eine Welt
Während die „4“ dasselbe Lebenssaft-Rot abstrahlt wie das vergangener Gears-Tage, ist das Play-Zeichen im Schriftzug Press to play“ nun animiert. Es wirkt damit auffordernder: Finde heraus, ob Du es nach fünf Jahren noch drauf hast. Komm schon, zeig, was Du kannst und aus welchem Holz Du geschnitzt bist. Links oben. Ein weiteres Detail. Während die Musik auch hier sinister-erwartungsvoll durch den perfekt abgemischten Raum schleicht, erscheint rhythmisch der bekannte bleiche Totenschädel an einem Nachthimmel, der, bevor er den Morgen erleben darf, noch viel Blutvergießen wird dulden müssen. Er ist zugleich Vorbote wie Symbol der Erinnerung: Die Welt von Gears of War 4 ist ein nur äußerst mühevoll eingezäunter Naturzustand, in der man nie weiß, wer gerade Leviathan und wer Opfer desselbigen zu werden droht. Und ich liebe sie.