The Last Guardian

Die letzte Hoffnung

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The Last Guardian ist Wirklichkeit. Was lange Zeit nicht mehr als ein kühner Traum war, wurde von Sony nun doch zu Ende geführt. Seit Beginn der Entwicklung sind nunmehr fast zehn Jahre vergangen, die offizielle Ankündigung des Titels 2009 liegt schon mehr als eine ganze Konsolengeneration zurück. NORMAN VOLKMANN begab sich in die schützenden Klauen von Trico, suchte glühende Fässer und staunte über eine wunderschöne Welt voller Mysterien.

Mir war nach weniger als einer Spielstunde bereits klar, dass es sich bei The Last Guardian um ein ganz besonderes Spiel handelt. Dabei war es eigentlich viel wahrscheinlicher, dass man mit dem Titel in die Fußstapfen eines Duke Nukem: Forever tritt – nur eben für die Artsy-Fartsy-Spieler. Und es braucht auch mal wieder ein Artsy-Fartsy-Spiel wie The Last Guardian, um zu zeigen, wie unsinnig es ist, Spielen als Bewertung eine Zahl zuzuweisen. Es zeigt, wie überflüssig es ist, über grafische Macht zu sprechen oder über technische Fehlerlosigkeit. Sicher, The Last Guardian ist keine Techdemo für die PlayStation 4 und auch kein Spiel, das technisch state-of-the-art ist. Aber andererseits ist der Titel auch mit keinem anderen Spiel zu vergleichen. Wieso also sollte man das mit Zahlenbewertungen versuchen? Am ehesten sucht man Parallelen zu Shadow of the Collossus oder Ico – die indirekten Vorgänger also. The Last Guardian ist ein Spiel über Freundschaft, Verlust und Vertrauen.

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Ich habe mehr als zehn Stunden mit Trico und dem namenlosen Jungen verbracht und mich kein einziges Mal über Tricos Behäbigkeit geärgert, oder darüber, dass er nicht aufs Wort hört. Trico ist so einzigartig als Figur und Videospiel-Begleiter, dass es unmöglich für mich war, ihn nervig zu finden. Das Katzen-Vogel-Vieh wuchs mir in Rekordzeit ans Herz. Nachdem man als kleiner Junge in eine Höhle zusammen mit dem stark verletzten Wesen aufwacht, ist von Freundschaft nicht viel zu spüren. Erst nachdem man ihm blauschimmernde Fässer zum Verzehr hinwirft, wird das Tier zutraulicher und weniger feindselig. Die gesamte Reise durch die alten Gemäuer der mysteriösen Festung, das Überwinden von Hindernissen und der gemeinsame Kampf gegen körperlöse Wächter in Rüstungen; all das schweißt nicht nur Trico und den Jungen zusammen, es fesselte auch mich als Spieler sofort. Verantwortlich dafür ist vor allem Tricos Verhalten. Wie eine Katze wackelt er mit den Hüften, bevor er zum Sprung ansetzt, wie ein Hund legt er die Ohren an oder den Kopf schief, wenn er etwas nicht versteht. Verschwindet man in einem Raum, in den er nicht folgen kann, steckt er seinen Kopf durch viel zu kleine Öffnungen und krächzt dem Jungen hinterher. Obwohl er so groß ist, dass er seinen menschlichen Gefährten leicht mit den Füßen zertreten könnte, strahlt das Wesen eine Verletzlichkeit und Authentizität aus, die vorher kein KI-Begleiter so auszeichnete. Nach einem Kampf muss der Junge nicht nur Speere aus dem Körper der angeschlagenen Kreatur entfernen, mit Streicheleinheiten muss man Trico erst einmal beruhigen. Während der Plattformer-Einlagen rumpelt es, Steine fliegen, Strukturen werden zerstört. Das Wesen ist zu groß und tollpatschig für seine zerbrechliche Umgebung – aber auch der Fingerzeig auf die schiere Macht, die diese Kreatur in sich trägt.

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Lange Zeit ist nicht klar, wie der Junge und Trico überhaupt zusammen in der Höhle gelandet sind und was es mit dem Ort auf sich hat, an dem sie sich befinden. Alles scheint vergessen und verlassen. Einige Fragen klären sich im Laufe des Spiels durch Zwischensequenzen, doch vieles bleibt auch nach dem Ende unklar. Was Trico für ein Wesen ist und warum er beispielweise Blitze mit seinem Schweif verschießen kann, erfährt man nicht. Gleiches gilt für die bläulichen Hörner, die im Laufe des Abenteuers deutlich wachsen. Ebenfalls spannend: Die alten Gemäuer in dem sagenumwobenen Krater, in dem man sich befindet und die körperlose Macht, die über das Tal wacht und auch Trico mehrfach unter Kontrolle hat.

Die Reise und Suche nach einem Ausweg ist der spielerische Fokus des Titels. Der Weg führt durch tiefe Höhlen, alte Türme und wackelige Holzplanken in schwindelerregender Höhe. Ohne Teamwork geht nichts. Dabei klettert und springt der Junge in bestimmte Areale, die Trico nicht erreicht, betätigt Hebel und macht somit den Weg für die Kreatur frei. Muss man höhergelegene Stellen, stellt sich Trico an einer Wand hoch, sodass man auf ihn klettern und diese Punkte erreichen kann. Trico überwindet weite Abgründe und lässt sich vom Jungen in bestimmte Richtungen lotsen. In brenzligen Situationen schreit der Junge nach dem Tier, im Dunkeln flüstert er und ist er verletzt, ruft er seinen Kumpanen mit letzter Kraft. Im späteren Verlauf des Spiels ist man darauf angewiesen, in Abgründe zu springen und sich von Trico auffangen zu lassen. Auch dieser Vertrauensbeweis schweißt das ungleiche Team weiter zusammen. Die Kreatur fängt den Jungen mit dem Maul und befördert ihn mit einem Schwung auf seinen Rücken, bevor es weiterläuft und zum nächsten Sprung ansetzt. Auch wenn die Rätsel und die Plattformer-Parts nicht zähneknirschend schwer sind, baut The Last Guardian darauf, dass der Spieler seine Umwelt entdecken und Dinge ausprobieren will. Nach blinkenden Elementen, die den Weg weisen, sucht man vergebens. Vorsprünge, über die man klettern kann, kann man nur selbst entdecken und auch nicht jede Efeu-Wucherung führt automatisch zum Ziel. Für einige mag das nicht mehr zeitgemäß sein, eine andere Lösung wäre dem Spiel und dem Element des Entdeckens allerdings nicht gerecht geworden. Gutes Gamedesign zeichnet sich eben nicht dadurch aus, dass man dem Spieler nach 10 Sekunden direkt 17 Hinweise auf das Weiterkommen gibt.

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The Last Guardian wird vermutlich kein Kassenschlager und in zehn Jahren als genau das gelten, was es im Grunde seit zehn Jahren ist: ein Geheimtipp. Für Frames- und Pixelzähler sowie Ungeduldige gibt es hier nicht viel zu sehen. Der Bombast beschränkt sich auf einige kleine Momente – als Trico zum ersten Mal die Flügel spreizt und zwischen zwei Türmen gleitet, überkam mich ein wohliges Gefühl des Erfolgs. Dafür muss man sich allerdings auf die Geschichte und die Beziehung der beiden Hauptfiguren einlassen. Ohne die Absicht zu haben, elitär zu klingen: The Last Guardian ist nichts für die breite Spielerschaft und umso bemerkenswerter ist es, dass 2016 ein solches Spiel noch den Weg auf den Markt findet. Ich freue mich über jeden, der die Schönheit des Titels abseits technischer Richtlinien erkennen und wertschätzen kann und dabei eine ähnliche Spielerfahrung hatte, wie ich. Spiele, bei denen ich an manchen Stellen tatsächlich Gänsehaut bekomme, kann ich an einer Hand abzählen – die Hoffnung, dass es auch in Zukunft weiterhin solche Titel gibt, bleibt aber weiterhin bestehen. Hoffentlich müssen wir bis zum nächsten Mal nicht wieder so lange darauf warten.

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In einer Ausgabe von Polyneux spricht habe ich mit den lieben Kollegen von Polyneux noch mehr über Trico und The Last Guardian geschwärmt. Mit von der Partie: Urs Ruben Kersten und Volker Bonacker von Polyneux sowie Christian Kurowski von Gameswelt.

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen
Originaltitel: The Last Guardian
Plattformen: PlayStation 4
Genre: Adventure
Entwickler: genDESIGN, SIE Studio Japan
Veröffentlicht von: Sony

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