774 Stunden War Thunder and still lovin‘ ze Immelmann

Es ist halt noch immer Liebe.

War Thunder hat PETER KLEMENT freundlich daran erinnert, seinen sprichwörtlichen E-Penis in den sozialen Medien zu teilen und in Steam erbarmungslos die Zeit mitgeloggt, die er mit Luftkämpfen zugebracht hat – anstatt etwas Anständiges zu tun, eine Fremdsprache zu lernen oder seine Blockflötenskills wieder aufzufrischen. Eine nüchterne Bestandsaufnahme.

Seht meinen E-Peen, ihr Mächtigen und verzweifelt!

Ich habe lange drüber nachgedacht, warum es mich wieder zu War Thunder zurückzieht, obwohl mir im fortgeschrittenen Spieleralter die künstlichen Durststrecken und die fiesen motivationspsychologischen Daumenschrauben in Free2Play- und Vollpreistiteln inzwischen gewaltig auf die Nüsse gehen. Battlefield 4 habe ich mir erst gekauft, als es für fünf Euro verscheuert wurde. Auf Battlefield 1 habe ich nur einen Blick geworfen, die Progressionsmechanismen und Loot Boxen gesehen und bin lachend weggelaufen. Sogar bevor ich festgestellt habe, dass das Ding quasi eine Dieselpunk-Homage an den ersten Weltkrieg ist, mit mindestens halbautomatischen Waffen für ALLE und Raketen für leicht entflammbare Flugzeuge.

Gamification essen Seele auf

Beide Battlefield-Teile sind Vollpreisspiele, die sich aber trotzdem an diesen Mechanismen bedienen, um die Spieler mit Fortschrittbalken bei der Stange zu halten und noch den einen oder anderen Euro aus ihnen rauszupressen. War Thunder ist ein Free2Play-Titel, damit auf dieselben Prinzipien angewiesen und setzt sie auch mit einer eher…sowjetischen…Kundenfreundlichkeit ein. Trotzdem, es zieht mich immer wieder zu diesem Spiel zurück. So weit, dass ich inzwischen meine eherne Prinzipien über Bord geworfen habe und mir einige dieser überteuerten Fahrzeugpakete zugelegt habe, nur um noch mehr Spielzeug zu haben.

Ganz kurz: Einen Beitrag mit meinem Eindrücken bei Zählerstand 100irgendwas könnt ihr hier finden, der Meinung bin ich im Wesentlichen auch noch als grauhaariger Veteran mit einem gewaltigen Achievement-Gepränge. Mit dem Unterschied, dass ich jetzt zu alt für diese Hammerhead-Scheiße bin, die ist mit inzwischen einfach zu riskant.

Neu ist, dass ich War Thunder sehr schätze, dass ich den Spielzustand mit jeder Aktion viel maßgeblicher beeinflussen kann als es in den meisten modernen Multiplayer-Spielen der Fall ist. Und weil die Bewegung im dreidimensionalen Raum halt noch immer komische Dinge mit dem Belohnungszentrum meines Gehirns tut, das inzwischen nicht mehr so gut auf Texteinblendungen wie „Killed MasterBlast0r, 500 XP“ anspringt.

Nehmen wir die Battlefield-Reihe als Gegenbeispiel, die inzwischen auch für Fahrzeuge regenerierende Trefferpunkte verwendet, wie es in den vorherigen Teilen schon bei der Infanterie der Fall war. Der Vorteil dieses spielmechanischen Kniffs: Das Spiel befindet sich in einem permanenten Flusszustand, in dem alle Beteiligten so schnell wie möglich die zentralen Spielelemente so gut wie möglich ausführen können.

Shoot, Kill, Die, Respawn, Repeat

Der Nachteil: Potentiell dreht sich die Situation so lange im Kreis, bis ein Punktesieg ausgerufen wird. Zwei Spieler laufen sich über den Weg, beschießen sich, bis beide Beteiligten etwas wacklig auf den Füßen sind und verkrümmeln sich wieder hinter ihre jeweilige Ecke, bis es ihnen wieder besser geht. Dann beschießen sie sich wieder, bis sie wieder etwas wacklig auf den Füßen sind.

Am Ende wird der zum Sieger ausgerufen, der mehr Kugeln in die interessanteren Teile der Anatomie des Gegners versenkt hat. Schnelle Zyklen, bei einer gleichzeitigen Stagnation der Situation, denn es gibt keinen Grund das eigene Verhalten grundlegen zu ändern, wenn der Status Quo in einigen Sekunden wieder hergestellt ist.

In War Thunder ist nicht nur wichtig, ob ein Loch im Motor ist oder nicht, sondern auch wie schnell und hoch mein Gefährt ist. Denn all diese Ressourcen sind begrenzt und müssen ab den ersten Spielsekunden immer gegeneinander abgewägt werden und dann auf die Spielsituation als Ganzes übertragen werden: Riskiere ich noch einen Luftkampf oder fliege ich zurück zur Basis und gebe dafür meine wertvollen Ressourcen Höhe und Geschwindigkeit auf, um dafür wieder mit voller Munition, einem ganzen Motor, aber in unterlegener Position zurückzukehren. Oder riskiere ich noch einen Luftkampf, obwohl ich in drei Minuten aus dem Himmel falle?

Der Gegner hat die Luftüberlegenheit? Dann wird es hässlich.

Dadurch werden alle Entscheidungen wertiger und vor allem tiefgreifender: Battlefield und Konsorten versuchen, ein Equilibrium zu erzeugen, in dem alle brav in ihren durchdesignten „Core Gameplay Loops“ rotieren. Also den Spielmechnismen, die die Designer als zentral definiert haben und die daher so oft wie möglich durchlaufen werden sollen – weil da steckt der „Fun“ drin, nech.

In War Thunder sind diese Loops zwar genau so vorhanden, aber komplexer und dadurch auch länger interessanter, denn es gibt immer einen neuen Trick zu lernen oder noch schneller eine Situation richtig zu interpretieren. Für ein Spiel, das auf einer Simulation basiert, ist es im besten Sinne schnell zu erlernen, aber schwer zu meistern und erfüllt durch seine komplexe Spielwelt das Zitat des Civilisations-Entwicklers Sid Meier: „Ein Spiel ist eine Reihe von interessanten Entscheidungen.“

Aber genug der Theorie, ich versuche einen schnellen Ausflug in die Praxis zu machen. Bei War Thunder gilt: Geschwindigkeit und damit Energie ist Leben. Sie lässt sich nur zuverlässig in der Form von Höhe speichern. Je mehr ein Flugzeug manövriert, desto mehr Energie verliert es, je mehr Energie es verliert, desto schwerfälliger wird, je schwerfälliger es wird, desto geringer die Lebenserwartung. Kommen wir zu einer kurzen Vorstellung der Tanzpartner: Eine XP-50 mit hoher Steigleistung, aber schlechter Manövrierfähigkeit und eine P-39Q mit guter Steigleistung, guter Manövrierfähigkeit und extrem gefährlicher Frontalbewaffnung, die mich mit einem Treffer des Hauptgeschützes aus dem Himmel putzen kann.

Ich habe die Steigleistung meiner Maschine genutzt, um mir einen Höhenvorteil zu verschaffen und das lässt mich aus Übermut gleich die erste Dummheit begehen: Ich lasse mich auf den Frontalangriff meines Widersachers ein. Ich kann in den Sinkflug, um ihn anzuvisieren, er muss in den Steigflug. Ich gewinne Energie, er verliert sie und zwar so viel davon, dass er seinen Angriff abbrechen muss und mir so einen ersten Schuss ermöglicht, der ihn aber nicht schwer beschädigt.

Er entscheidet sich für eine horizontale Wende, die ihn weitere Energie kostet, in der Hoffnung sie schnell genug zu machen, um mich ins Visier zu bekommen. Ich verlängere meinen Sinkflug in eine horizontale Wende, um wenig Energie zu verbrauchen und schnell aus seiner Reichweite zu kommen, falls er mich ins Visier bekommen sollte.  Wir passieren uns knapp und ich verwandle meine Energie aus dem Sinkflug und dem sparsamen horizontalen Manöver direkt wieder in Höhe, um die Begegnung weiter diktieren zu können. Er hat durch einen leichten Sinkflug ebenfalls wieder Geschwindigkeit gewonnen und hofft durch eine weitere energieintensiver horizontale Wende die Entscheidung herbeiführen zu können.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Entscheidung bereits gefallen: Durch die energieintensiven Manöver ist sein Flugzeug langsam und schwerfällig geworden und damit ein leichtes Ziel für mich. Hätte er sich ebenfalls für vertikale Manöver entschieden, hätte ich vermutlich schlechtere Karten gehabt und eventuell sogar fliehen müssen, solange ich noch genügend Geschwindigkeit dazu gehabt hätte. Zuletzt versucht er genau das und geht in den Sturzflug, um Distanz zu schaffen, doch dadurch wird er nur zu einem leichteren Ziel.

Eine solche Tiefe ist in den meisten Titel, zu Gunsten der schneller rotierenden Gameplay Loops, nicht mehr zu finden: Eine durchschnittliche Begegnung zweier Spieler wird dort in der TTK, der „time to kill“, bemessen – also dem Zeitpunkt nach Beginn der Begnung, bis die Waffe so viele Kugeln gespuckt hat, um das Gegenüber aus den Latschen kippen zu lassen, auf dass der E-Peen schnell und zuverlässig wachse. Was in Battlefield Sekunden dauert kann in War Thunder über einige Minuten gehen, denn es gibt keine bequemen Ecken, hinter denen man sich verstecken kann.

GTFO? Nur mit Planung

Was es auch ein bisschen knifflig macht sich abzuseilen, wenn sich das Blatt zu den eigenen Ungunsten wendet. So stirbt man sich langsam aber sicher an eine gesunde Situationseinschätzung heran: „Eine fiese Prügelei mit zwei Spitfires? Maximal mit hoher Energieüberlegenheit und dann auch nur ein schneller Vorbeiflug.“ Es gibt in War Thunder nicht diese tote Zeit, wie man sie in modernen Shootern vorfindet, in denen man vom Spawnpunkt wieder zurück ins Gefecht latscht. Leerlauf nutze ich, um Höhe und damit Optionen zu gewinnen, der Spielzustand muss permanent gelesen werden: Wo ist das gegnerische Team stark, wo schwach, ist unsere Luftüberlegenheit hoch genug, um Bodenziele angreifen zu können.

Ich denke, ich werde noch eine ganze Weile eine Reihe interessanter Entscheidungen in War Thunder treffen, anstatt endlich mal was Vernünftiges mit meiner Freizeit anzufangen.

See you in the Skies.

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen

Originaltitel: War Thunder
Plattformen: Windows/PS4
Entwickler: Gaijin Entertainment
Veröffentlicht von: Gaijin Entertainment

Im Netz: Offizielle Seite des Spiels

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