Erika Sommer: „Das geheimnisvolle Tagebuch“
Liebe, Tod und Racheengel
Erika Sommer: Das geheimnisvolle Tagebuch (Roman)
Eine Beerdigung in Schwamedingen, ein uneheliches Kind, ein internierter Pole, ein Racheengel und ein Tagebuch. Damit ist ein neuer Schweizer Krimi geboren. Erika Sommer schafft mit ihrem ersten Kriminalroman ein packendes Lesevergnügen. Das Buch bietet aber nicht nur Spannung, sondern bringt auch einen unbekannten Teil der Schweizer Geschichte ans Licht.
Kaum lernt Martina an der Beerdigung einer nahen Verwandten deren uneheliche Tochter kennen, kommt die Geschichte ins Rollen. Die junge Cellistin will den Ungereimtheiten ihrer Familiengeschichte auf den Grund gehen. Fasziniert von der vermeintlichen Liebesgeschichte zwischen der Verstorbenen und einem in der Schweiz internierten Polen, beginnt Martina nachzuforschen. Dabei kommt ihr David zu Hilfe, ihre neue Liebe. Dieser ist gerade als Geschichtsstudent in Polen unterwegs und kann seine Freundin mit Nachforschungen vor Ort unterstützen. Als sie jedoch beginnen, tiefer zu graben, wird es gefährlich.
Überraschend unkonventionell
Ganz unerwartet trifft die Leserschaft zuerst auf eine amüsante Beschreibung der Hauptfiguren – ein eher ungewohnter, aber erfrischenden Start für einen Krimi. Die danach folgende Beschreibung des Gemäldes «Angelus Novus», dem Racheengel von Klee, bietet dagegen einen kurzen Vorgeschmack auf die kommende Spannung. Im Hauptteil schliesslich verbindet die Autorin gekonnt verschiedene Genres zu einem eigenen Stil. So wechselt sie beispielsweise fliessend zwischen der Form eines Krimis und eines Briefromans sowie zwischen Perspektiven von Martina, David und einer allwissenden Erzählperson.
Geschichte leicht verpackt
Auf eine spannende Weise verbindet Sommer eine individuelle Familiengeschichte mit einem Stück Schweizer und Polnischer Vergangenheit. Ein Stück Vergangenheit, dem sich – wenn überhaupt – nur wenige Romane widmen: die Schweizer Internierungslager während des zweiten Weltkrieges. Dabei vermittelt die Autorin interessantes Hintergrundwissen zur damaligen politischen Situation und zu den zwielichtigen Machenschaften. Bis in die Gegenwart holen die Schatten dieser Zeit Martina und David auf gefährliche Weise ein.
Fliessband-Krimi ade
Wer nun einen hochtourigen Action-Krimi oder eine heisse Liebesgeschichte erwartet, ist bei diesem Krimi fehl am Platz. Sommer versteht es, die Spannung langsam anwachsen zu lassen. Sie bietet dabei den Charakteren Raum, vielschichtig zu werden. Trotz der jungen Beziehung bleiben auch heisse Szenen zwischen den beiden jungen Leuten aus. So wie sie in manchen Krimis zum Zwecke des «Sex Sells» eingeworfen werden. Die Hauptfiguren bleiben vielleicht gerade deswegen bis ans Ende erfrischend kantig und authentisch.
Gegen Schluss kommt es zu einer höchst unerwarteten Auflösung. Die an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird. Nur soviel: Sie werden sich beim Krimi «das geheimnisvolle Tagebuch» einen Schneesturm herbeiwünschen, um ungestört zu Ende lesen zu können.
Titel: Das geheimnisvolle Tagebuch
Autorin: Erika Sommer
Verlag: Orte Verlag
Seiten: 195
Richtpreis: CHF 21.60