Mass Effect: Andromeda

Die Arche der Idioten

I got 99 problems and then some

PETER KLEMENT hat Mass Effect: Andromeda 101 quälende Stunden nicht verstanden, in denen er seinem schwäbischen Aufräumzwang erlegen ist. Er hat Kisten gescannt, Mineralien gescannt, den Boden gescannt, eine Müslipackung gescannt und zwischendrin mit vielen Lebensformen geredet, die um Himmelswillen keine Personalverantwortung hätten bekommen sollen. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, auf zur Rekonstruktion des Tathergangs.

Ich gestehe: Der größte Idiot in Mass Effect: Andromeda war ich, denn es hat mich 100 Stunden Spielzeit und einige Biere mit guten Freunden gekostet, um die Puzzlestücke zusammenzufügen. Raus kam ein Bild meiner selbst mit Narrenkappe, aber immerhin im Weltraum.

Here be Spoilers, weiterlesen wäre Narretei!

In Mass Effect: Andromeda machen sich fünf Archen auf eine über 600 Jahre lange Reise durch das Nichts zwischen der Milchstraße und der namensgebenden Galaxie Andromeda, um sie mit Milchstraßenvölkern zu besiedeln. Die Völker Asari, Turianer, Kroganer und Salarier sind Mischungen, die man – vor allem aus Star Trek – kennt, ein bisschen umgeschminkt und mit neuen Attributen versehen: Die Asari matriachalische Jedi mit einem komplizierten Kodex, die Kroganer quasi Klingonen und so weiter. Dazu wurden in der neuen Heimat fünf Planeten ausgewählt, die von je einer Arche angeflogen werden sollten.

Kaum angekommen stellt sich heraus, dass der Planet, der für die menschliche Arche vorgesehen war, ein lebensfeindliches Ödland ist. Es aber einen alten Alien-McGuffin gibt, der alles wieder heile macht. Dieser narrativ höchst praktische Terraformer kann aber nur durch den Pathfinder bedient werden, der eine Synthese mit einer künstlichen Intelligenz eingegangen ist. Weltenretter Nummer Eins und Protagonisten-Papa stirbt und vermacht Titel und Position dem Sprössling, den die SpielerInnen als Avatar auserkoren haben – wie man das aus qualifikations- und leistungsorientierten Organisationen aus der Zukunft eben so kennt.

Nach den ersten Stunden Spielzeit stellt sich heraus, dass der Nachwuchs die Fähigkeit, die sogenannte Remnant-Technologie zu bedienen zusammen mit der Symbiose  zwischen Menschenhirn und künstlicher Intelligenz namens SAM geerbt hat. Damit ist die Spielfigur die einzige, die Planeten durch praktisch platzierte Terraformer wieder zum Leben erwecken kann. Die aller, aller einzigste wo gibt! Die letzte, beste Hoffnung für zehntausende eingefrorene Kolonisten, die sonst die Wahl zwischen verhungern und ersticken haben und damit beginnt eine lange Reihe unglaublich dummer Entscheidungen, die sich nur mit dem Narrenschiff oder Douglas Adams “Per Anhalter durch die Galaxis” erklären lassen.

Erster Halt – das Narrenschiff

Ich bin so frei hier einen Auszug des Wikipedia-Artikels zu Wort kommen zu lassen:

Das Narrenschiff (alternativ: Daß Narrenschyff ad Narragoniam) des Sebastian Brant (1457–1521), 1494 gedruckt von Johann Bergmann von Olpe in Basel, wurde das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation. Es handelt sich um eine spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von über 100 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive Land Narragonien entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch und satirisch den Spiegel vorhält.

Zurück zum Plot: Die fünf Archen sind unbewaffnet, haben jeweils ca. 20.000 Kolonisten an Bord und treffen recht bald auf Aliens, die in ihrem Teil des Universums noch nie etwas von der Genfer Konvention gehört haben. Es gibt keinen Plan B, falls dem Vorauskommando etwas passiert, was natürlich passiert oder falls die Planeten sich doch als Nieten entpuppen. Andromeda und Narragonien sind plötzlich gar nicht mehr so verschieden.

Zweiter Halt – Douglas Adams’ “Per Anhalter durch die Galaxis”

Die Bewohner von Golgafrincham ersonnen sich einen ziemlich ausgefallene Geschichte vom bevorstehenden Untergang ihres Planeten, der entweder durch den Sturz in seine Sonne, riesige Piranha-Bienen oder eine mutierte Sternenziege herbeigeführt werden sollte. Um dem anscheinenden Weltuntergang zu entgehen, bauten sie drei Archen: In die erste Arche A sollte alle Wissenschaftler, und Führungspersönlichkeiten; in Arche C alle Leute, die handwerkliche Berufe hatten. Die hier aus der Reihe gesprungene Arche B sollte alle Filmproduzenten, Telefondesinfizerer, Frisöre, Unternehmensberater und Versicherungsvertreter aufnehmen. Nur Arche B wurde tatsächlich losgeschickt und die Bevölkerung von Golafrincham lebte ein glückliches Leben, bis sie durch eine Seuche ausgelöscht wurde, die als Quelle nicht desinfizierte Telefone hatte.

Dritter Halt – Andromeda Galaxis, Nexus Kommandozentrum

Nachdem ich erfolgreich an Bord gegangen bin und von allen Funktionären beglückwünscht wurde, dass dieser Clusterfuck eines Projekt ganz allein mein Problem sei, weil ich den Job von Papa geerbt habe, stolpere ich über meine ersten beiden Aufgaben, die mich ganz klar darauf stoßen, dass hier etwas falsch gelaufen ist.

Erstens

Ein Azubitechniker hat Schwierigkeiten mit Kabelbränden, die nach Sabotage aussehen und bittet mich darum, als unverdächtiger Neuankömmling die Sache aufzuklären. Dazu aus Projektmanagementsicht zwei Anmerkungen: Man muss schon ein ziemlicher Hohlpfosten sein, um auf der Raumstation, also dem Ding, das einen vor einem hässlichen Tod im Vakuum bewahrt, ein Feuer zu legen.

Zweitens

Ich bin mit einer scheiß Arche mit 20.000 Lebewesen angekommen, davon wird schon eines einen Scanner richtig halten können. Ein Wissenschaftler bittet mich Mineralien auf verschiedenen Planeten zu scannen, damit er mehr Wissenschaft machen kann. Keine völlig hahnebüche Forderung, als Pathfinder kommt man per Definition ein wenig herum. Auch dazu eine Anmerkung: Die Andromeda-Initative bricht im Jahr 2185 auf, man möchte meinen, dass es für diesen Geringqualifiziertenkram dann gottverdammte Drohnen gibt, an die man einen Scanner getackert hat.

Drittens

Nochmals eine Spoilerwarnung: Die Sicherheitschefin hat sich mit einem Teil der Mannschaft abgesetzt und eine Kolonie gegründet, die eine Mischung aus Apokalyse Now, Der Herr der Fliegen und Fluch der Karibik ist. Die Sicherheitschefin! Man kann beim besten Willen von keinem Screeningprozess sprechen, wenn sowas dabei rumkommt. Es sei denn natürlich meine Theorie, dass die Andromeda-Archen alle B-Archen sind, stimmt. Dann passt das wie die Faust aufs Auge, dass die Sicherheitschefin die Galaxis mit der Gründung einer Splittergruppe unsicher macht. Warum sonst sollte man jemand einstellen, die latente Probleme mit vorgesetzten Offizieren hat und bei der ersten Gelegenheit ein BESCHISSENES PIRATENNEST AUFMACHT. Vermutlich ist der Techniker aus dem oberen Teil an seinen Job gekommen, weil er gern an Kabeln leckt.

Typische Pose einer verantwortungsbewussten Sicherheitsbeauftragten

Viertens

Ich bin der oder die einzige, die uralte Terraformingtechnologie bedienen kann, mit der die Planeten bewohnbar gemacht werden, die zehntausende dieser potentiellen Vollhorste zum Überleben brauchen. Der Plan der Führungsriege: Wir schicken die wertvollste Ressource, die wir überhaupt haben, mit einem unbewaffneten Schiff ins Unbekannte und lassen die mit einem drei Hansel starken Bodenteam mal ihr Ding machen. Das wird bestimmt super! Nur mal so als Reality-Check: Opernsänger und Topathleten haben umfangreiche Vorsorgemaßnahmen und sogar Versicherungen für die geldbringenden Teile ihrer Anatomie. Diese Jungs schicken ihre letzte, beste Hoffnung auf ein Überleben in einer feindlichen Galaxis mit einem Haufen gerade noch so funktionaler Individuen los, die es nicht in den Cast von 30 Rock geschafft haben.

Als wäre das nicht alles: Ich muss mir geilere Ausrüstung selber bauen oder kaufen. Das ist ein gute Prinzip, wenn der Nexus das Äquivalent eines Großunternehmens wäre, das in 500 Startups solange Twentysomethings in der Crunchmühle zermatscht, bis etwas rausfällt, das funktioniert und Geld bringt. Doch wir erinnern uns, letzte beste Hoffnung. Man sollte also doch trotz hipper Start-up-Mentalität („Wir disrupten jetzt mal ordentlich Andromeda“) vielleicht von einem Gig-Economy-Modell absehen, bei dem die Angestellten ihre eigene Schutzausrüstung gegen Projektile und kosmische Strahlung kaufen oder bauen müssen.

In Mass Effect: Andromeda hält mich das zwar auch beschäftigt, erzeugt aber eine narrative Dissonanz, das selbst Salvador Dali das Bärtchen erzittert: Nichts bewegt sich in diesem Universum, wenn ich nicht persönlich vorbeikomme und als erster Beweger den Arschtritt platziere. Leute sind zu doof nach Vermissten zu suchen, Leute sind zu doof Kisten zu scannen, Leute in einem Militäraußenposten sind zu doof etwas konkretes gegen eine Basis böswilliger Aliens in zehn Fahrminuten Entfernung zu unternehmen – außer sich bei mir zu beschweren, dass man da doch was machen muss. Leute, die mit Archen 600 Jahre Reise hinter sich gebracht haben und damit eine sehr, sehr begrenzte Ressource sind, sind doof genug sich gegenseitig zu erschießen.

Ach ja, mein Sicherheitsexperte an Bord meines unbewaffneten, sehr offen gestalteten Schiffs, der Teil eines polizeilichen Sondereinsatzteams für Krisenintervention war, sagt solche Dinge:

„I think I really pissed that one off! Maybe because I shot him in the face!“ Echt jetzt? Wenn das kein Indiz für Arche-B-Material ist, dann weiß ich auch nicht.

In diesem Spiel bin ich gestrandet auf der Arche der Idioten und die Frage, die sich jeder stellen muss, der dieses Spiel anfasst: Wer ist der Idiot? Der Idiot oder der, der ihm in allen Dingen zu Diensten ist.

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen
Plattformen: Xbox One, PC, OS X
Genre: Action-Rollenspiel
Entwickler: BioWare
Veröffentlicht von: Electronic Arts

2 thoughts on “Mass Effect: Andromeda

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert