Call of Duty: WWII
C’est la vie: Erst Vollgas, dann Vernichtungslager
In Call of Duty: WWII übernimmt RUDOLF INDERST die Rolle eines jungen Rekruten der 1. US-Infanteriedivision, der am D-Day erste Kampferfahrungen macht. Sein Weg führt ihn an die Normandie, quer durch Europa und lässt ihn Feinde an bekannten Kriegsschauplätzen ins Visier nehmen, um sich und seiner Truppe einen Weg nach Deutschland zu bahnen.
Was ist das Leben, wenn nicht Rhythmus? Rhythmus verleiht uns Gewissheit, Rhythmus lässt uns Routinen entwickeln, kurzum: Ohne Rhythmus regiert das große Unbekannte, das Durch-Null-zu-teilende – horror vacui für Bürger und Planer. Es scheint ganz so, als möchten uns also Spiele-Serien wie FIFA, Madden oder Call for Duty vor dieser terra igcognita beschützen, uns ein allzu-vertrautes Heim geben und uns mit Sicherheit in stürmischen Zeit die Gewissheit vermitteln, dass – egal, was da noch kommen mag – auf sie stets Verlass ist.
Joyeux anniversaire et passez une merveilleuse journée!
Mal unter uns: Sind runde Geburtstage nicht schön? Nein? So gar nicht, finden Sie? Selbst ein kleiner Party-Muffel wird doch wohl zugeben müssen, dass ein zehnjähriges Jubiläum mal einen Grund für eine Glückwunschkarte mit ein paar netten Zeilen darauf darstellt. Denn ein Blick auf den ewigen Releasekalender verrät justament, dass ich seit ZEHN (!) Jahren Call of Duty spiele. Zehn Jahre. Zehn Jahre Kampagne, zehn Jahre Multiplayer. 1,2,1,2,1,2 – sehen Sie? Rhythmus. Gewohnheit. Beständigkeit. Beruhigung.
Oder anders ausgedrückt: Call of Duty 2, Call of Duty 3, Call of Duty 4: Modern Warfare, Call of Duty: World at War, Call of Duty: Modern Warfare 2, Call of Duty: Black Ops, Call of Duty: Modern Warfare 3, Call of Duty: Black Ops 2, Call of Duty: Ghosts, Call of Duty: Advanced Warfare, Call of Duty: Black Ops III, Call of Duty: Infinite Warfare…und seit einer Woche: Call of Duty: WWII. Konservativ geschätzt dürfte diese Wall-of-Duty etwa 1100 Stunden oder 50 Tage Spiel- und damit Lebenszeit ergeben. Und ich weiß wiederum gleichzeitig mit großer Sicherheit, dass ich damit als „Geringspieler“ in bestimmten Kreisen gelte – noli turbare circulos meos!
Eine Score sie zu rühren
Auf der Xbox One löse ich also auch diesmal mein Ticket am Schalter, setze mich in den Zug und war bereit für die Abfahrt in dem aktuell 81er-Metascore-Titel, der mich direkt in den Zweiten Weltkrieg führt. Bereitwillig folgte ich damit dem Aufruf Gwen Ihnats: „In the 1940s, America fought Nazis in pop culture—and 2017’s America should too“! Für meine Entschlossenheit, meinen Einsatzwillen und meinen Mut, sich dieser Herausforderung zu stellen, werde ich mit einer pathetisch-theatralischen Score belohnt, welche – so mutmaße ich – das Heldenhafte samt Entbehrung und des Über-sich-Hinauswachsens – einfangen soll. Gravitas delectat also.
Jeff Gerstman hält in seiner lesenswerten Giant-Bomb-Besprechung des Titels den wunderbaren Satz parat: „Your story starts at Normandy, because this is a World War II game“. Und im Grunde führt diese Aussage zu meiner hauptsächlichen Kritik an Call of Duty: WWII. Es ist nicht ideenlos. Es ist im Grunde schlimmer – es ist mutlos. Das Spiel ist eine vergebene Chance. Es traut zwar durchaus seinen SpielerInnen zu, sich zwar in der ewigen Zeitschleife zwischen 1998 und 2001 häuslich-veteranisch-konsumentisch eingerichtet zu haben – Themen, Inhalte und Motive aus Saving Private Ryan und Band of Brothers werden in Call of Duty: WWII einigermaßen nahe abgebildet und in Ansätzen rekonfiguriert. Vermutlich – so die LeserInnen-Erwartung – ist auch dies die richtige Stelle, um zu unterstreichen, dass die Grafik fein ist, das Sounddesign sowie die Audio-Abmischung knallen, die Zwischensequenzen visuell beeindrucken und das Gameplay routiniert-solide funktioniert. Dass ich Sniper-Missionen, Flug- sowie Fahrsequenzen hasse, ist einzig mein gottverf*** Problem. #DennochBrodelnderUnendlichkeitsHass5000
„Medic!“ und „Deckung!“ statt „Penis!“ und „Punk!“
Was Entwicklerstudio und Publisher den SpielerInnen allerdings nicht zugestehen wollen oder anbieten möchten, ist der Graumraum zwischen M.A.S.H. und Generation Kill. Oder – um es deutlicher zu machen: Absurdes, Surreales und Masturbation haben keinen Platz im Leben und dem Schlachtfeld, wenn die Pflicht ruft. Ein angedeutetes Alkoholproblem hier, ein wenig Alltagsrassismus da – ich denke, wir verstehen uns, wenn da nicht nur die VICE zögert, von edgy oder gar daring zu sprechen. Es wird um die Wette gebrothert und gegutmenscht, dass selbst die Lucky Strikes weinend aufgeben und nach GI-Schoki schmecken. Überraschend oder erfrischend beziehungsweise ungewöhnlich oder gar unplakativ-verstörend? „Leider schon alle, wa“ (sagt man das so in Berliner Redaktionsstuben?).
„Polen? Da hatte ich mal ein Lager.“ #Bierschaum
Bezogen auf Call of Duty: WWII bedeutet das: Eben noch rase ich in bester Zauber- und Schaubudenmanier im Jeep durch Wald sowie über Stock und Stein, erledige dabei mit dem Maschinengewehr ganz lässig 88 Mal Wehrmachts-Fritz und SS-Hermann, soll aber nach dieser Arcade-Tortour wenige Set-Pieces später wehmütig und betroffen durch ein Vernichtungslager schleichen, das mir noch ausdrücklich als „Arbeitslager“ vom Vorgesetzen verkauft/verskriptet wurde, damit es nicht allzu politisch wird. Es ist bezeichnend, dass die Stelle, an der der Hobbykriegsfotographen-NPC kurz mit sich selbst ringt, ob er die Rettung seines abgemagerten, jüdischen GI-Kameraden fotografieren darf, soll oder gar im Grunde muss (!) zu den reflektiersten im ganzen Spiel zählt. Es ist zwar unheimlich mühselig, den Begriff hier wieder aus Mottenkiste zu zaubern, aber ich denke, man wird nachvollziehen können, warum spätestens an dieser Stelle von einer ludonarrativen Dissonanz gesprochen werden darf – und zufällig stammt jene Wortschöpfung ebenfalls aus dem Jahr 2007. Happy Birthday.
Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen
Originaltitel: Call of Duty: WWII
Plattformen: PC, PlayStation 4, Xbox One
Genre: First-Person-Shooter
Entwickler: Infinity Ward, Treyarch, Raven, Sledgehammer Games
Veröffentlicht von: Activision