Marvel’s Spider-Man

Die ewige Nebenaufgabe

Spider-Man_Hero

Endlich wieder ein guter Spider-Man-Titel – das war das Versprechen, das Insomniac Games mit ihrem neuesten Titel einlösen wollten. Gerade jetzt, da das Cinematic-Universe von Marvel auf alle Röhren läuft und auch Spider-Man nach langen Jahren der Sony-Film-Kerkerschaft endlich mit Iron Man und Co. mitmischen darf. STEFAN VON DER KRONE und NORMAN VOLKMANN feierten zusammen eine Schwinger-Party in New York City – stilecht in rot-blauen, hautengen Ganzkörperanzügen.

NORMAN:
Ich hake gerne Listen ab. Auf der Arbeit. Privat. Einen Plan machen, Aufgaben definieren, abarbeiten – gute Sache. Wohlwollend blicke ich nach der Erledigung auf die kleine Animation, die Asana beispielsweise nutzt: Da färbt sich der Haken grün ein, und die Aufgabe verschwindet von der Liste. Doch das Wichtigste beim Listen erstellen und dem Erledigen: Die Aufgaben sollten sinnvoll sein, sonst nützt die beste Liste nichts. Hat man zu viele Kleinigkeiten auf die Liste gepackt, dann gibt es eine Übersättigung und kein Gefühl des Erfolgs. Und das führt mich direkt zu Marvel’s Spider-Man.

Die Prozentanzeige im Spiel zeigt mir aktuell 49 Prozent Spielkomplettierung an. Und, um direkt zu Beginn mit offenen Karten zu spielen: Spider-Man frustriert mich, wie es eben nur ein riesiger Open-World-Titel tun kann. Bereits nach wenigen Stunden konnte ich die überwiegend positiven Kritiken (immerhin respektable 87% auf Metacritic) nicht nachvollziehen. Sicher, die Fortbewegung als Spider-Man durch die neueste Version von New York City ist so flüssig wie nie zuvor. Es sieht alles besser aus, als man es von allen Vorgängern gewohnt war. Doch im Grunde war das auch das Mindeste, was der Titel leisten musste. Eigentlich hätte ich auf die Warnung von Christian im Polyneux-Podcast vor einigen Wochen (ca. nach einer Stunde) hören und die Finger von Spider-Man lassen sollen.

Spider-Man_fight

Denn alles, wirklich ALLES in diesem Titel artet zu einer Sammelaufgabe aus. Damit man immer wieder etwas abseits der normalen Storymissionen zu tun hat, schalten sich einige Sammelaufgaben selbstverständlich erst frei, wenn die Handlung etwas fortgeschrittener ist. Doch auch die Hauptmissionen bieten, neben schönen Cutscenes, selten spielerischen Wert oder Spaß. Hier müssen drei Bomben entschärft, dort vier Stromkästen gefunden und befeuert werden. Dann stürmen die Bösen die Szene, damit Spidey auch gepflegt Ärsche treten darf. Ist man mit den Missionen durch, darf in Manhattan nach Kleinkriminellen Ausschau gehalten werden. Oder nach Tauben, die man fangen muss. Oder man macht Bilder von New Yorks Sehenswürdigkeiten. Oder sucht Kuscheltiere von Black Cat. Oder man erledigt “Research”-Minispiele, die teilweise so frech vom Hacking-Minispiel von Deus Ex abgeguckt wurden, dass man sich darüber fast mehr ärgert, als über die grundsätzliche Dreistigkeit, dass ein AAA-Titel seine Spieler mit solchem Quatsch beschäftigen will. Egal welchen Missionstyp ich annehme, immer werde ich mit einer Liste konfrontiert, deren Erledigung mir kein Gefühl der Überlegenheit gibt, sondern mich ärgert. In kleinen Forschungsstationen, die in der Stadt verteilt sind, soll ich unter anderem die Natur in NYC verbessern. Dafür schwinge ich mich durch Wolken voller Verunreinigung oder bade in den Häfen, in denen Fische an dreckigem Wasser sterben. Oder ich nehme Basen ein, denn klar, als 2018er-Titel hat Spider-Man natürlich auch Basen, die es einzunehmen gilt. Hier beginnt man schleichend, die erste Welle an Gegner auszuschalten. Das läuft dann nicht nur ungefähr so ab, wie man es aus der Arkham-Serie von Batman kennt, sondern ganz genau so. Am Ende können Basen nur übernommen werden, wenn man sechs (!) Gegnerwellen geplättet hat. Selbstverständlich hat jeder Bösewicht und jede Fraktion im Spiel seine eigenen Stützpunkte, damit man nicht bereits nach zwei Stunden mit dem ewig gleichen Vorgang fertig ist, ist ja klar.

Spider-Man_Flat

Nun werden viele von euch sich fragen: “Aber Norman, warum machst du das denn? Warum ärgerst du dich mit den Nebenaufgaben überhaupt rum und erledigst nicht einfach die Hauptmissionen und lässt den Rest gut sein?” Nun, die Antwort ist, wie vieles im Leben, nicht ganz so einfach. Zum einen verleitet die wirklich gute Schwingmechanik mich als Spieler immer wieder dazu, diese blöden Aufgaben hier und da einfach “mal eben” zu erledigen. Der Titel ist gut darin, immer mal wieder neue, nervige Sammelaufgaben vorzustellen, so dass man sich insbesondere zu Beginn nicht direkt erschlagen fühlt. Zum anderen muss ich als Spieler aber immer wieder auf die Nebenaufgaben zurückgreifen. Jede Erfüllung einer Aufgabe schaltet spezielle Token frei, eine Art In-Game-Währung. Von diesen gibt es sechs unterschiedliche Arten, die allesamt benötigt werden, damit neue Spider-Man-Anzüge und Upgrades freigeschaltet werden können, die auch Vorteile in den Kämpfen geben. Somit sind die Nebenaufgabe nicht rein optional, sondern ein zentrales Spielelement.

Am Ende bleibt Marvel’s Spider-Man für mich ein typischer Wust aller Open-World-Problematiken. Eine Handlung, die alleinstehend sicher einigermaßen interessant ist, aber ständig für simple und intellegenzbeleidigende Füllaufgaben unterbrochen wird. Dazu gibt es mit dem Schwingen genau eine Spielmechanik, die mich wirklich überzeugen konnte und die das Spiel am Ende gerade so zusammenhält. Die durchaus herausfordernde Kampfmechanik zähle ich absichtlich nicht dazu, immerhin kennt man diese noch besser aus allen bereits veröffentlichten Batman-Teilen von Rocksteady.

STEFAN:

Ich muss gestehen, Norman hat meine Sicht auf Spider-Man etwas verändert. DANKE, NORMAN! Als ich das Spiel initial anzockte, hatte ich teilweise enorme Probleme mit dem Kampfsystem. Wohingegen das Schwingen von Beginn an recht leicht von der Hand ging. Relativ schnell verflog aber der Frust und ultimativer Spielspaß setzte ein – ich hatte bisher eine tolle Zeit mit dem Spiel. Das mag vor allem an der gelungenen Präsentation, der extrem guten Steuerung sowie der sehr unterhaltsamen Story liegen.

Peter-Parker-Mary-Jane

Und hier möchte ich meinen Vergleich mit dem offensichtlichen Vorbildern ansetzen – den Arkham-Spielen. Die Story beginnt im Unterschied zur Batman-Reihe mit dem Erreichen einer großen Errungenschaft für Spider-Man: die Festnahme des Kingpins. Wie nach einer großen Schlacht, mutet danach auch Spideys Anzug an. Anschließend sehen wir, wie die bislang heile Welt von Peter Parker langsam aber sicher ins Chaos abrutscht – hin zu einem wirklich fulminanten und emotionalen Finale. Im Kontrast dazu beginnen die Arkham-Spiele meist mit der Katastrophe und Batman tut sich daran Schlimmeres zu verhindern – die Erzählweise setzt als komplett andere Schwerpunkte zu verschiedenen Zeiten.

Die nächste Verwandtschaft ist offensichtlich das Kampfsystem. Das lässt sich ganz einfach so beschreiben: guter Prügler mit zahlreichen – mal mehr, mal weniger – hilfreichen Gadgets. Es macht Spaß und ist eingängig. Aber an die Klasse und vor allem die exzellente Rhythmik der Arkham-Spiele kommt Spider-Man nicht heran.

Spider-Man-Pose

Wobei aber Spider-Man aus meiner Sicht deutlich besser abschneidet, sind die Nebenaufgaben. Und ja, ich gebe Norman recht, die nerven in der Summe. Aber wenn ich mich zwischen den etwa 200 Riddler-Rätsel in Arkham Knight oder den vielen kleineren Aufgaben in Spider-Man entscheiden müsste, würde ich ganz klar Spider-Man wählen. In Arkham Knight fühlte es sich für mich viel mehr nach Arbeit an als im aktuellen Spiel der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft. Aber ich muss zugleich gestehen, dass die vielen Nebenaufgaben in Spider-Man mir weniger das Gefühl gaben, stupide irgendwelche Aufgaben zu machen. Häufig wird alles durch diverse Herausforderungen abgewechselt.

Doch wie Eingangs erwähnt, Normans Beitrag hat meine Sicht auf Insomniacs Spiel verändert. Die vielen Aufgaben und die mangelnde Kreativität bei eben diesen trübt das Gesamtbild etwas. Auch finde ich es sehr schade, dass Wilson Fisk a.k.a. der Kingpin nach dem Prolog absolut kein Thema mehr ist. Aber vielleicht spricht da auch eher der Fan von Netflix’ Interpretation des Charakters aus mir. Entschädigt wird der geneigte Spieler dann dennoch mit der Geschichte um Peter Parker und seinem Idol/Mentor Dr. Octavious.

Spider-Man würde ich ohne Einschränkung jedem empfehlen. Das liegt vor allem an dem MCU-Vibe, den die Entwickler auf die PS4 übertragen konnten. Die bunte und geradlinige Comic-Optik und der hohe Unterhaltungs-Faktor sowie die tollen Charaktere reichen aus, um die Probleme locker wettzumachen. Dennoch: Allen Entwicklern von (Semi-) Open-World-Spielen lege ich gerne ans Herz, für mehr Abwechslung und Spielspaß abseits der Hauptmissionen zu sorgen.

Veröffentlichungsdatum: bereits erschienen

Originaltitel: Marvel’s Spider-Man

Plattform: PS4

Genre: Action

Entwickler: Insomniac Games

Veröffentlicht von: Sony Interactive Entertainment

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