Metro Exodus – Ein Western im Osten

Der dritte Teil der erzählerisch und atmosphärisch unfassbar guten Metro-Reihe nimmt nach seinen Ausflügen in eher klassische Heldenreisen den letzten großen Mythos der Neuzeit vor: Die Kolonisierung des Westens, mit einigen kleinen Unterschieden zu John Wayne und Co. PETER KLEMENT bittet zur Interpretation.

Malerei Manifest Destiny
Manifest Destiny: Mit den Telegraphenmasten kommt die Zivilisation

Die Besiedelung der Vereinigten Staaten wurde von dem Konzept “Manifest Destiny” begleitet, das diesen, sagen wir mal etwas rumpeligen, Prozess einen mythischen Beiklang gab: Die „Wagon Trains“ trugen in göttlicher Mission die Zivilisation in die Wildnis. Auf den Kutschen befand sich eine mikroskopische Kopie der Gesellschaft: Die westliche Familie und mit ihr die (christliche) Aufklärung. Ein Unterton dieses Manifest Destiny ist die Übersättigung und auch die Korruption der Städte, in der dieser Nukleus sich nicht mehr frei entfalten kann. So viel zum 19. Jahrhundert, zurück ins 21. des Metro-Universums.

Gefangene Ratten im Labyrinth

Im Jahre 2013 verwüstet ein nuklearer Krieg den Planeten. Moskau, wie alle anderen großen Städte, wird ebenfalls schwer getroffen. Doch das U-Bahn-System, das tiefste der Welt, bleibt intakt. Dort bilden sich in den folgenden Jahren bis zum Jahre 2033 Stadtstaaten aus, die eine oder mehrere Stationen der namensgebenden Metro kontrollieren. Die Ressourcen sind begrenzt, Stagnation und Korruption Alltag.

Die Spielfigur aller Metro-Teile Artyom hat in den beiden Vorgängerteilen seine Heldenreise und seine Läuterung durchlebt und will den Tunneln entkommen. Dazu klettert er immer wieder an die verseuchte Oberfläche, um nach Radiosignalen möglicher Überlebende zu suchen. Denn wie der klassische Westernheld es auch nie in der Zivilisation aushält, die er gerade zu retten versucht, sträubt sich auch der Protagonist dagegen, seine Lorbeeren einzustreichen und ein funktionierender Teil der Stadtstaaten zu werden.

Achtung, gefährliche Spoiler-Werte nach diesem Punkt!

Auf eine seiner Exkursionen wird er durch ein Team aus sogenannten Stalkern, Spezialisten, die aus von der Oberfläche allerlei wertvolle Güter zurückbringen, gefangengenommen. Dabei stellt sich heraus, dass der Planet nicht tot ist, sondern Störsender aktiv waren, um den Eindruck zu erwecken, dass in Moskau nichts mehr am Leben ist. Die Fraktion Hansa hat sich das zunutze gemacht, um Güter von außen in das Metro-System zu bringen und so ihre Machtposition auszubauen. Artyom schafft es gemeinsam mit seine Frau Anna, der Gefangenschaft zu entkommen und gemeinsam mit seinen Gefährten aus den vorherigen Teilen eine Lokomotive zu kapern, mit der sie ihren Trek in den wilden Osten antreten.

Stagecoach Aurora

Gleiche Geschichte, anderer Kontinent.

In dem Westernklassiker Stagecoach mit John Wayne bewährt sich ein zusammengewürfelter Querschnitt der amerikanischen Gesellschaft gegen alles, was die amerikanische Wildnis ihnen entgegenzuwerfen hat: Apachen, reißende Flüße und richtig schlechten Empfang. Im Jahre 2035 findet sich Artyom in einer ähnlichen Situation wieder, nur dass es einem Metro Exodus nicht ganz so leicht macht mit der Moral, wie es in Henry Fords Western der Fall ist.

An Bord sind: Der junge Hitzkopf, der Spinner, der Tüftler, der Militär, der zivilisierte Eingeborene, der alte Mann, der Kraftprotz und die Ehefrau. Im Verlauf der Geschichte und basierend auf den Entscheidungen des Spiels wächst oder schrumpft diese Gruppe.

We have it in our power to begin the world over again. A situation, similar to the present, hath not happened since the days of Noah until now. The birthday of a new world is at hand …

Thomas Paine

How the East was won

Eine der letzen großen Epen des Studiosystems in Hollywood „How the West was won“ brachte mit einen gewaltigen Staraufgebot die Eroberung des Westens in einem Episodenformat auf die Leinwand. In Metro Exodus bewegt sich der zivilisatorische Kern auf der Aurora auch von Situation zu Situation, die sie entweder über direkte Konfrontation oder über Winkelzüge lösen können.

Doch im Gegensatz zum „Wilden Westen“, in dem – meist – nur ein toter Indianer ein guter Indianer ist, bietet Metro Exodus in jedem Abschnitt wunderbar gestaltete Welten und eine hohe Erzähltiefe: Eine der ersten Begnungen im Spiel ist mit einer Sekte, die sich aus dem orthodoxen Glauben und den Umwelteinflüssen einen kruden Erlöserglauben zusammengezimmert hat.

Zivilisation trifft auf Heidentum

Wer die Heiden nun mit Feuer und Schwert von den Segnungen der Zivilisation, wie beispielsweise Elektrizität oder schallgedämften Sturmgewehren überzeugen will, der wird viel von der Geschichte dieses Ortes verpassen. Unter anderem auch, wie es dazu kommen konnte, dass der Aberglaube bestehen konnte und die Aufklärung nicht. Metro Exodus ist ein Spiel, dass geduldiges Erkunden und Zuhören mit fantastisch geschrieben Szenen und Charakteren entlohnt, doch dazu muss der Spieler erst den Finger vom Abzug nehmen – es sei denn bei Kannibalen, wer sich derart an der Zivilisation vergeht, dem widerfährt ohne Umschweife Gerechtigkeit im Kaliber 5.45×39.

Ein Bunker ohne Vorräte, zwischenmenschlich schwierig.

Jede dieser Station nimmt sich eines Themas an: An der Wolga ist es die Religion, in einem geheimen Bunker die Menschlichkeit im Angesicht der Auslöschung, in der Wüste ist es die Sklaverei und in einem weit entfernten Wald gibt es sogar einen Ausflug zum edlen Wilden, also nimmt Metro Exodus auch noch ein wenig Winnetou und damit Karl May mit.

Die Kinder des Waldes, edle Wilde

In postapokalyptic Russia, Game plays YOU!

Wie es sich für einen anständigen Western gehört, gibt es neben ganzen Charakteren noch einen weiteren Hauptdarsteller: die Landschaft. Egal, ob Über- oder Untertage, das Leveldesign und das damit verbundene Environmental Storytelling sucht seines Gleichen. Wer durch den Fluch der späten Geburt zwar alle Marvelfilme kennt, aber noch keinen anständigen Western gesehen hat: So lässt sich das Ganze im digitalen Spiel nachholen und im Gegensatz zu Red Dead Redemption sogar ohne den ganzen lästigen Spätwesternmanierismus, den Red Dead Redemption zusammen mit schrumpfenden Pferdehode mit sich herumschleppt. Dazu hat im Übrigen Norman Volkman einige kluge Dinge zu sagen.

Die zweite Hauptdarstellerin: Die Landschaft

Metro Exodus ist wie der Western sein sollte: Mythisch, langsam fließend, mit viel Zeit für die Welt und die Charaktere, ohne dabei mit übertriebener Selbstverliebtheit zu nerven. Wenn ich eines gelernt habe, dann ist es, dass in Spielen aus dem Osten die besseren und menschlicheren Heldengeschichten erzählt werden. Wer das im Detail erfahren will, muss erst mit mir in die Zone und dann noch zurück in die Metro ins Jahr 2033 und 2034. Der Ausflug lohnt sich, versprochen.

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen.

Originaltitel: Metro Exodus
Plattformen: Windows, Xbox, PS3
Entwickler: 4A Games
Veröffentlicht von: Deep Silver

Im Netz:

Die offizielle Seite zu Metro Exodus





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