Judgment
Verurteilt
Mit Judgment wird die Welt weiter geöffnet, die Yakuza vor knapp 15 Jahren erstmals vorstellte. Also alles anders, aber gleich? Genau! Trotz fehlender Erwartungen konnte NORMAN VOLKMANN während seines 20-stündigen Dates mit Judgment nicht aufhören, an Yakuza zu denken.
Wie Yakuza, nur… anders? Ich wusste initial nicht, was ich von Judgment erwarten sollte und konnte. Wenn ich ehrlich bin – bis kurz vor Veröffentlichung war mir nicht einmal bewusst, dass ein neues Spiel nach Yakuza-Art in der Mache war. Da ich bislang noch keinen Teil der Hauptserie spielte, der mir keinen Spaß machte, war ich direkt ein Board.
Der Hauptcharakter von Judgment, Takayuki Yagami, ist ein ehemaliger Anwalt, der nach einem tragischen Mordfall seinen Beruf an den Nagel hing und seither als Privatdetektiv arbeitet. Ähnlich wie Yakuza-Protagonist Kazuma Kiryu ist Yagami ein Kampfsport-Ass und versohlt im fiktiven Kamurocho regelmäßig Hintern und zieht Gangster-Ohren lang. Wer Kamurocho aus Yakuza kennt, wird sich nicht umgewöhnen müssen und den Stadtteil mitsamt seinen Restaurants, engen Gässchen und beeindruckenden Neon-Reklamen schnell wiedererkennen. Das verleiht Judgment allerdings auch schnell den Beigeschmack eines Yakuza-Reskins. Und so falsch liegt man da gar nicht.
Allerdings unterscheiden sich Yagami und Kiryu deutlich: Auch wenn Yagami enge Verbindungen zu den Yakuza-Klans von Tokio hatte, war er immer auf der richtigen Seite des Gesetzes unterwegs und zeichnete sich als Anwalt durch sein Auge fürs Detail und seinen starken Gerechtigskeitssinn aus. An Tatorten rekonstruiert er kriminelle Abläufe und präsentiert an den richtigen Stellen die korrekten Beweise. Er beschattet, beobachtet sowie verfolgt Verdächtige und versucht, sie eher mit Fakten aus der Ruhe zu kriegen, als direkt die Fäuste fliegen zu lassen. Ok, das stimmt nicht. Er haut gerne auf die Fresse. Auf dem Papier klingt das alles wunderbar – der perfekte Titel für jeden, der die Seltsamkeit von Yakuza mochte und sich nicht von bizarren Nebenmissionen und Charakteren aus der Ruhe bringen lässt. Allerdings habe ich Judgment nach rund 22 Stunden abgebrochen – die Gründe dafür waren vielfältig, beginnen aber mit den Spielmechaniken des Titels.
Das Beschatten von Verdächtigen zum Beispiel ist spätestens nach dem dritten Mal unfassbar lästig und zieht sich mit jedem Mal wie Kaugummi. Das Untersuchen von Tatorten spielt sich wie eine drittklassige Wimmelbild-App mit Vibrationsmechanik. Und die Drohne, die Yagami nutzt, um Orte auszuspähen, die er schwer erreichen kann… nee, ich weigere mich, darüber mehr zu schreiben. Alle Mechaniken, die für einen Privatdetektiv zentral scheinen, haben Minispiel-Charme, der zwar Platz im Spiel finden kann – als wesentliche Elemente der Missionen werden sie jedoch gnadenlos überstrapaziert. Mitunter wirkt der spielerische Unterschied zu Yakuza wie das größte Problem, das die Entwickler für Judgment letztendlich nicht lösen konnten. Lediglich die Hindernislauf-Missionen, in denen man Bösewichten (oder Perücken) hinterherrennt, haben mich immer wieder bei Laune gehalten (sind im Grunde aber auch sehr eindimensional).
Neben der spielerischen Schwächen, ist es aber auch die Handlung, die mich nach und nach dazu bewegte, Judgment nicht zu beenden. Dass die Story ausufern kann, bin ich von Yakuza bereits gewöhnt und auch die ein oder andere pathetische Wendung kann ich verkraften. Bei Judgment fühlte es sich aber immer und immer wieder an, als hätte man eine GZSZ-Variante der Hauptserie geschrieben. Immer wieder dreht sich die Erzählung, immer wieder werden neue Charaktere vorgestellt und irgendwann kam ich auch inhaltlich nicht einmal mehr mit, welchen Fall ich hier eigentlich ursprünglich lösen sollte.
Die Nebenmissionen verschlimmern diesen Eindruck nur noch. Wenn ich Professor Panty stellen muss, der nichtsahnenden Damen die Unterwäschen mit Drohnen stiehlt, die Perrücke eines Stars verfolge, einen obdachlosen Hobby-Schamanen kennenlerne oder sonstige absurde Probleme löse (indem ich random dudes verprügle), dann fühle ich mich irgendwann nicht mehr ernst genommen. Von einem Videospiel! Schlimmer wird es eigentlich nur, wenn ich die (optionalen) Dating-Missionen in Angriff nehmen.
Die Idee, die Yakuza-Serie zu öffnen und mit einem Spin-off andere Geschichten zu erzählen, bleibt lobenswert. Die Schere zwischen ernster, guter Story und absurden Nebenmissionen und Minispielen hat bei der Hauptserie für mich bislang auch immer funktioniert. Mit Judgment hingegen wurde ich nie wirklich warm – von allen Spielelementen war ich zumindest etwas genervt und auch die Erzählung um Yagami machte die spielerischen Schwächen nicht wett. Ich hoffe dennoch, dass es weiterhin Geschichten aus Kamurocho geben wird – weniger aufgebläht und mit Charakteren, die über angestaubte Klischees hinausgehen.
Veröffentlichungsdatum: bereits erschienen
Originaltitel: Judgment
Plattform: PS4
Genre: Action
Entwickler: Ryu Ga Gotoku Studio
Veröffentlicht von: Sega