The Last Of Us: Part II
Der lange Weg zum Ende

The Last of Us 2 ist das Hype-Spiel des Jahres. Alle schienen sich einig, da könne gar nichts schief gehen. Dann kamen Leaks, Berichte über Crunch, irreführende Trailer und schlechte Meta-Critic-Scores. NORMAN VOLKMANN bewies erneut den grünen Daumen für Pflanzen-Zombies und ließ sich die Lebensfreude von Halley Gross’ und Neil Druckmanns bedrückender Rachegeschichte aus den Poren ziehen.
Anmerkung der Redaktion: Der Text enthält Spoiler. Wer das Spiel nicht gespielt hat, liest erst mal andere Artikel aus dem Ressort.
Nach 28 Stunden rollen die Credits. Sonntagabend, kurz vor sieben. Ich habe an diesem verregneten Tag fast ausschließlich The Last of Us 2 gespielt. Dass mich das Spiel so mitnimmt, hätte ich nicht gedacht. Ich war der festen Überzeugung, dass es einen zweiten Teil nicht gebraucht hätte. Nicht, weil das Ende des ersten Teils ein perfekter Abschluss war. Aber es war ein Ende, das Videospiele ihren Spieler*innen oft nicht zutrauen. Ein moralisches Vakuum, das Nutzer*innen zwang, sich mit ihren eigenen Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen. Die Weiterführung der Erzählung ist in meinen Augen nicht notwendig gewesen, doch Naughty Dog erzählt eine mitreißende Geschichte, die die Konsequenzen des ersten Teils einordnet und zum großen Teil nachvollziehbar weiterspinnt.

Nach der ersten Ankündigung des Spiels 2016 ignorierte ich jegliche Vorberichterstattung. Gerade was die Erzählung angeht, war das ein Segen. The Last of Us 2 ist ein Blockbuster-Videospiel. Naughty Dog weiß um die Stellschrauben, die Emotionen von Spieler*innen provozieren. Alles ist so wuchtig inszeniert, dass man die Plumpheit einiger Charakter gerne mal verzeihen mag. Joels Tod zu Beginn des Spiels ist initial ein Schlag in die Magengrube. Die Art und Weise sowie Motivation Abbys nur nachvollziehbar. Nach seinem Tod bleibt Joel elementarer Teil des Spiels, denn er ist der einzige Grund und Ellies ständiger Antrieb, ihren selbstzerstörerischen Rachefeldzug zu keiner Zeit aufzugeben oder gar zu hinterfragen. Dass Spieler*innen in der zweiten Hälfte des Spiels gezwungen werden, Abby zu spielen, liebte ich. Im Grunde sind beide Frauen Spiegelbilder voneinander. Man könnte sogar behaupten, dass Abbys Motiv zum Mord an Joel weniger selbstbezogen war. Ihr Vater, der Doktor, den man im ersten Teil am Ende des Spiels als Joel erschießt, war die einzige Person, die eine Heilung für eine verdammte Menschheit hätte schaffen können. Abbys Handeln geht über ihre persönliche Bindung hinaus. Bis zur letzten Szene des Spiels war Ellie der astreine Bösewicht des Spiels. Ihr Wahn, der sie brutal morden, foltern und selbstzerstörerisch werden ließ, war an vielen Stellen schwerer zu ertragen als Abbys Gräueltaten. Ihre Reise erzählt auch Geschichten des Mitgefühls und des Starkmachens für Schwächere. Ellie hingegen ist blind vor Rachsucht.
Der Gewaltgrad in The Last of Us 2 ist grenzwertig. Die grafische Potenz des Titels in Verbindung mit zahlreichen exzessiven Gewaltszenen, ließen mich mehrfach hart schlucken. Als einem Charakter mit einem Hammer der Arm zertrümmert wird, erreichte das einen traurigen Höhepunkt für mich. Das Spiel voller solcher Momente – Ellie und Abby töten hunderte Menschen auf ihrem Weg. Selbst die Zombies können aufatmen, spielen sie inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle. Wird geschlichen, rammt Ellie ihren Gegnern ein Messer in die Kehle oder Schläfe. Laut gurgelnd und um ihr Leben kämpfend sinken die Figuren zu Boden. Werden sie von ihren Kameraden gefunden, rufen diese geschockt ihre Namen aus. Ein unfassbar unangenehmes Detail, während man im Versteck hockt und auf das nächste Opfer wartet. Es ist ein interessanter Kniff, um Spieler*innen ihre Taten direkt vor Augen zu führen – The Last of Us 2 bietet im Umkehrschluss aber keine brauchbare alternative Spielart an. Die Brutalität muss hingenommen werden. Dann lieber still und leise mit dem Messer als mit Schusswaffen oder Molotov-Cocktails, bei denen die Gegner im Todeskampf sekundenlang wie am Spieß schreien.

Rein spielerisch hat sich bei The Last of Us 2 nicht viel getan. Bis auf kleinere Unterschiede, wenige neue Gegnertypen und mechanische Neuerungen, die man aus anderen Titeln schon länger kennt, bleibt alles beim Alten. Zwar versucht das Spiel, eine Balance zwischen Gefechten und ruhigen Charaktermomenten zu finden, allerdings: The Last of Us 2 ist zu lang, eindeutig sogar. Im letzten Drittel schien es mehrfach, als würde sich Naughty Dog zu stark an seinen Charakteren klammern. Ich wurde ungeduldig, weil auch die Kampfmechanik für die Länge des Titels viel zu wenig hergibt. So viele Gegner wie möglich schleichend erledigen und dann – sollte etwas schief gehen – Waffen raus und ordentlich Alarm. In Kombination mit ständigem Schubfachgewühle für ausreichende Crafting-Zutaten war am Ende die Luft einfach raus. Bemerkenswert dabei: In den knapp 30 Stunden gleicht kein Stein dem anderen. Ich habe noch nie ein Spiel gespielt, das so detailliert erscheint. Jeder Raum wirkt einzigartig, jede Umgebung, jedes Geschäft erzählte eigene Geschichten. Musikläden, Gartencenter oder Hotels haben ihren eigenen Charme und unterschiedliche, einzigartige Einrichtungen. Bei diesem Level an Details und dem offenbaren Anspruch an Perfektion wundert es nicht, dass Mitarbeiter von Naughty Dog für diesen Titel ordentlich Federn lassen mussten.
Dass Crunch ein ekelhafter Teil der Videospiel-Branche ist, ist ein sehr schlecht gehütetes Geheimnis. Dass es (leitende) Mitarbeiter gibt, die ihre Leben über die wirtschaftlichen Leistungen ihrer Arbeitgeber definieren, ist – leider – nicht exklusiv für Videospiel-Entwickler. Außerordentliche Spiele benötigen (offenbar folgerichtig) außerordentliche Arbeitsstunden. 100-Stunden-Wochen für Red Dead Redemption. 70-Stunden-Wochen für Fortnite. Dass sich bei Naughty Dog Mitarbeiter Abende und Wochenenden um die Ohren geschlagen haben, um ein Spiel in einen perfekten Zustand zu bringen, sorgt kaum mehr für Empörung. Dabei sollte es das. In seinem Artikel beschreibt Jason Schreier einen kuscheligen Crunch: Für die Mitarbeiter wurde gesorgt, es gab Essen, man versuchte, hier und da Pausen zu forcieren. Nur Feierabend machen schien aus der Reihe der Nettigkeiten zu fallen. Ich sehe schon die Twitter-Threads vor mit, in denen Mitarbeiter aus dem Unternehmen erklären, mit wie viel Herzblut sie die Extra-Arbeit freiwillig und mit guter Laune gemeistert haben. Kann man ja mal machen. Am Arsch! Epic-Mitarbeiter sprechen von vertraglich unbegrenzten Urlaubstagen – trauen sich nicht, sie zu nehmen. Das schlechte Gewissen ist zu groß, dass ihre Arbeit Kollegen belastet oder Ausfälle während der Abwesenheit zur Kündigung führen. Naughty Dog, Rockstar und Epic Games werden auch in Zukunft keine Schwierigkeiten haben, Mitarbeiter zu rekrutieren. Aber wenn eine Firmenkultur existiert, in der sich Mitarbeiter nicht trauen, Vorteile zu nutzen oder gegen Überstunden anzugehen, dann ist die Firma gescheitert, nicht die Mitarbeiter. Wer bei The Last of Us Tränen für fiktive Charakter verdrückt, aber dem die echten Menschen hinter dem Produkt egal sind, der hat ein eindeutiges Problem mit seinen Prioritäten. Zumindest ein Diskussion über solche Themen und potentielle Lösungsansätze sollte regelmäßig stattfinden – auch und gerade in der unfassbar unkritischen Blase, die die deutschen Spielepresse immer noch ist.

Am Ende bin ich froh, The Last of Us 2 erlebt zu haben. Selbst wenn die Erzählung an Stellen plump und Charaktere mitunter oberflächlich gezeichnet werden oder Naughty Dog an bestimmten Stellen offensichtlich ganz bestimmte Emotionen wecken will. Die Reisen Ellies und Abbys sind in einer Art und Weise inszeniert, die Videospiele auf diesem Niveau einfach nicht hinbekommen. Die grafische Wucht ist dabei das Zünglein an der Waage und lässt das letzte große Spiel der aktuellen Konsolenredaktion über allen bisherigen Hype-Titeln stehen. Trotz monotonem Gameplay, trotz Gewaltgrad jenseits von Gut und Böse. The Last of Us 2 ist ein Titel, der einmalig und stellvertretend für eine Konsolengeneration ist.
Bereits erschienen.
Originaltitel: The Last Of Us: Part II
Plattformen: Playstation 4
Entwickler: Naughty Dog
Veröffentlicht von: Sony Interactive Entertainment