Die Formen des Motivationsmangels
Prokrastiniere ich noch oder bin ich schon faul?
Wenn die Motivation fehlt, um Aufgaben zu erledigen oder sich körperlich anzustrengen, ist das menschlich. Dabei wird zwischen Faulheit und Prokrastination unterschieden, was beides verschiedene Hintergründe haben kann. Doch ihr schlechtes Image haben sie teilweise zu Unrecht.
«Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute». Das Sprichwort macht es deutlich: Das Nichtstun und das Verschieben von Aufgaben haben in der Gesellschaft generell einen schlechten Ruf. Und es impliziert, dass Menschen faul sind, wenn sie Aufgaben nicht sofort erledigen. Doch es sind zwei verschiedene Dinge: Faulheit auf der einen Seite und Prokrastination auf der anderen.
Natürliche Faulheit
Es ist Faulheit, wenn man keine Lust verspürt sich zu betätigen. Faulheit zeigt sich in einer gewissen Antriebslosigkeit, dem Mangel an Motivation für jedwede Tätigkeiten. Prinzipiell ist Faulheit etwas Natürliches, was wir von unseren Vorfahren geerbt haben. Denn Nichtstun spart Energie. Und das war einst zum Überleben wichtig, da nicht immer genügend Nahrung zur Verfügung stand.

Bild: Daniela Turcanu (unsplash)
Heute habe wir genug zu essen und müssen keine Energie mehr sparen, dennoch sollten sich Körper und Geist nach anstrengender Arbeit und Stressphasen erholen. Wenn man also deshalb mal nichts tut und faul ist, so ist das vollkommen gesund und empfehlenswert – vor allem, weil Stress verschiedene Krankheiten mitverursachen kann.
Ursachen für „Faulheit“ hinterfragen
Eine andere Form der Faulheit beschreibt das Nichtstun, wenn man gar keine Erholung benötigen sollte. Wer sich kaum noch bewegt oder anstehende Aufgaben nicht mehr erledigt, wird früher oder später gesundheitliche oder finanzielle Probleme bekommen, sich sozial isolieren oder in andere Schwierigkeiten geraten. Doch solche Personen einfach als faul oder als Taugenichtse zu verurteilen, wäre meist eine zu oberflächliche Einschätzung. Denn was von aussen als Faulheit beurteilt werden könnte, hat möglicherweise biologische Ursachen.
So kann zum Beispiel eine Fehlfunktion der Schilddrüse zu Müdigkeit, Überforderung und Antriebslosigkeit führen. Auch Ängste, Depressionen, eine mentale Überforderung und weitere psychische Ursachen können „Faulheit“ verursachen. Dann hilft auch kein gut gemeinter Motivationsspruch, sondern ärztliche oder psychologische Hilfe ist erforderlich.
Auch – und vor allem – bei Kindern ist es wichtig, Gründe für Faulheit in der Schule zu hinterfragen, um ernste Ursachen nicht zu übersehen. Dazu zählen unter anderem unterschiedliche Lernschwächen, Probleme mit Aufmerksamkeit, Unterforderung, emotionaler Stress oder auch körperliche Ursachen wie Nahrungsmittelunverträglichkeiten.
Was du heute kannst besorgen…
Bei der Prokrastination besteht im Gegensatz zur Faulheit der Wille, anstehende Aufgaben zu erledigen. Man entscheidet sich aber dazu, sie später zu erledigen und stattdessen vorerst etwas anderes zu tun. Beim Prokrastinieren tut man also etwas – nur nicht das, was gerade mehr oder weniger dringend wäre. Die Grenze zur Faulheit ist dabei aber fliessend.
Prinzipiell wird zwischen zwei Formen unterschieden – dem passiven und dem aktiven Prokrastinieren. Theorien zum passiven Prokrastinieren sehen vor allem negative Gefühle als Ursache wie Angst vor dem Versagen, Stress, eine starke Abneigung gegenüber der Aufgabe an sich oder Selbstzweifel.

Bild Sebastian Herrmann (unsplash)
Aktive Prokrastinierer dagegen verschieben Aufgaben ganz bewusst und wollen mit dem Verschieben nicht etwa negative Gefühle vermeiden. Sie können unter grösser werdenden Druck besser abliefern, halten Abgabetermine gut ein und erbringen im Allgemeinen gute Leistungen. Da Prokrastinieren meist mit der ersten, negativen Form in Verbindung gebracht wird, wird oft übersehen, dass das Aufschieben von Aufgaben auch durchaus positive Effekte haben kann.
Produktives Prokrastinieren
Manchmal ist man einfach mental nicht für eine wichtige, aber schwierige Aufgabe bereit und man kann sich nicht dazu motivieren, damit zu beginnen. Zum Beispiel schieben Studierende öfter Hausarbeiten oder Prüfungsvorbereitungen vor sich her. Stattdessen beginnen sie mit weniger dringenden, aber auch wichtigen Aufgaben, zum Beispiel mit dem Putzen der Wohnung.
So ist die Zeit dennoch sinnvoll genutzt. Und danach ist die Motivation der dringenden Aufgabe vielleicht auch wiedergekehrt. Zu langes Aufschieben ist dabei aber natürlich nicht empfehlenswert.
Förderung der Kreativität
Ein anderer Vorteil des Prokrastinierens ist, dass es die eigene Kreativität oder Denkleistung fördern kann, sodass aufgeschobene Aufgaben schliesslich besser gelöst werden. Ein Verfechter von Prokrastination für mehr Kreativität ist Adam Grant, Professor in Management und Psychologie an der Wharton School. Mit einer New York Times-Kolumne sowie in einem TED-Talk überzeugte er viele Menschen von seinen Ideen. Unter anderem, indem er aus eigener Erfahrung sowie von Experimenten seiner ehemaligen Studentin Jihae Shin berichtete.
Sie führte zunächst eine Umfrage bei Firmen durch. Diese zeigte, dass Menschen, die moderat prokrastinieren, von ihren Vorgesetzten als am kreativsten bewertet wurden. Menschen, die Aufgaben sehr früh oder sehr spät erledigen, hatten laut ihren Vorgesetzten aber weniger kreative Ideen.
Computerspiele für bessere Ideen
Aufbauend auf diese einfache Umfrage führte Jihae Shin ein Experiment durch: Drei Gruppen von Versuchspersonen sollten kreative Geschäftsideen finden. Die erste Gruppe erhielt die Aufgabe und begann sofort, die zweite Gruppe erhielt die Aufgabe und spielte vor dem Notieren der Ideen zehn Minuten Minesweeper oder Solitaire und die dritte Gruppe spielte zuerst, bekam dann die Aufgabe und begann. Die Ideen wurden am Ende von einer unabhängigen Jury hinsichtlich Kreativität bewertet.

(Man kann auch schneller sein, der Spieler war offensichtlich etwas aus der Übung)
Tatsächlich wurden die Ideen der Gruppe, die nach Erhalt der Aufgabenstellung gespielt hatten, 27% besser bewertet als die der Gruppe ohne Spiele. Das Spiel an sich trug aber nicht dazu bei, da die Gruppe, die spielte, bevor sie die Aufgabe kannte, keine besseren Ideen hatte.
Kreativität braucht Zeit
Dieses Experiment wurde jedoch mit nur wenigen Testpersonen durchgeführt und nicht publiziert und beweist daher die Hypothese noch nicht. Teilweise kann das Ergebnis des Versuchs damit erklärt werden, dass die Personen einfach mehr Zeit nach Erhalt der Aufgabe hatten. Während des Spielens konnten sie schon über die Aufgabe nachdenken. Eine Studie der Northwestern University in Illinois konnte passend dazu zeigen, dass Menschen, die länger an kreativen Aufgaben arbeiten, auch kreativere Ideen zustande bringen.
Ein anderes Argument, das die Hypothese von Grant unterstützt, liefert eine Studie der New Yorker Cornell Universität. Sie zeigt, dass sich Menschen an unfertige Aufgaben besser erinnern können als an beendete. Daher kommt es in alltäglichen Situationen häufiger vor, dass man an unvollendete Aufgaben denkt und teilweise gedanklich bewusst weiter an einer Lösung arbeitet.
Die Leistung des Unterbewusstseins
Doch wir denken nicht nur bewusst ab und zu an unvollendete Aufgaben. Auch das Unterbewusstsein spielt eine grosse Rolle dabei, dass Prokrastinieren bei anspruchsvollen Aufgaben oft zu einem besseren Ergebnis führt. Das konnte auch eine Metastudie der Lancaster Universität in Grossbritannien bestätigen, die viele verschiedene Studien zum Thema auswertete.
Je länger Personen ablenkende Aufgaben ausführen, desto besser wird das Hauptproblem schliesslich bewältigt. Dabei bringen ablenkende Aufgaben, die weniger anspruchsvoll sind, am Ende bessere Resultate als geistig anspruchsvolle Aufgaben, die man anstelle der Hauptaufgabe macht. Wer also nach einer kreativen Idee sucht, sollte lieber mit einer einfachen handwerklichen Arbeit prokrastinieren als mit dem Lösen von Mathe-Aufgaben. Dieser Ansatz setzt natürlich voraus, dass man die Aufgabe kennt und die nötigen Informationen besitzt.
Bewusst aufschieben und faul sein
Personen, die Aufgaben so früh wie möglich erledigen und ihre Arbeit lange vor dem Abgabetermin einreichen wollen, sollten erwägen, damit noch etwas zu warten. Möglicherweise kommen ihnen nach der Fertigstellung noch weitere gute Ideen. Personen, die hingegen prokrastinieren, sollten sich zunächst die Aufgabenstellung gut anschauen. So können sie, auch wenn sie anderes tun, bewusst und unbewusst Ideen finden. Und auch faul sollte man ab und zu bewusst sein, um sich von stressigen Zeiten zu erholen, mit positiven Auswirkungen auf die mentale und körperliche Gesundheit.

Im Netz / Quellen
Hidden Causes of Laziness You Should Know, Artikel über die Ursachen von Faulheit
‘Just Try Harder and You Will Shine’: A Study of 20 Lazy Children, Studie über die Ursachen von Faulheit bei Kindern im Journal of Psychologists and Counsellors in Schools
Dependence and Social Loafing: Comparison in High/Low Task Visibility between Active/Passive Procrastinators, Studie über die Ursachen von Prokrastination im International Journal of Psychiatry Research
Why I Taught Myself to Procrastinate, Kolumne in der New York Times von Adam Grant über Kreativität und Prokrastination
People underestimate the value of persistence for creative performance, Studie der Northwestern University darüber, dass Persistenz Kreativität fördert
Remembering and Regretting: The Zeigarnik Effect and the Cognitive Availability of Regrettable Actions and Inactions, Studie der Cornell Universität darüber, dass unvollendete Aufgaben besser im Gedächtnis bleiben
Does incubation enhance problem solving? A meta-analytic review, Metastudie der Lancaster Universität über unterbewusstes Lösen von Problemen.