The Suicide of Rachel Foster
Spurensuche im Creep-Hotel

Der Wind rüttelt an Fenstern, alte Treppenstufen ächzen. Ein altes Hotel knackt und kracht, während Schnee und Eis es weiter zerfressen. Mittendrin NORMAN VOLKMANN, der einem alten Geheimnis auf den Grund und dem Ende des Sommers in Berlin aus dem Weg gehen wollte. Der Schneesturm in The Suicide of Rachel Foster kam gerade recht.
Während eines Schneesturms allein im Hotel in den Bergen: The Suicide of Rachel Foster schlägt ab sofort die Brücke zu Stephen Kings Overlook Hotel in The Shining. Das Timberline Hotel (übrigens der Name des realen Hotels, das in Kubricks Verfilmung das Overlook darstellt) ist für Hauptcharakter Nicole Wilson ein Ort voller Erinnerungen. Ihre Mutter trennte sich vom Vater, als dessen Beziehung mit der minderjährigen Mitschülerin Rachel Foster bekannt wurde. Rachel nahm sich das Leben und hinterließ zwei Familien – eine zerrissen von Wut und Trauer, eine von Schock und Schuldgefühlen. Mehr als zehn Jahre später steht Nicole wieder im quasi-Elternhaus und soll das Hotel für einen geplanten Verkauf überprüfen. Mutter und Vater sind tot – der eindringliche Wunsch der Mutter war es, das Hotel zu verkaufen und den Erlös Familie Foster zukommen zu lassen.

Nachdem der Sommer in Deutschland endlich seinem Ende zugeht, konnte ich es gar nicht abwarten, während eines schweren Schneesturms in einem verlassenen Hotel zu stöbern. Überall knarzte und knackte es und obwohl das Timberline Hotel schon einige Jahre leer stand – hier und da blieb das Gefühl, dass mir gleich doch Gäste entgegenkommen. Als Kind hätte ich alles dafür gegeben, unbeaufsichtigt und frei durch ein solches Gebäude zu rennen und Abenteuer zu erleben. Neue Geschichten hinter jeder Tür. Geheimgänge und Abkürzungen des Hotel-Personals ergründen, herausfinden, was hinter jeder einzelnen Tür mit “Zutritt verboten” wirklich steckt. Wie wird für hunderte Menschen gleichzeitig gekocht, wo kommt der Inhalt der Minibar her, wie sieht das Büro des Hoteldirektors aus, ist der Keller verwunschen? The Suicide of Rachel Foster konnte diesen Erforscherdrang zwar nicht vollends stillen, aber meine Fantasie zumindest in Teilen versorgen.

Was The Suicide of Rachel Foster mechanisch ausmacht, kann man im Grunde schon vom Namen ableiten. Es erinnert mich an Metalcore-Bands aus den frühen 2000er-Jahren. Bei Bandnamen wie Arsonists Get All The Girls oder I Killed The Prom Queen war die musikalische Erwartungshaltung schon erklärt, bevor der erste Takt gespielt wurde. Ganz ähnlich ist das hier: Wer What Remains of Edith Finch, Everyone’s Gone To The Rapture oder The Vanishing of Ethan Carter gespielt hat, weiß genau, was The Suicide of Rachel Foster bietet. Die größten Parallelen gibt es bei diesem Titel aber mit Gone Home und Firewatch. Nicole ist über ein Telefon in ständigem Kontakt mit dem FEMA-Agenten Irving und spricht mit ihm über das Hotel und ihre Entdeckungen. Die beiden schaffen es allerdings zu keinem Zeitpunkt, eine ähnliche Chemie zubauen, wie Henry und Delilah in Firewatch – dafür sind die Dialoge zu hölzern und ist die Erzählung nicht stringent genug. Das Hotel ist nur oberflächlich interessant, bietet kaum Überraschungen und die Spielerführung ist an vielen Stellen unzulänglich. Weicht man vom Spiel angedachten, aber oft nicht klar gekennzeichneten Pfad ab, führt das lediglich zu orientierungslosem Herumirren. Das erzählerische Korsett erlaubt keine echten Entdeckungen. Auch die Aufklärung des Falles ließ mich unzufrieden zurück, denn alle Hinweise, Gerüchte und falschen Fährten sowie die Einführung des Übernatürlichen waren schlussendlich bedeutungslose Randnotizen. Der Sound des Spiels dagegen ist aber über alles erhaben: Wenn Türen knallen, Treppen knarzen oder Glöckchen klingen, habe ich mehrfach meine Kopfhörer abgenommen – fest davon überzeugt, dass die Geräusche aus der Wohnung kommen müssen. Allein über Musik und Soundkulisse baut das Spiel fühlbar Spannung auf, selbst wenn es auf dem Bildschirm nie bedrohlich wird.

The Suicide of Rachel Foster hakt alle Anforderungen handlungsgetriebener Walking-Simulatoren ab, doch scheitert an den Thematiken und der Inszenierung der Hauptfiguren. Die Liebesbeziehung eines erwachsenen Mannes und einer Minderjährigen, Schuld, Trauer, Verrat, Religion, übernatürliche Phänomene: Der Titel verhebt sich und wird dabei keinem Motiv ausreichend gerecht. Besonders enttäuschend ist dabei, dass der Suizid von Rachel Foster und die damit verbundene Schwere des Themas nicht ansatzweise behandelt wird. Am Ende windet sich das Spiel förmlich aus einem klaren Kommentar. Die Charaktere bleiben zu blass, die Themen zu vielfältig, als dass sie befriedigend beleuchtet werden könnten. The Suicide Rachel Foster ist an vielen Stellen spannend, reicht aber zu keinem Zeitpunkt an die inszenatorische und erzählerische Klasse von Firewatch oder What Remains of Edith Finch heran.
Bereits erschienen.
Originaltitel: The Suicide of Rachel Foster
Plattformen: PC, Playstation 4, Xbox One
Entwickler: One O One Games
Veröffentlicht von: Deadalic Entertainment