Schlaue Köpfe – faule Gehirne

Gesucht: Das richtige Mass an Bequemlichkeit

Oft sind wir Menschen uns unserer Bequemlichkeit gar nicht bewusst. Ganz automatisch kürzt unser Gehirn ab, vereinfacht oder filtert es, was ihm mühsam erscheint. Und so tun wir manchmal Dinge, die wir anders machen würden, wenn wir es uns genauer überlegen.

Es gibt Menschen, die nehmen – bei bester Gesundheit – stets den Lift, womöglich sogar den zum Fitnessstudio. Andere wiederum sparen sich den Weg über den gesicherten Zebrastreifen und überqueren die vielbefahrene Strasse halsbrecherisch via die kürzestmögliche Route. Auch dass viele Menschen ihren Abfall zum Autofenster hinauswerfen oder nach dem Picknick einfach liegen lassen, ist alles andere als vernünftig.

Aus den Augen, aus dem Sinn: Weggeworfene PET-Flasche.
Viel gedacht hat sich der ehemalige Besitzer bei seiner „Tat“ wohl nicht.

Diesen Verhaltensmustern liegt ein menschlicher Wesenszug zugrunde: Die Bequemlichkeit. Doch wie schon die genannten Beispiele zeigen: Es gibt nicht nur eine Form von Bequemlichkeit sondern deren viele. Gemeinsam ist allen Arten der Bequemlichkeit, das menschliche Bestreben, Energie zu sparen: sich möglichst wenig anzustrengen also.

Das Bestreben Energie zu sparen
Die Bequemlichkeit ist somit grundsätzlich sinnvoll. Der Mensch der Frühzeit hatte schliesslich keinen Supermarkt um die Ecke und musste daher haushälterisch mit seinen Ressourcen umgehen. Aber die Menschen waren nicht nur seit jeher sparsam sondern auch erfinderisch. Insbesondere, wenn es darum ging, sich das Leben bequemer gestalten zu können. Und so erfanden sie Jagdwaffen, das Kochen, das Rad, den Pflug, Wasser- und Windmühlen, die Dampfmaschine.

Generationen von Bauern und Arbeitern haben sich (halb) zu Tode geschuftet mit Arbeiten, die heute ein Einzelner ohne Anstrengung mit der entsprechenden Maschine schafft. Und Buchhalter oder Mathematiker rechneten tagelang, was heute mit einem Mausklick erledigt wird.

Viele Arbeiten, die wir heute als mühselig empfinden würden, waren für unsere Vorfahren unumgänglich, wie zum Beispiel das Wäschewaschen draussen, auch im Winter!
Pekka Halonen: Washing on the Ice

Aber die Tendenz zur körperlichen und mentalen Bequemlichkeit hat auch ihre Schattenseiten. Dass es nicht gesund ist, wenn man nur herumsitzt und Chips knabbert, hat sich inzwischen herumgesprochen. Was wir uns aber viel zu wenig bewusst sind: Auch das Gehirn ist bequem und wir müssen es hin und wieder aus seinem Halbschlaf-Modus aufwecken.

Das bequeme Gehirn
In seinem Buch „Schnelles Denken – Langsames Denken“ (Thinking, Fast and Slow) von 2011 unterscheidet der israelisch-amerikanischer Psychologe Daniel Kahneman zwischen zwei Systemen in unseren Denkprozessen. Der erste, das schnelle Denken läuft unbewusst ab und erfordert keine Anstrengung. Es ist allerdings anfällig auf Fehler und voreilige Schlüsse.

Erst im zweiten Modus, dem langsamen Denken sind wir bzw. unser Gehirn fähig, komplexere Aufgaben zu lösen. Doch leider werden wir ständig davon abgehalten. Das Gehirn mag es eben lieber bequem. Und damit kurz, schnell und ohne zu hinterfragen. Dieser Tendenz zum gedanklichen Schnellschuss sind wir ausgeliefert, ob wir wollen oder nicht. Und so nehmen wir fast immer die bequeme mentale Abkürzung – dies obwohl es oft nur sehr kleine mentale Anstrengungen wären, die uns zu besseren Lösungen führen würden.

Es gibt zahllose Experimente, die belegen, dass wir aufgrund von mentalen Abkürzungen, fehlerhafte Schlüsse ziehen. Zum Beispiel schreiben wir Menschen, die wir positiv wahrnehmen, automatisch auch weitere vorteilhafte Eigenschaften zu – ohne dass wir das wirklich wissen können. Einen auf den ersten Blick gut aussehenden Menschen halten wir für sympathisch und kompetent, einer unattraktiven Person trauen wir hingegen wenig zu.

Das überforderte Gehirn
Dieser Urteilsfehler wird Halo-Effekt genannt – von englisch halo zu deutsch „Heiligenschein“. Eine Eigenschaft „überstrahlt“ die anderen. Dass uns unser Gehirn hier etwas vormacht, erkennen wir aber nur, wenn wir bewusst und gründlich denken. Dafür haben wir oft keine Zeit weil wir bereits von neuen Dingen in Anspruch genommen werden.

Ein weiteres Beispiel für eine mentale Abkürzung ist der sogenannte Bestätigungsfehler: Wir bevorzugen Informationen, die unser bisheriges Wissen bestätigen, indem wir sie höher gewichten. Oder indem wir sie – in der Regel unbewusst – so zurechtbiegen, dass sie in unser Bild passen. Zudem suchen wir eher, nach denjenigen Informationen, die unsere bisherige Sicht unterstützen. Dies tun wir manchmal bewusst, manchmal auch unbewusst.

Auch den Bestätigungsfehler, könnte man somit durchaus als Bequemlichkeit unseres Gehirns bezeichnen. Denn es ist „anstrengend“, Informationen, die unserer bestehenden Meinung widersprechen, nicht auszublenden sondern bewusst einzuordnen. Doch der mentale Kraftaufwand dazu scheint uns oft zu gross. Dies ist vielleicht auch einer der Gründe, warum gewisse Menschen, statt sich mit der Wirklichkeit zu befassen, sich lieber ihre eigene Wirklichkeit erschaffen.

Muster als Helfer und Hindernis
Und auch wenn teilweise oder komplett neue Probleme an uns herantreten, bleibt das Gehirn erst mal bequem. Es versucht zuerst, die neuen Fragen mit den geläufigen Mustern zu verknüpfen und sie mit den bereits bekannten Lösungswegen zu beantworten.

Das hat im Alltag durchaus seine Vorteile! Denn häufig klappt es und ist damit sehr effizient. Wir wissen, dass es auch in einem Dorf, das wir noch nie betreten haben, in der Bäckerei Brot zu kaufen gibt. Oder dass der Vierbeiner dort an der Ecke ein Hund sein muss, von ihm also in aller Regel keine Gefahr ausgeht.

Wissen und Erfahrung sind für diese Art von Denken erforderlich und hilfreich. Aber gleichzeitig auch hinderlich für das Entwickeln neuer Ideen und Herangehensweisen. Oft wünschten wir uns darum, dass wir kreativer wären und dass es uns leichter fiele, „über den Tellerrand zu denken“.

Auch gesellschaftlichen Normen folgen wir oft unbewusst: In vielen Situationen tun wir das, von dem wir denken, dass es normal oder erwünscht ist. Unser Gehirn möchte nicht darüber nachdenken, ob das, „was die andern tun“ richtig ist, sondern nimmt dies einfach an. Auch dieses Phänomen der Konformität hat Vor- und Nachteile. Oft ist es richtig, sich daran zu orientieren, was die andern machen, aber manchmal auch völlig daneben.

Routiniert oder festgefahren?
Und auch wenn wir einfach das tun, was wir immer tun, ist dies eine Form von mentaler Bequemlichkeit. Immerhin können wir diese „Macht der Gewohnheit“ auch ausnützen, um uns zu verändern! Zum Beispiel könnten wir uns aneignen, donnerstags mit dem Fahrrad zur Arbeit zu radeln oder immer die Treppe (statt den Lift) zu benützen. So wählen wir zuerst noch bewusst die weniger bequeme Art, bevor es uns dann zum neuen Standard wird, über den wir gar nicht mehr nachdenken (müssen).

Doch ein gewisses Mass an Bequemlichkeit ist auch effizient! Wer alles immer bis ins letzte Detail perfekt machen will, muss einen ungleich grösseren Aufwand betreiben, als derjenige, der auch mal fünf gerade sein lassen kann und sich auch mit 98% zufrieden gibt.

Wer hingegen ständig zur Perfektion neigt, macht sich unglücklich und ist kaum je mit sich selbst zufrieden. Die Bequemlichkeit ist oft sogar eine Notwendigkeit. Betrachten wir die schiere Masse an Informationen, die jeden Augenblick unseres Wachseins auf uns einprasselt! Damit können wir nur klarkommen, weil unser Gehirn rigoros abblockt, filtert, vereinfacht. Wir können uns nicht zu jeder Zeit konzentrieren und stets alles achtsam in uns aufsaugen.

Bequemlichkeit mit Folgen
Doch insgesamt sollten wir uns mehr Zeit nehmen und Dinge gründlicher überdenken. Uns nicht ablenken lassen von der nächsten Zerstreuung, die nur einen Klick entfernt auf uns wartet. Wir könnten zum Beispiel, wenn wir auf einen Freund oder den Bus warten, statt unser Mobiltelefon aus der Tasche zu ziehen, einfach mal etwas nachdenken – über unser Leben zum Beispiel. Nur so kommen wir auf neue und vielleicht auch gute Ideen.

Zudem sollten wir noch eines bedenken: Unser alltägliches Verhalten, das wenn es nur vom unbewussten/automatischen (schnellen) System gesteuert wird, führt zu einigen Problemen. Den Zustand unserer Welt, der vor allem in ökologischer Hinsicht bedenklich ist, haben wir nicht zuletzt unserer Bequemlichkeit zuzuschreiben.

Einerseits führte unser Streben nach körperlicher Bequemlichkeit zu Wohlstand. Und dieser hat mit Autos, Flugreisen und allerlei technischen Geräten, wie wir sehr wohl wissen, eine Schattenseite: Den gigantischen Ressourcen-Verbrauch. Andererseits führt die mentale Bequemlichkeit dazu, dass wir diese Probleme gerne verdrängen.

Es stellt sich die Frage, ob wir Menschen es schaffen, nicht immer nur das mental und körperlich Bequeme zu suchen, sondern die Herausforderung. Es bräuchte schon eine radikale Abkehr vom „weiter so wie bisher“ – aber sonst wird das Leben auf den Planeten äusserst unbequem!

Das Smartphone fordert ständig unsere Aufmerksamkeit und lenkt somit ab von gründlichem Nachdenken.
Foto von ROBIN WORRALL on Unsplash

Komfort-Hierarchie
Wir mögen es gerne bequem und damit sicher. So suchen wir unbewusst die sogenannte Komfortzone. Sie ist der Zustand, bei welchen wir keinerlei „Unannehmlichkeiten“ fürchten müssen. Der Begriff aus der Psychologie ist aber teilweise negativ besetzt. Denn in der Komfortzone werden wir nicht herausgefordert und leisten weniger, als wir eigentlich könnten.
Zudem schafft sich der Mensch die sogenannte Komfort-Hierarchie: Erfindungen, wie Waschmaschinen oder Autos, die Anstrengungen wegfallen lassen, erachtet er als selbstverständlich und nimmt sie nicht mehr wahr. Dann empfindet er die verbleibende Anstrengung, zum Beispiel den Unterhalt der Maschine als unangenehm.

Im Netz
Die Tyrannei der Bequemlichkeit. NZZ Folio September 2018

Der Halo-Effekt, Spektrum-Lexikon der Psychologie

Das Gehirn nimmt es oft nicht so genau. Die Liste von Fehlern, die es begeht, wenn wir nicht aufpassen, ist sehr lang! Kognitive Verzerrungen auf webcampus.de





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