Iron Harvest
Wer Mechs sät, wird Eisen ernten

Jakub Różalski – seines Zeichens polnischer Maler und Illustrator – hat ein Markenzeichen: Er malt Bilder, die stark von der Landschaftsmalerei des ausgehenden 18. Jahrhunderts inspiriert sind. Mit einem Unterschied: Ganz im Stile des Dieselpunks ergänzt er seine Werke um imposante Mechs. Dieses malerische Universum inspirierte bereits das 2016 veröffentlichte Hype-Brettspiel Scythe und nun auch King Art Games’ Echtzeitstrategiespiel Iron Harvest. Können die deutschen The-Dwarves-Entwickler erfolgreich auf den Hypetrain rund um Różalskis Bilder aufspringen? Oder geht ihnen auf halber Strecke der Diesel aus? DANIEL APPEL hat sich für uns ins Mech-Cockpit geschwungen, um dieser Frage nachzugehen.
Langsam schleiche ich von der Hecke zu der niedrigen Mauer neben der Kirche. Nicht mehr lange und ich habe es geschafft: Die Ölpumpe ist nur noch eine Steinwurfweite entfernt – weit und breit keine gegnerischen Truppen zu sehen. Aus der Ferne dröhnt der Gefechtslärm zu mir herüber. Mit massivem Truppenaufgebot nimmt unsere Streitmacht das Stadtzentrum ein und drängt die Rusviets über den Fluss zurück. Nur noch wenige Meter – und der Sieg rückt in greifbare Nähe! Behände schleiche ich von hinten an die Anlage und hole die rusvietische Flagge ein, nur um direkt im Anschluss die polanische zu hissen. Ein Kinderspiel. Broooaaaach! Mit einem martialischen Laut bricht ein riesenhafter Mech durch die berstenden Kirchengemäuer und holt mit seinen haushohen Sensen aus, um mir den Gar auszumachen. Rückzug! Während mein Bär sich dem Mech entgegenstürzt, ziehe ich meine Scharfschützin zur Basis zurück. Aber schon aus der Ferne sehe ich meine Fabrik in Trümmern liegen. Verdammt. Während ich gleichzeitig mein kleines Schleichmanöver und die große Offensive in der Mitte der Karte koordiniert habe, haben mich die verdammten Rusviets mit einem Großaufgebot flankiert und meine Basis mit Artilleriefeuer in Schutt und Asche gelegt. Da hilft nur F9 – Quickload. Beim nächsten Versuch lasse ich mir am besten ein fünftes Augenpaar wachsen, um nicht wieder überrascht zu werden. Herzlich willkommen auf den dynamisch-turbulenten Schlachtfeldern von Iron Harvest.
Company of Desperacraft?
Echtzeitstrategie? Da war doch was. Command & Conquer, War– und Starcraft, Total War, Company of Heroes, Age of Empires, Dawn of War: Eine Menge klangvoller Franchises tummel(te)n sich in diesem Genre. Damals. Denn in den letzten Jahren ist es um das Boom-Genre von einst verdächtig still geworden. Wenig Lootbox-kompatible Spielmechaniken, mäßige Portierbarkeit auf Smartphones, ausgereizte Potenziale im Gamedesign – die Gründe mögen vielfältig sein. Fakt ist: Die Liste der Releases in den letzten Jahren ist kurz und das einstige Vorzeigegenre der kranke Mann der Computerspielgenres.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mutig, dass King Art Games mit Iron Harvest in die Bresche springen. Weniger mutig: Sie erfinden das Rad dabei nicht gerade neu. Vom Spielaufbau erinnert Iron Harvest zumeist frappierend an Company of Heroes. Ihr befehligt Infanterietrupps und Panz… – pardon: Mechs, erobert Ressourcenpunkte und baut sehr rudimentäre Basen zur Truppenproduktion. Mit euren gesammelten Truppen stürzt ihr euch dann in Scharmützel – bevorzugt an mehreren Stellen gleichzeitig auf der Map. Das sorgt für angenehme Hektik und Dynamik. Neben dem Blick auf das solide gebalancede Stein-Schere-Papier-Prinzip der Einheitentypen, kann auch das geschickte Mikromanagement der Truppen über Sieg oder Niederlage entscheiden. So schickt ihr Einheiten in Deckung, verschanzt sie in Häusern und setzt deren Spezialfähigkeiten zum richtigen Zeitpunkt ein. So weit, so Company of Heroes.

Zusätzlich können auch die Helden der drei Fraktionen das Blatt in den zahlreichen Schlachten wenden: Clever eingesetzt, verursachen sie mit ihren Spezialfähigkeiten enormen Schaden und werten eure Armee deutlich auf. Klingt nach Starcraft? Finde ich auch. Gelegentlich müssen die Helden zudem auch kleinere Solo-Missionen bestreiten, wie zum Beispiel unentdeckt eine Stadt infiltrieren und sich dabei außerhalb des Blickfelds der Wachen halten – Desperados, Commandos & Co. lassen grüßen. Überdies erzählt Iron Harvest an den diversen Heroen orientiert die Geschichte seiner Kampagne und beleuchtet den Konflikt der fiktiven Staaten Polania, Rusviet und Saxonia von allen Seiten. Dabei wechselt ihr im Laufe der Geschichte organisch von einer Fraktion zur nächsten und erfahrt eine Menge über das Schicksal der einzelnen Charaktere. Warcraft III – ick hör dir trapsen. Summa summarum: innovative Neuerungen im Gamedesign von Iron Harvest? Fehlanzeige.
Handwerk hat goldenen Boden
Obgleich King Art Games den Einsatz altbekannter Versatzstücke auf die Spitze treibt, fällt es mir dennoch schwer Iron Harvest nicht zu mögen – und das hat mehrere Gründe. Da ist zum einen das Gespür der Macher für Game-Design-Qualitäten: Man kann das dreiste Kopieren der Kernmechaniken anderer Genregrößen getrost mit dem Begriff Eklektizismus adeln. Warum? Weil King Art Games zuverlässig die Stärken all der oben genannten Titel herauspickt und sinnvoll miteinander verquirlt. Heraus kommen angenehm abwechslungsreiche und schweißtreibende Gefechte, die mich auch ganz abseits jeder Nostalgie gut unterhalten. Zum anderen ist da der heimliche Star des Spiels: das Missionsdesign. Was sich im überschaubaren Rahmen klassischer Echtzeitstrategie machen lässt, macht Iron Harvest – und das meiste davon ziemlich gut. Ob ich in Unterzahl ein Gebäude gegen heranstürmende Gegnerwellen verteidige, die Weichen für einen empfindlichen Zug im Feindesland richtig stelle, Zivilisten zu einem Luftschiff eskortiere oder getarnt und ausschließlich mit Stealth-Kills eine Basis infiltriere: Iron Harvest zieht hier in der angenehm dichten Kampagne alle Register und begnügt sich nur äußerst selten mit Schema F à la „Baue Einheiten und vernichte alle Gegner.“ Hier gilt es zurecht zu sagen: Chapeau, King Art. Handwerklich ist Iron Harvest mehr als nur ein Gesellenstück.

Auch die Geschichte der Kampagne weiß nach etwas behäbigem Start zu gefallen: Zwar kommt sie bei der Charakterzeichnung nicht über Klischees hinaus und überfrachtet die Figuren gelegentlich mit nationalen Stereotypen, dafür schafft sie mit gut gesprochenen Dialogen Nähe zu den Protagonisten und hält mit der einen oder anderen Wendung das Interesse des Spielers über die rund 20 Stunden am Leben. Dazu tragen auch die Zwischensequenzen in Ingame-Grafik bei. Leider fällt hier ein großer Wermutstropfen besonders ins Gewicht. Sehen Figuren und Mechs aus der Vogelperspektive gut aus und transportieren den steampunkigen Alternate-Reality-Charme gekonnt, fällt das comichafte Art Design in den Zwischensequenzen aus dem Rahmen: Antagonisten wirken eher albern als böse und die streckenweise düstere Story steht in einigen Erzählsträngen (z.B. rund um fragwürdige Cyborg-Experimente an wehrlosen Menschen) in einem seltsamen Kontrast zu den quietschbunt überzeichneten Figuren. Offenkundig stand hier das ebenfalls comicartige Warcraft III Pate, das mit seiner Geschichte allerdings weniger schwerwiegende Bild-Story-Brüche produziert. Schade, King Art – eine etwas konsistentere Abstimmung von Art Design auf die solide Story hätte einiges zur Atmosphäre beigetragen.
Two Face
Wenn sich der Schlachtennebel verzieht, steht mit Iron Harvest ein abwechslungsreiches Strategiespiel mit unterhaltsamer Kampagne und vorbildlichem Leveldesign im Hangar. Dass die eigentlich solide Story aufgrund der zweifelhaften Art-Design-Entscheidung atmosphärisch leidet, der überschaubare Skirmish-Mode eher Beiwerk ist und die Spielmechaniken von Iron Harvest wenig innovativ sind, ist aufgrund der knappen Nachschubsituation im Genre zu verschmerzen. Wer keine Impulse für das Genre erwartet, kann mit Iron Harvest durchaus die Freude an der Echtzeitstrategie (wieder-)entdecken.
Bereits erschienen.
Originaltitel: Iron Harvest
Plattformen: PC (Konsolenversionen folgen)
Entwickler: King Art Games
Veröffentlicht von: Deep Silver