Wort-Buffet ’20
Wörter und ihre Geschichten
Bei diesem Jahresrückblick spielt das Virus für einmal (fast) keine Rolle: Auch 2020 wollen wir auf die Beiträge unserer kleinen Rubrik Das Wort drüben bei instagram zurückblicken. Dort picken wir uns jeweils eines der beinahe unzähligen Wörter heraus und unterziehen es einer genaueren Betrachtung.

Weckerradio Jubilate, Telefunken, Berlin, 1954, Bild: Deutsches Uhrenmuseum
Mord
Die absichtliche Tötung eines Menschen hiess schon im Althochdeutschen mord. Noch früher bedeutete das Wort „Tod“ und ist mit dem Lateinischen mortis bzw. dessen Genitiv mors verwandt – aus dem beispielsweise auch das Französische mort entstanden ist.
Zum Substantiv Mord gehören die Verben morden und ermorden. Erstaunlich ist, wie zahlreich die Wendungen und Synonyme sind, die das Töten eines Menschen umschreiben:
Ins Jenseits befördern, liquidieren, aus dem Weg räumen, beseitigen, das Licht ausblasen, kaltmachen, abmurksen, u.a.
Nicht ganz klar ist die Herkunft der Wendung um die Ecke bringen. Sie könnte damit zusammenhängen, dass Täter ihren Opfern gelegentlich an dunkeln Häuserecken auflauern. Oder mit einer alten Bedeutung von Ecke: Schneide eines Schwertes.
Wir leben glücklicherweise in einer Zeit, in der die Mordraten so tief sind wie nie zuvor seit dem Mittelalter. Die Zahl der jährlichen Tötungsdelikte pro 100.000 Einwohner liegt zum Beispiel in der Schweiz oder Norwegen bei 0,5. Die von Krisen geschüttelten Länder Mittel- und Südamerikas Venezuela und Honduras weisen allerdings viel höhere Zahlen aus: Sie liegen bei über 50 Morden pro 100’000 Einwohnern pro Jahr – immerhin ist aber auch hier die Tendenz sinkend.
P.S. Morde geschehen gemäss Statistik vor allem nachts und am Wochenende.
karg
Das Wortist bereits im Mittelhochdeutschen als karc und im Althochdeutschen als karag nachgewiesen. (Im Niederländischen existiert es ebenfalls als karig). Die heutige Bedeutung „spärlich“ hat sich allerdings erst mit der Zeit auf diese eingeschränkt. Karg bedeutete ursprünglich traurig, besorgt. Daraus entwickelte sich die Bedeutung sorgsam, schlau und sparsam, knauserig.
Und daraus bildete sich schliesslich der heute vorherrschende Sinngehalt heraus: ein Boden, eine Antwort, eine Mahlzeit oder die Einrichtung eines Raumes kann zum Beispiel karg sein.

Foto von Simon Maisch auf Unsplash
Abgeleitet ist das Adjektiv karg vom Substantiv Kar (Althochdeutsch kara). Es bedeutet Trauer, Klage, Kummer. Und es ist heute nur noch in den Zusammensetzungen Karfreitag, Karsamstag oder Karwoche erhalten. Der Karfreitag ist der Tag, an welchem Christen dem Leiden Jesu am Kreuz gedenken.
Verwandt mit Kar ist das Englische Substantiv care sowie das Adjektiv chary. In beiden Wörtern haben sich die ursprünglichen Bedeutungen erhalten. Während man care mit Kummer, Sorge übersetzen kann, bedeutet chary einerseits vorsichtig, andererseits sparsam.
Karfreitag: Der Tag an welchem den Leiden Jesu am Kreuz gedacht wird, hat in andern Sprachen andere Bezeichnungen:
Englisch: Good friday
Niederländisch: Goede Vrijdag
Französisch: Vendredi saint
Spanisch: Viernes Santo
Schwedisch: långfreda
Portugiesisch: Sexta-Feira Santa
Fabrik
Produktionsbetrieb ist zwar ein schönes Wort, aber Fabrik ist dann doch irgendwie einfacher. Seinen Ursprung hat das Wort im Lateinischen fabrica (Handwerksarbeit), das seinerseits aus faber (Handwerker, Künstler) abgeleitet ist.
Aus dem Lateinischen gelangte es als fabrique ins Französische und dann zunächst in der selben Schreibweise ins Deutsche. Die Bedeutung war zunächst aber „Herstellung“, „Herstellungsart“. Erst im 18. Jahrhundert kommt die heutige Bedeutung auf und setzt sich im 19. Jahrhundert durch – gleichzeitig mit der Industrialisierung: Die Fabriken schossen wie Pilze aus dem Boden.

Das Wort Fabrik hat (in leicht unterschiedlichen Schreibweisen) in vielen Sprachen die gleiche Bedeutung wie im Deutschen (Italienisch: fabbrica, Spanisch und Portugiesisch: fábrica, Russisch: Фабрика, Niederländisch: fabriek, Türkisch: fabrika). Im Englischen jedoch bedeutet fabric „Stoff“oder „Gewebe“ – die Bedeutung „Produktionsbetrieb“ hatte es dort zwar früher auch, doch mittlerweile verloren. Das übliche factory fand seinen Weg ins Englische übers Mittelfranzösische factorie aus dem Lateinischen factor, mit der Bedeutung „Macher“.
Mittlerweile stehen bei uns die klassischen Fabriken immer häufiger leer. Dafür werden anderswo neue hochgezogen. Produziert wird dort, wo es billig ist. Die Deindustrialisierung ist eine Folge der Globalisierung.
Dass dies auch Nachteile hat, hat uns soeben die Coronakrise gezeigt. Vielleicht wird in Zukunft wieder mehr in den Fabriken Europas produziert – für den europäischen Markt.
bleiben
Das Verb (mittelhochdeutsch belīben) geht auf das althochdeutsche bilīban zurück, bestehend aus der Vorsilbe bi- und dem Grundwort līban. Letzteres geht auf einen nicht schriftlich überlieferten Vorläufer zurück, der mit dem Wort für Leim (althochdeutsch līm) bzw. dem Verb leimen (līman) verwandt sein dürfte. Diese Herkunft ist insofern plausibel, als auch die Bedeutung verwandt ist: Etwas das angeleimt ist, das bleibt an seinem Ort (kleben).
Das Zahlwort elf (althochdeutsch einlif) ist wahrscheinlich eine Zusammensetzung aus ein und einem mit bleiben verwandten Stamm. Auf diese Herkunft deutet das überlieferte althochdeutsche leiba, für „Überbleibsel“. Wer über zehn hinaus zählte, hatte eins, das übrig blieb. Entsprechendes gilt auf für zwölf (althochdeutsch zwelif).
Mit bleiben verbinden wir oft passive und eher negativ konnotierte Begriffe: hängen bleiben, sitzen bleiben, zurück bleiben, stehen bleiben. Wer zu Hause bleibt ist ein Stubenhocker. Positiv besetzt sind hingegen Begriffe, in denen Aktivität anklingt wie vorwärts kommen, beweglich und fortschrittlich sein.
Vielleicht gibt es auch einen historischen Grund, warum wir nicht gerne „kleben bleiben“: Besonders seit dem Mittelalter legten Jäger leimige Vogelfallen, von welchen die Tiere nicht mehr wegkamen. Daraus sind Redewendungen entstanden wie jemanden auf den Leim gehen/führen.
campieren
Das Lateinische campus steht als Ursprung für campieren mit der Bedeutung „im Freien sein lager aufschlagen“. Wie auch das Substantiv Camp (Lager, Gefangenenlager), kommt es aus dem Englischen zu uns. Dorthin gelangte es via das Franzöische camp (Feld).
Zurück zum ursprunglichen campus. Das Wort bezeichnet ein Feld, einen offenen Platz. Solche Orte sind auch geeignet für Kämpfe und Schlachten. Schliesslich übertrug sich die Bezeichnung auch auf den Kämpfer auf dem Feld. Das Spätlateinische campionem zeugt davon. Dieses gelangte als champion ins Altfranzösiche, von dort ins Englische, wo es heute (wie im Deutschen) einen erfolgreichen Sportler bezeichnen kann.
Eine Ableitung zu campus ist das Adjektiv campaneus (zum Land gehörend). Daraus haben sich u.a. das Italienische campagna und das Französiche campagne (beide mit der Bedeutung „(flaches) Land“) entwickelt. Daraus wurde ins Deutsche das Wort Kampagne entlehnt – zunächst mit der militärischen Bedeutung „Feldzug“. Später wurde die Bedeutung erweitert auf friedlichere Kampagnen, wie Polit- oder Werbe-Aktionen.
Die Pilzgattung der Champignons erhielt ihren Namen dank der Tatsache, dass der häufige und gerne gegessene Wiesen-Champignon auf offenem Feld wächst.
Der Champagner stammt aus der Champagne, einer Region in Frankreich, die ihre Bezeichnung genauso wie die italienische Region Campania dem Lateinischen campus zu verdanken hat.
Auch das Wort Kampf geht vermutlich auf das lateinische campus zurück und gelangte schon früh ins Deutsche. Es ist bereits im Althochdeutschen als champf belegt. Und auch in andern Sprachen wie im Schwedischen oder Dänischen kamp findet man es wieder.
Schnecke
Der Weg des heutigen Namens des Weichtiers lässt sich zurückverfolgen via das Mittelhochdeutsche snecke zum Althochdeutschen snecko. Dieses wiederum geht wohl zurück auf ein germanisches Wort, das soviel wie „Kriechtier“ bedeutet. Auch das Althochdeutsche Verb snahhan (kriechen) ist damit verwandt. Mundartsprecher dürften es auch heute noch als schnagge kennen.
Im Englischen hat sich via das Altenglische snacca daraus snake (Schlange) entwickelt – aber auch snail (Schnecke mit Gehäuse) ist verwandt: Es ist die Verkleinerungsform von snacca und meinte ursprünglich die Nacktschnecken – sie heissen heute Englisch slug.
Mundartlich in Süddeutschland, der Schweiz und Österreich ist die Schnecke nicht weiblich sondern männlich: „der Schneck“ oder „der Schnegg“- dies geht zurück auf das Althochdeutsche.
Auch mundartlich, speziell schweizerisch ist das Wortt „aaschnäggele“. Es taucht erstmals 1967 in der Kurzgeschichte Ds Totemügerli des Schweizer Schriftstellers Franz Hohler auf. Dieser verwendet darin zahlreiche erfundene aber berndeutsch klingende Wörter. Dass eines davon, eben „aaschnäggele“ sogar den Sprung in die Alltagssprache geschafft hat, hat einen guten Grund: In der Geschichte bedeutet es zwar „gruseln“ – durchgesetzt hat sich allerdings die Bedeutung „keine Lust haben“. Dies, weil das ebenfalls verwendete Wort „aaschisse“ vielen Sprechern wohl als zu derb erschienen sein mag – weshalb das verhüllende „aaschnäggele“ gerade richtig kam.
geheim
Die heutige Bedeutung „versteckt, verborgen, vertraulich“ hat das Wort etwa seit dem 16. Jahrhundert. Zuvor bedeutete es „zum Haus gehörig“ (abgeleitet von Heim) bzw. „vertraut“. Heute noch bekannt sein dürfte der Titel Geheimrat. Dieser hat demnach nichts mit Geheimnissen zu tun, sondern bezeichnet einen Vertrauten.
Heim wiederum finden wir bereits im Gotischen haims mit der Bedeutung „Dorf“. Daher die Endung vieler Ortsnamen. Noch früher dürfte das Wort „Lager“ bedeutet haben: Der Ort, wo man sich niederlässt.
Auch das Englische home und das Schwedische hem sind noch hörbar mit dem Deutschen Heim verwandt. In englischen Ortsnamen ist es in der Endung -ham erhalten, in schwedischen als -hem.
Die Adjektive geheim und heimlich werden heute nicht mehr als zu Heim gehörend empfunden. Die Bedeutungswandlung betrifft auch andere Sprachen wie Niederländisch (geheim), Schwedisch (hemlig) und Dänisch (hemmelig).
Vom Lateinischen secretus (abgesondert, versteckt) stammt secret ab, das via das Französische auch ins Englische gelangt ist und mit ihm auch secretion bzw. sécrétion (Sekret, Absonderung).
Blatt
Das Wort bezeichnet allerlei dünne und flache Dinge, zum Beispiel aus Papier. Auch das Säge-, Schulter-, Teig-, Ziffer- oder Ruderblatt weisen diese Eigenschaften auf.
Aber bevor diese Dinge erfunden waren gab es natürlich schon die Blätter von Pflanzen.

Die Herkunft des Wortes lässt sich schriftlich als blat bis ins Althochdeutsche zurückverfolgen. Und zuvor dürfte es einen altgermanischen Vorfahren gehabt haben. Man findet es daher auch in Sprachen wie Dänisch, Schwedisch oder Niederländisch als blad. Im Englischen ging aus dem Germanischen Ursprung blade hervor. Es steht heute nicht nur für „Klinge“ (oder Sägeblatt) sondern auch für den grossen Teil des Pflanzenblattes, denjenigen ohne Stiel (Blattspreite oder Lamina).
Das Englische leaf ist mit unserem Laub verwandt. Es geht wohl ursprünglich auf ein Wort zurück, das „abschneiden, abreissen“ bedeutet hatte. Ein Zusammenhang mit dem früher üblichen abzupfen von Laub (um es den Haustieren zu füttern) scheint einigermassen plausibel.
Viele Pflanzen (die Spross- oder Gefässpflanzen) besitzen Blätter und können dank ihnen effizient Photosynthese betreiben. Dass dafür ist das Molekül Chlorophyll essentiell ist, haben viele wohl in der Schule gelernt. Es wurde benannt nach den Altgriechischen Wörtern chlōrós (χλωρός) „hellgrün, frisch“ und phýllon (φύλλον) „Blatt“. Es gibt dem Blatt die grüne Farbe. Die in unseren Breiten häufige Herbstfärbung von Blättern entsteht, weil das Chlorophyll langsam abgebaut wird und gleichzeitig sogenannte Anthocyane gebildet werden. Noch ist nicht ganz klar, was diese bewirken: Sie könnten die Pflanze vor zu viel Sonnenlicht schützen oder Fressfeinde abhalten. Beispielsweise solche, die ihre Eier legen wollen, damit sich ihre Nachkommen im Frühling über die frischen und wehrlosen Blätter hermachen können.
wacker
Wer das Adjektiv heute verwendet, tut dies wohl auch mit einem leicht scherzhaften Unterton. Wird das Wort doch als veraltend wahrgenommen. Dies trifft v.a. auf Wendungen wie der wackere Bürger zu. Hier hat es die Bedeutung „rechtschaffen“ oder „anständig“. In Wendungen wie sich wacker schlagen oder sich wacker halten bedeutet es „tapfer“.
Im Mittelhochdeutschen war die Bedeutung noch etwas breiter: wacker konnte „wach“, „wachsam“, „frisch“ oder „tüchtig“ bedeuten. Es leitet sich direkt aus dem gleichbedeutenden Althochdeutschen wacchar ab. „Frisch“ und „munter“ sind denn auch die ursprünglichen Bedeutungen. Das zugrundeliegende, schriftlich nicht überlieferte Verb dürfte wie weckan geklungen haben und bedeutete „frisch und munter machen“. Auch die Verben „(auf)wecken“ und „(auf)wachen“ gehen auf diesen Ursprung zurück.
Ein Wort mit einer so langen Geschichte hinterlässt auch Spuren in andern germanischen Sprachen. Wir finden es im Niederländischen wakker (wach, munter) oder dem Schwedischen vacker (schön, hübsch). Im Englischen finden wir noch die Verwandten (a)wake (wach), die Bedeutung „tapfer“ hat dort das Wort brave übernommen. Es wurde aus dem Französischen importiert, welches seinerseits vom Italienischen bravo abstammt. Heute bedeutet es „gut, tüchtig“, zuvor allerdings „wild, unbändig, wacker“ und es geht auf das Lateinische barbarus (fremd, ungesittet) zurück.
Auch das deutsche Adjektiv brav wanderte auf dem Weg vom Italienischen über das Französische zu uns. Die Bedeutung „anständig, artig, bieder“ ist also das genaue Gegenteil vom ursprünglichen barbarus.
P.S.
Wacker ist auch, wer bis hierhin gelesen hat! Vielen Dank.