The Medium
Alles eher medium
The Medium versprach, der erste echte Aufschlag für die Xbox-Series-Konsolen zu werden. NextGen, jetzt aber so wirklich. Ausgerüstet mit innovativer Spielmechanik und ordentlicher Portion Horror, wollten die polnischen Entwickler*innen von Bloober Team die Gunst der Stunde nutzen. Der Chef-Hosenscheißer von nahaufnahmen, NORMAN VOLKMANN, berichtet über seinen gruseligen Ausflug ins Krakau der 1990er Jahre.
Es gibt kein Videospiel-Genre, das mehr Faszination auf mich ausübt, als Horror. Obwohl, oder gerade weil ich mich so unwohl fühle, wenn ich Spiele dieser Art spiele. Wo andere Genres ihre Spieler*innen mit körperlicher Übermacht oder massivem Waffenarsenal ausrüsten, dürfen Protagonist*innen in Horrorspielen froh sein, wenn sie überhaupt mal eine Waffe zu Gesicht bekommen. Diese Entmächtigung war es, die ich zwar immer interessant, aber gleichzeitig auch so stressig fand, dass ich mir Horror-Titel lieber aus sicherer Entfernung ansah: Outlast 2013 zum Beispiel. Schon nach kurzen Gameplay-Impressionen wusste ich: Das hier ist nichts für mich. Es war das erste Spiel, das ich komplett als Let’s Play sah, denn neugierig war ich doch. Als ich 2014 The Forest spielte, bestätigte sich mein Gefühl. Ich war es nicht gewöhnt, dass Videospiele eine so volatile Welt schafften, in der mein Überleben oder gar Weiterkommen nicht oberste Priorität hatte. Nach wenigen Stunden war Schluss. Die Faszination für ein Genre, das ich selbst nicht spielen wollte, blieb.
Mit The Medium schließt sich allerdings ein Kreis in meiner Horrorspiel-Genese. So waren es die Entwickler*innen von Bloober Team, die mich mit Titeln wie Layers of Fear und zuletzt Blair Witch Project ganz sanft an das Genre heranführten. Beide Spiele eint, dass sie vor allem inszenatorisch herausragend sind. Gerade Layers of Fear ist ein wunderbarer Walking Simulator durch eine virtuelle Geisterbahn. Die Geschichte eines wahnsinnig werdenden Künstlers und die Reise durch seinen Kopf ist nie einfach nur auf Schreckmomente aus, sondern schockt und gruselt im Subtilen, ohne die Angst vor Monstern zu schüren. Blair Witch Project wirkt insgesamt unausgegorener, profitiert aber dafür von der Verbindung zum ersten Film, dessen Horror damals überwiegend auch in all dem verwurzelt war, was man als Zuschauer*in nicht sah. Was kann gruseliger sein, als die eigene Fantasie? Beide Spiele wirkten in ihren Trailern deutlich gruseliger, gar unspielbarer, als sie es in Realität waren. Und damit zurück zu The Medium, das ein ganz ähnliches Schicksal hat.
In The Medium schlüpfen Spieler*innen in die Rolle Mariannes. Sie ist ein Medium und kann mit Toten in Kontakt treten, die noch nicht ganz ins Jenseits übergesetzt haben, rastlose Seelen, die noch nicht ganz fertig mit der Welt der Lebenden sind. So oder so ähnlich, ich muss zugeben, dass ich harte Vorurteile gegen diese Art von “Berufsbild” pflege und meine Skepsis auch für ein Videospiel nicht so einfach ablegen konnte und wollte. Marianne jedenfalls hat gerade erst ihren Stiefvater verloren, ein alter Mann, in dessen Bestattungsunternehmen sie ihre Fähigkeiten überhaupt erst bemerkte. Im Spieleinstieg gilt es, ihm die letzte Ehre erweisen und die Fähigkeit als Medium kommt, wenig überraschend, hier bereits zum Einsatz. Visuell und von der Lichtstimmung entfaltet der Titel nicht nur zu Beginn ein gewaltiges Potential. Mit festen Kameraperspektiven lenkt das Spiel die Sicht des Spielenden und zeigt nur das, was es zeigen möchte. Hier wäre das Potential, mit toten Winkeln ganz besondere Schreckmomente zu inszenieren. Genutzt wird das im gesamten Spiel nahezu unbedeutend wenig. Gleiches gilt für das eigentliche Alleinstellungsmerkmal des Titels. Eine brandneue Spielmechanik, die umzusetzen erst die dicke Xbox Series X in der Lage zu sein scheint. Nimmt Marianne Kontakt mit der Welt der Toten auf, teilt sich der Bildschirm und als Spieler*in steuert man sie gleichzeitig in beiden Welten. Mariannes Ebenbild hat weiße Haare und kann, dank nicht näher erklärter Kräfte, spezielle Energien manipulieren. Die Parallelwelt selbst sieht aus wie eine verfallene, trostlose Version der realen Welt. Das ist für ungefähr fünf Minuten ganz aufregend, bis man feststellt, dass diese Spielmechanik lediglich ein Vehikel für das viel zu simple Rätseldesign ist. Ein Generator funktioniert in der realen Welt nicht? Klar, Parallelwelt-Marianne richtet das mit unerklärter Geister-Energie und zack, da brennt die Glühbirne wieder. Jedes Rätsel kann im Grunde dadurch gelöst werden, dass man mit Marianne die Räume sorgfältig durchsucht und alles Sammelbare aufnimmt.
Einen mysteriöser Anruf später steht Marianne in einem dunklen, polnischen Wald und ist auf dem Weg zu einem lang verlassenen Krankenhaus, das vor vielen Jahr angeblicher Tatort eines schrecklichen Massakers war. Wenn etwas Potential hat, wirklich gruselig zu sein, dann wohl verlassene Krankenhäuser. Doch The Medium hält sein Versprechen nicht, ist also weder angsteinflößend noch schockierend. Das liegt vor allem an Hauptcharakter Marianne, die zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise überrascht von alldem ist, das ihr zustößt. Wenn wir erstmals auf das einarmige (und durchaus creepy wirkende) Mädchen aus dem Trailer treffen, dass sich selbst „Sadness“ nennt (ok), zuckt Marianne nicht einmal mit der Wimper. Es dauert nur wenige Minuten und die beiden unterhalten sich bereits wie alte Bekannte. Gerade weil Sadness’ Absichten den Spielenden nicht zu Beginn klar ist, setzen Bloober mit der Vertonung von Marianne einiges an Potential in den Sand. Wenn der Hauptcharakter keine Angst hat, warum sollte ich es dann? Während die Protagonist*innen in Outlast oder Resident Evil 7 nach Schreckmomenten schwer atmen und Unbehagen in deren Stimmen zumindest zeitweise deutlich erkennbar ist, bleibt Marianne stets komplett neutral. Selbst als das Monster auftaucht, scheint die Hauptfigur nur minimal geschockt. Es folgen Passagen, in dem es Gebiete patrouilliert, die man durchqueren muss und schnell wird klar, warum Marianne so chill drauf ist: The Maw – im Gegensatz zu Marianne wunderbar von Troy Baker vertont – ist wahnsinnig dumm. Egal wie blöd ich mich anstellte, egal wie offensichtlich meine Verstecke waren, solange ich dem Monster nicht lautstark keuchend in die Arme rannte, entdeckte es mich zu keinem Zeitpunkt. Wie Marianne verlor ich schnell Respekt und Furcht.
Bloober Teams Stärke, ihre Spiele visuell grandios in Szene zu setzen, geht immerhin auch in The Medium auf. Besonders die Lichtstimmungen im dunklen Krankenhaus, im Wald, aber auch in bestimmten, phantastischen Parallelwelt-Abschnitten lassen das Potential des Titels aufblitzen. Ich hätte mir statt lahmer Rätsel einen viel stärkeren Fokus auf eine nachvollziehbare Erzählung der Geschichte gewünscht. Diese hat durchaus ihre Momente, wenngleich sie – wie noch zu oft im Medium – problematische Themen zwar anstößt, diese aber schlussendlich nicht zufriedenstellend auserzählen kann oder will. Feiner ausgearbeitete Schockmomente und eine Hauptfigur, die den durchlebten Schrecken deutlicher an Spieler*innen kommuniziert, hätten dem Horror im Spiel gut getan. Zum Abschluss möchte ich von zwei Entscheidungen in The Medium sprechen, die mich nur ganz am Wahnsinn vorbeischliddern ließen: Wie verdammt langsam kann eine Figur laufen? Mehrfach biss ich vor Frust fast in den Controller, als Marianne in störrischer Langsamkeit durch die Spielwelt schlich. Getoppt wurde das nur von den Fleischtüren, die bestimmte Abschnitte der Geisterwelt versperren: Diese öffnet Mariannes Spiegelbild mit einem Knochenmesser, das Spieler*innen mit dem Analogstick an einer Naht entlangfahren. Auch hier: Egal, wie ich sehr ich versuchte, die Technik zu optimieren, mit der ich diese Barrieren aufschnitt – jedes Mal zog sich wie alter Kaugummi. Furcht. Bar.
The Medium wäre in jeder normalen Startaufstellung rund um einen Konsolenlaunch ein klarer B- oder C-Titel. Durch das magere Lineup beider Konsolenhersteller liegt allerdings mehr Fokus auf dem Titel als ihm zusteht. Damit erteilt man dem Titel als ersten “echten” Exklusivtitel von Microsoft zu viel Verantwortung und möglicherweise auch zu hohe Erwartungen. In der Historie Team Bloobers reiht sich The Medium vermutlich als ambitioniertestes Spiel ein, allerdings auch als eines, das bis auf ein Gimmick und einer gelungenen Inszenierung die Erwartungen nicht erfüllen kann.
Hörtipp: Mit Urs von Polyneux habe ich im Podcast “Polyneux macht’s kurz” unter anderem auch über The Medium gesprochen. Nachzuhören hier.
Bereits erschienen.
Originaltitel: The Medium
Plattformen: PC, Xbox Series X/S
Entwickler: Bloober Team
Veröffentlicht von: Bloober Team