Das ist Spieleforschung in der Praxis

Interview mit den Köpfen hinter „Students At Play – Beziehungen zwischen Videospiel und Spieler:innen“

Als älterer Herr, der die 40 unlängst hinter sich gelassen hat und die Game Studies sein Zuhause nennt, staunt man nicht schlecht – allen Ortes ist spieleforschender Frühling wahrzunehmen! Wahrlich prächtig! Diesmal führt uns unser Interview-Weg nach Düsseldorf und direkt zu Ann-Kristin sowie Steven. 

Rudolf Inderst (RI): Vielen Dank, dass Ihr Euch so auf unser „Drei-Fragen-an“-Format eingelassen habt! Vielleicht möchtet Ihr Euch und Eure Arbeitshintergründe zunächst einmal näher vorstellen?  

Steven/Ann-Kristin (S/AK): Vielen Dank auch für die Gelegenheit unser Projekt vorstellen zu dürfen. Es freut uns sehr, dass es nicht nur uniintern Aufmerksamkeit bekommt!

Zunächst einmal zu uns. Wir studieren beide Medienkulturanalyse im Master an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und konzentrieren uns seit Anfang unserer Bachelor auf den Bereich der Game Studies. Zusammen decken wir diverse Forschungsinteressen ab. Ann-Kristin konzentriert auf Videospielgeschichte, Nostalgie – und Erinnerungskultur sowie Selbstoptimierung und Kybernetik. Stevens Schwerpunkte liegen auf der emotionalen Involvierung mit Games und der Entstehung von Empathie in Spieler:innen. Dazu verwendet er unter anderem Methoden aus der Psychoanalyse.

Bis zum Sommersemester 2020 waren gamesbezogene Seminare an unserer Uni relativ unterrepräsentiert und es gab keine Dozierenden in diesem Forschungsfeld. Da wir beide bereits Lehrerfahrung als Tutor:innen an der HHU gesammelt haben und wir den Wunsch nach mehr Games-Seminaren verspürten, wollten wir im Rahmen der Projektarbeit unsere diesbezüglichen Vorstellungen selber in den Unialltag einbringen. 

RI: Sprechen wir jetzt einmal über Euer Projekt. An was arbeitet Ihr gerade und wie würdet Ihr das innerhalb der Spieleforschung verorten?   

S/AK: Im April 2020 sind wir dann mit unserem Tutorium „Students At Play – Beziehungen zwischen Videospiel und Spieler:innen“ gestartet.

Besonders wichtig war es uns eine einsteiger:innenfreundliche Lehrveranstaltung auf die Beine zu stellen, um Bachelorstudierenden die Relevanz von Videospielen in der Medienkulturforschung zu verdeutlichen. Games sind ein interaktives Medium, das sich nicht ausreichend über Let’s Plays oder Fachliteratur erschließen lässt. Deshalb wollten wir unbedingt einen Praxisbezug in unsere Veranstaltung einbringen.

Durch den Coronavirus mussten wir den Großteil unserer Pläne auf ein Onlineformat umstellen. Das war für uns eine große Herausforderung, da es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Leitfaden für die Onlinelehre gab. Die Uni hat sich erst im Laufe des Semesters auf eine Meeting-Plattform einigen können. Wir mussten uns erst einmal alles selbst beibringen. Während ein Großteil der Dozierenden sich teilweise nur zweimal im Semester mit den Studierenden getroffen hat, haben wir uns jeden Freitag zusammengesetzt und über Videospiele ausgetauscht. Das war für uns alle eine wertvolle Erfahrung und uns war es besonders wichtig trotz Corona-Chaos ein Gefühl von Routine zu schaffen.

Um den Studierenden den Zugang zu den Game Studies zu erleichtern sind wir von so genannten Beziehungen oder Zugängen ausgegangen, die Spiele zu ihren Spieler:innen aufbauen oder umgekehrt. Außerdem wollten wir zeigen, dass es sich um ein interdisziplinäres Feld handelt. Daraus ergaben sich drei Themenblöcke, deren Inhalte wir über Video- bzw. Praxisbeispiele und natürlich der Fachliteratur gestaltet haben. Im ersten Block griffen wir Grundlagen dieser Relation seitens der Spiele auf, etwa über den oft falsch verstandenen Immersionsbegriff, dem Konzept der Involvierung, der Bedeutung von Avataren sowie dem Prinzip des Re-Entries (quasi Trial & Error) beim Spielen. Beim zweiten Block drehten wir den Spieß um: Hier standen die individuellen Zugänge von Spieler:innenseite zum Spiel im Vordergrund. Damit ist die Möglichkeit gemeint den Spielprozess über Entscheidungen zu individualisieren, aber auch emotionale Bezüge zu Games aufzubauen. Unser Fokus lag dabei auf Empathie und Nostalgie, die wir auch auf einer Makroebene im Rahmen der Psychoanalyse und Erinnerungskultur gemeinsam unter die Lupe genommen haben.

Im Abschlussblock unternahmen wir mit den Studierenden eine kleine Zeitreise in die Videospielgeschichte, unter anderem mit Fokus auf die Gameskultur in Deutschland. Dies erlaubte es uns das vorab gelernte Fachwissen auch an historischen Spielbeispielen oder gesellschaftlichen Diskussionen anzuwenden. Dadurch konnten sich die Teilnehmer:innen auch über ihre eigenen nostalgischen Erfahrungen einbringen.

Unsere Alltagserfahrung als Gamer:innen hat uns rückblickend am meisten bei der Onlinelehre geholfen. Der Seminarraum war nun virtuell und wir sind die Kommunikation mit einer Art Streamer-Attitüde angegangen, indem wir während und außerhalb der Seminarzeit für die Teilnehmer:innen über Chat und Social Media erreichbar waren.

Den Praxisbezug haben wir trotz Onlinelehre erfolgreich umsetzen können. Wir nahmen eigene Videoausschnitte von Spielprozessen auf und haben über verschiedenen Plattformen Spiele gestreamt, bei denen unsere Studierenden selbst Entscheidungen treffen konnten.

Zum Glück konnten wir uns gegen Ende des Sommers unter Einhaltung der Hygienevorschriften in Kleingruppen treffen. Damit die Studierenden den Forschungsgegenstand Videospiel im Seminarraum selbst erleben konnten, hat Ann-Kristin ihre Retrogaming-Sammlung mit in den Seminarraum gebracht. So konnten wir auch den institutseigenen Röhrenfernseher vor der Entsorgung retten. (Hurra!)

Wir haben im Laufe der Veranstaltung regelmäßig versucht von den Studierenden anonym Feedback einzufangen – sei es über ihre Vorkenntnisse, ihre Meinung zur Literatur oder über unsere Lehrmethoden. Dadurch konnten wir besser auf ihre Bedürfnisse eingehen. Wir haben das Gefühl, dass wir viele für das Forschungsfeld begeistern konnten und unser Tutorium ihnen – trotz des ersten chaotischen Onlinesemesters – in guter Erinnerung bleibt.  Eine Studentin sagte sogar unser Tutorium sei eine ihrer bislang liebsten Veranstaltungen im gesamten Studium. Das ist das höchste Lob, was wir uns als Nachwuchsdozierende hätten wünschen können.

RI: Als dritte Frage nehmen wir nun noch die Glaskugel in die Hand – wo wird Eure Reise innerhalb der Spiele-Kultur hingehen?  

S/AK: Als nächstes geht es für uns an unsere Masterabschlüsse. Stevens Masterarbeit wird sich mit der steigenden Bedeutung von Videospielen zu Zeiten einer globalen Pandemie beschäftigen und näher untersuchen, warum wir das gespielt haben, was wir gespielt haben. Da Ann-Kristin relativ am Anfang ihres Studiums der Medienkulturanalyse ist, ist die Masterarbeit noch nicht so konkret, aber wird sich wahrscheinlich im Rahmen der Videospielgeschichte und – Erinnerungskultur bewegen. Wir würden beide sehr gerne nach unseren Mastern promovieren. Hoffentlich können wir weiterhin zusammen an Projekten arbeiten und vielleicht sogar noch einmal gemeinsam im Seminarraum auftreten. Kurzgesagt möchten wir unser erfolgreiches Projekt zum Beruf machen beziehungsweise im größeren Stil fortführen. Unser größter Wunsch ist es, weiterhin Studierende für Game Studies zu begeistern und in unseren Forschungsfeldern professionell Fuß zu fassen.

RI: Vielen Dank für das Interview (und ein spezielles Dankeschön an Jun.-Prof. Dr. Melanie Fritsch)!

Wenn Sie zu unseren beiden Interviewpartner:innen Kontakt aufnehmen möchten, haben wir hier die Daten für Sie parat: 

Ann-Kristin Potthast

Email: Ann-Kristin.potthast@uni-duesseldorf.de

Steven Meenen

Twitter: https://twitter.com/_Rubyvance_

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/steven-meenen-0b937420a/ 





Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in Kopenhagen und verliebte sich. Doppelt promoviert, übernimmt er Verantwortung als Ressortleiter für digitale Spiele hier bei nahaufnahmen.ch. Liebt Stanislaw Lem, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Game Studies / Spielanalyse / Game Business an der IU und krault sich gerne seinen Bart.

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