Alles, bloß kein Brett vor dem Kopf!

Ein Interview mit den schlauen Köpfen hinter „Boardgame Historian“

Viel zu lange schon hatten wir im Ressort, was Spielen betrifft, die Only-digital-Brille auf. Daher sind wir heute sehr erfreut, endlich zwei Expert*innen für ein Interview gewonnen zu haben, die sich mit der älteren Schwester oder dem älteren Bruder der Video- und Computerspiele beschäftigen: den Brettspielen. Denn auch hier existiert eine bunte Forschungslandschaft.

Rudolf Inderst (RI): Vielen Dank, dass Ihr Euch so auf unser „Drei-Fragen-an“-Format eingelassen habt! Endlich kommen bei uns im Ressort auch einmal die Brettspiele zum Zug! Aber eines nach dem anderen. Vielleicht möchtet Ihr Euch und Eure Arbeitshintergründe näher vorstellen? 

Lukas Boch / Anne Klara Falker (LB / AKF): Zunächst einmal vielen Dank für die Möglichkeit, unser Projekt hier vorzustellen. Wir arbeiten beide an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und sitzen gerade an unseren Doktorarbeiten, nebenbei haben wir das Projekt „Boardgame Historian“ gegründet, dazu später mehr. Anna hat Geschichte und Klassische und Christliche Archäologie studiert und ist am Bibelmuseum der Universität Münster angestellt. Derzeit promoviert sie in der Klassischen Archäologie zum Thema „Antike Brücken im Vorderen Orient“. Lukas hat Geschichte und kath. Theologie studiert und ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für historische Theologie und ihre Didaktik. In seiner Dissertation forscht er zu modernen Brettspielen als (kirchen-)geschichtskulturelle Gattung und beschäftigt sich in diesem Kontext mit der Darstellung und Funktion der Kirchengeschichte des Mittelalters in diesem Medium.  

Anna Klara Falke promoviert in Klassischer Archäologie zum Thema „Antike Brücken im Vorderen Orient“.

RI: Kommen wir doch nun einmal zu Eurem Projekt – bitte nehmt uns verknöcherte Human-Digitalentitäten doch einmal mit ins Brettspiel-Utopia. An was arbeitet Ihr gerade?

LB / AKF: Witzig, dass du das sagst, denn gemeinhin wird ja eher den analogen Spielen vorgeworfen, aus der Zeit gefallen zu sein. Wenn man in der Literatur zum Thema Gamestudies recherchiert, kann man sogar den Eindruck erhalten, dass mit dem Begriff Games ausschließlich digitale Spielen gemeint sind. Dabei ist der Brettspielmarkt, gerade in Deutschland, in den letzten Jahren massiv gewachsen und Brettspiele sind schon seit Ewigkeiten mehr als Kniffel oder das sehr bekannte aber unter „Vielspieler*innen“ regelrecht verhasste Monopoly. Eigentlich kommen wir beide ja ursprünglich aus dem digitalen Bereich und sind beide auch im Vorstand des „Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und digitale Spiele“ (AKGWDS).

Da wir aber privat schon immer eher im analogen Bereich unterwegs waren, fassten wir den Entschluss, uns näher mit Brettspielen auseinanderzusetzen. Dabei ist uns wichtig, dass man natürlich viele Ansätze der digitalen Spieleforschung auf Brettspiele anwenden kann, aber eben auch fundamentale Unterschiede existieren.  Beim Projekt Boardgame Historian, bei dem abgesehen von uns beiden mittlerweile auch eine Reihe anderer Historiker*innen und Geisteswissenschaftler*innen involviert sind, geht es uns vor allem um die in Brettspielen transportierten Vorstellungen von der Vergangenheit.

Dabei sehen wir Brettspiele übrigens genau wie digitale Spiele als kulturelle Artefakte, in denen sich Werte, Normen und Vorstellungen einer Gesellschaft widerspiegeln und die als Medium diese Vorstellung wiederum tradieren und verändern. Mit unserem Blog und den Auftritten auf Social Media wollen wir dafür sensibilisieren, dass Brettspiele mit historischem Setting einen Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein der Rezipient*innen haben können.

Es geht dabei im Grunde um die Frage, welche Bilder von Geschichte verbreitet werden und welche Narrationen damit einhergehen. Ein schönes Beispiel ist hierbei immer „das“ Mittelalter. Es gibt eine Fülle von Spielen, die diese Epoche als Setting haben und die Bandbreite reicht dabei von sehnsuchtsvollen Erinnerungen an eine bessere Zeit über das allseits beliebte Klischee vom finsteren Mittelalter bis hin zu Spielen, die den Anspruch haben, die Epoche triftig wiederzugeben, also möglichst so wie der Stand der aktuellen historischen Forschung ist.

Uns liegt mit dieser Arbeit am Herzen, dass Brettspiele damit einerseits in der historischen Forschung als Quellen unserer Zeit angesehen und dementsprechend als Forschungsgegenstand wahrgenommen werden. Andererseits wollen wir aber gezielt auch ein breites Publikum ansprechen und den Menschen im Sinne der Wissenschaftskommunikation zeigen, was noch so alles hinter Brettspielen steckt und wie relevant Geschichte in ihrem Leben sein kann.

Lukas Boch arbeitet seit Mitte 2020 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für historische Theologie und Ihre Didaktik an der katholischen Fakultät der WWU Münster.

RI: Die Fan- und Spieler*innenkultur im Umfeld von Video- und PC-Spielen steht seit langer Zeit schon im Verdacht, sehr umfassend in eine toxische Kultur abgeglitten zu sein. Wie ist das eigentlich bei den Brettspielen-Aficionados und -Aficionadas?  

LB / AKF: Die Brettspielszene als solches ist eigentlich sehr offen, so gibt es verschiedene Aktionen wie z. B. „Spielend für Toleranz – Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“, die aus der Blogger-Szene und der Jury „Spiel des Jahres“ entstanden ist. Aber natürlich ist auch hier nicht alles eitler Sonnenschein. Zuletzt gab es beispielsweise eine große Diskussion über Rassismus und Diskriminierung in Brettspielen, die durch die Causa „Tascini“ angestoßen wurde. Die Frage war hierbei, inwiefern in Spielen des Autors wie bspw. Marco Polo rassistische und diskriminierende Vorurteile transportiert werden würden. Dieser Umstand bestärkt uns aber nur in der Relevanz unsere Arbeit, denn ganz offensichtlich haben Geschichtsvorstellungen auch in Brettspielen eine Bedeutung für die Gegenwart.

Erfreulicherweise scheint gerade unter deutschen Spieleautor*innen das Thema Rassismus und Diskriminierung und Toleranz einen hohen Stellenwert zu haben. So wurde von der Spiele-Autoren-Zunft e.V. (ja, so etwas gibt es) dieses Jahr eine eigene Expertengruppe ins Leben gerufen, welche einen „Codex für Respekt und Verantwortung“ erstellen soll. Dieser soll wiederum auch dazu beitragen, einen sensiblen Umgang mit historischen und kulturellen Themen zu fördern.

Generell würden wir aber aus unserer subjektiven Wahrnehmung sagen, dass die Diskussionen in der Brettspielszene nicht annähernd so aufgeladen sind, wie die in der digitalen Szene. Das kann aber schlicht damit zusammenhängen, dass die Fragen der digitalen Spieleforschung, z.B. nach Gleichberechtigung, einfach noch nicht so präsent sind – wie gesagt, die Forschung zu Brettspielen steckt noch in ihren Kinderschuhen.

RI: Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg! 

 

Ihr interessiert Euch für das vorgestellte Projekt? Perfekt – hier könnt Ihr gleich weitermachen:

Blog: Boardgame Historian Über Geschichte in und von Brettspielen 

Instagram: @boardgame_historian 

Twitter: @boardgamehisto 





Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in Kopenhagen und verliebte sich. Doppelt promoviert, übernimmt er Verantwortung als Ressortleiter für digitale Spiele hier bei nahaufnahmen.ch. Liebt Stanislaw Lem, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Game Studies / Spielanalyse / Game Business an der IU und krault sich gerne seinen Bart.

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