„Play it once, Sam.“

Bei Backbone gibt man den ermittelnden Waschbären 

In post-everything-Zeiten wundert es nicht, dass Entwicklerstudio Egg Nut sein Abenteuerspiel „post-noir“ nennt. In diesem versuchen Spieler:innen als ermittelnder Waschbär Howard, einem finsteren Geheimnis in einem Vancouver-Fiebertraum auf die Spur zu kommen. RUDOLF INDERST zieht sich den Trenchcoat über und versucht sein Glück.  

Wie schon bei Unpacking oder How we know we’re alive waren es die Kolleg:innen des EDGE-Magazins, die mich ursprünglich auf die Fährte des Titels gesetzt hatten. Die wenigen Screenshots, die Betonung der besonders gelungenen Art Direction des Spiels und seine spätere Trailersichtung hatten es mir sofort angetan. Und schon wieder, wie jeder gute auteur fatale, neige ich zur Auslassung, zur Verschleierung: Es ist selbstredend die Tatsache, dass ich einen Waschbären im Trenchcoat spielen kann. So. 

Bei den Entwickler:innen klingt das natürlich ganz anders; hier lesen wir: „Backbone is inspired by film noir, weird sci-fi, post-soviet aesthetics, modern political regimes, the works of Lynch and Kaufman, and existential philosophy of Sartre.“ Oha. Da steckt aber wirklich jede Menge Feuerholz im Kamin. Und…nein, hier muss sich freilich niemand schämen, wenn es bei Kaufman nicht sofort klingelt: Er ist ein US-amerikanischer Drehbuchautor, Filmregisseur und Romanautor. Satre schaffen Sie – da bin ich sicher – alleine, „post-soviet aesthetics“ ist ein Fall für Pinterest sowie Tumblr und „weird sci-fi“, nun, „weird sci-fi“ – das sollten wir vielleicht am ehesten zwischen new weird und slipstream verbuchen. So weird, so gut.  

In Raccoon City, pardon, in „einer Version“ von Pixel-Art-Vancouver gehen in der Seitenansicht seltsame Dinge vor sich und plötzlich befindet sich Privatdetektiv Howard in einem Fall wieder, der größer und feister zu sein scheint, als er es sich jemals vorzustellen gewagt hätte. Wir pointen und clicken uns also durch dieses noir’sche anthropomorphische Abenteuer, welches gleichzeitig auch das Erstlingswerk des Entwicklerstudios ist, dessen Mitarbeiter:innen über den kompletten Erdball verteilt sind, erkennen die mal mehr, mal weniger die Genre-Referenzen der 1990er-Jahre (welche um dynamische Beleuchtung und volumetrischen Nebel ergänzt wurden) und folgen einer – im Laufe des Spiels – immer weniger trittfest werdenden Geschichte wie ihren Verästelungen.

Die Einflussschlaglichter, welche die Entwickler:innen nennen, bleiben schablonenhaft, es könnten auch Faulkner und Döblin, Dos Passos und Wolfe oder Mad Max und Goliath sein – während nämlich das bereits erwähnte Zusammenspiel der Visual Artists mit ihren tonalen Counterparts äußerst stimmig seinen liebreizenden Sinnesmantel um Backbone zu legen weiß, kann dies beim Script Writing nicht immer behauptet werden. Zahlreiche lose Enden werden…am Ende…zu beklagen und multiple Sprünge innerhalb der Tonalität der Sprechakte der Figuren zu verzeichnen sein. Es ist nicht alles weird, was glänzt. 

  

Letztlich kann es dann auch als postmoderne Wendung verstanden werden, dass gerade in der Einführung einer Spielmechanik – wie in etwa das Schleichen – zwar introduziert werden, aber später keine Rolle mehr spielen. Apropos „keine Rolle mehr spielen“ – es war in der spielrezensierenden Gemeinde spätestens seit dem Erfolg der Telltale-Abenteuerspiele immer wieder die Rede davon, dass es ein Malus sei, wenn zwar Antwort-Optionen zur Auswahl stünden, diese aber konsequenzlos blieben. Das erinnert an klassische Game-Design-Gebote, dass eine Spielerfahrung gerade dann als immersiv zu beschreiben sei, wenn es gelänge, Spieler:innen u. a. eine (nachhaltige) Wirkmacht in der Spielwelt zu suggerieren, sprich: Unsere Entscheidungen sollen Konsequenzen nach sich ziehen, sie mögen bitte etwas bewirken und damit Bedeutung ausstrahlen [Wir sind! Wir sind! Wir sind!]!

Der Verdacht in Backbone liegt nahe, dass dies nicht der Fall ist, alternative Enden werden Spieler:innen – egal, wie durchdacht sie zu Werke gehen – nicht erleben. So könnte man sagen: We all must go. But let’s go with style then – oder, wie es neulich Kollegin Elena Schulz (paraphrasiert!) formulierte: „Alltag ist aufregend genug!“ Das wäre in der Tat ein noch zu entwickelndes Argument: Die temporäre Freude an der ausgefeilten Antwort, an der feisten Replik, am gelungenen touché! vermag es genauso, sinnstiftend und motivierend zu wirken wie Konsequenz A, B und C (jedoch unter mittelmäßigerer Dialog-und Monolog-Regie). Jedoch: Nicht nur die schlauen Füchs:innen unter Euch (siehe Renee, an deren weiches Fell wir schmachtend-denkend wir uns einen Tee aufbrühen wollen – which one should we pick though? Green / Black / Thanks, no tea for me!) merken an: Warum nicht beides? Ja, warum nicht beides indeed – ich schlage vor, wir lassen Eggnut nun erst einmal die nötige Zeit, um nachzulegen: So schnell sollte man einen Indie-Waschbären nicht in die Wüste schicken!   

 

Bereits erschienen. 

Originaltitel: Backbone 

Plattformen: PC, Switch, PS, Xbox

Entwickler*innen: Eggnut

Veröffentlicht von: Raw Fury  





Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in Kopenhagen und verliebte sich. Doppelt promoviert, übernimmt er Verantwortung als Ressortleiter für digitale Spiele hier bei nahaufnahmen.ch. Liebt Stanislaw Lem, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Game Studies / Spielanalyse / Game Business an der IU und krault sich gerne seinen Bart.

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