Koop-tastische Beutejagd

Tiny Tina’s Wonderland – FIREabend-Shooter nach Maß

Tiny Tina’s Wonderlands ist – laut Publisher-Eigenterminologie – ein „First-Person-Looter-Shooter“, der bereits im März 2022 auf PC, PlayStation und Xbox erschienen ist. Entsprechend wagt sich RUDOLF INDERST „in ein episches Abenteuer voller schrulliger Gestalten, Wunder und Waffen“ -zum Glück hat er Online-Verstärkung mitgebracht!

Wie war das gleich wieder? Ach ja! Ich sitze jetzt vor meinem virtuellen 4K-Kaminfeuer und denke über die letzten 35 oder 40 Stunden Tiny-Tina’s-Wonderland-Spielzeit auf der Xbox nach. Wie war das eigentlich passiert? Richtig! Unsere Koop-Online-Spieler:innen-Gruppe hatte sich nach dem erfolgreichen (was auch immer das heißen mag) Durchkämen des sehr unterhaltsamen Diablo II: Ressurected nach einem neuen, gemeinsamen Spiel umgesehen und war so auf den hyperventilierenden Borderlands-Ableger gestoßen. Diese Serie wiederum war uns bestens und positiv im Gedächtnis geblieben, daher wurde nicht lange gezögert. Schließlich locken die Entwickler:innen mit einem verlockenden Versprechen: „Tiny Tina führt [D]ich kreuz und quer durch ein außergewöhnliches Tabletop-Reich, wo Regeln eher Nebensache sind. Erkunde majestätische Städte, modrige Pilzwälder, unheilvolle Festungen und mehr in einer gigantischen Oberwelt!“ Und da man dort noch einen draufsetzte und mit der Erstellungsmöglichkeit einer perfekten Heldin oder eines perfekten Helden prahlte (und wir uns an die vergnüglichen Stunden vor den ersten drei Teilen sowie des Prequels erinnerten), mussten wir nicht mehr lange überlegen.

So ist das also: mit dem fortschrittlichsten Vehikel gestrandet, unfähig (oder unwilligst!), selbst Hand an zu legen für eine Instandsetzung und mit reichlich Zeit ausgestattet. Unsere selbsterklärten Held:innen beschließen daher, sich die Zeit mit einer Runde Tabletop-RPG namens Bunkers & Badasses zu vertreiben. Wie gut, dass die kleine Tina genug Energie und Enthusiasmus für 20 Spielleiter:innen aufbringt und Euch einlädt, die fantastischsten Abenteuer zu erleben und auf die Jagd nach dem vermeintlich finsteren Dragon Lord zu gehen – ein Spiel im Spiel also! Als Teil der RPG-Party (Captain Valentine und Roboter Frette sind an Eurer Seite) steigen wir als Held:in in das Geschehen ein und ziehen gegen Fabelwesen („großkotzige Skelette, Haie auf dem Trockenen und kolossale Bosse“!) mit Magie und Schusswaffen ins spielmechanisch solid-konventionelle, manchmal overkill-farbenfroh-chaotisch, Shooter-Gefecht. Hier zeigt sich Tiny Tina’s Wonderland übrigens vorbildlich: Sowohl Crossplay als auch lokaler wie online Spiel werden (je nach Konsolengeneration) werden unterstützt. 

Zur Wahrheit: Ohne mein Online-Team wäre ich – wie in fast jedem anderen Titel – vollkommen aufgeschmissen (an dieser Stelle ein herzliches und verdientes Dankeschön an Redaktionskolleg:innen Stefanie Marx & Daniel Appel sowie Über-Achiever Sebastian). Ich bin weit davon entfernt, die Mechaniken und Möglichkeiten des Spiels zu verstehen, geschweige denn auszureizen: Mythos-Rang? Chaos-Rang? Schön, aber ohne mich – ich bin froh, wenn ich die Schnellreise-Funktion einigermaßen flüssig nach 30 Stunden Spielzeit finde und auslösen kann. Verkaufen? Kaufen? Vergleichen? Hm, nein, macht Ihr mal. Voller Begeisterung hänge ich an veralteten und schwachen Waffen, weil ich sie „hübsch“ oder „witzig“ finde; meine Rüstung ist praktisch nutzlos und meine Magie bunt, aber wenig effektiv. Kurzum: Ich bin der unangefragte Traum einer jeden Spieler:innen-Gruppe! Und dass der Xbox-Controller so schnell Batteriesaft verliert, macht alles nicht eben besser. Dennoch kichere ich viel: manchmal über die mittelprächtigen Dad-Jokes via Headset, manchmal über das immer wieder richtig humorvolle Scriptwriting des Titels (an dieser Stelle meine obligatorische Empfehlung für die alten Folgen von HAWP). Und Kisten…im Öffnen von Kisten macht mir keine/r etwas vor!

Die Kolleg:innen der Spielepresse sind im Übrigen auch angetan von dem Titel. Aktuell erzielt er eine 77er-Metascore (Xbox) und das liegt auch an der gelungenen Fortführung bzw. Frischkontextualisierung der Borderlands-Serie, deren DNS mehr als spürbar ist. Dass der Titel lediglich ein Re-skin darstellt, darf aber verneint werden. Die Einführung einer Oberwelt, die an alte Final-Fantasy-Teile erinnert ist hier wohl die größte „Neuerung“. Die Kolleg:innen der GameStar erinnern sich hingegen liebevoll: „Vor rund neun Jahren erschien mit Tiny Tinas Sturm auf die Drachenfestung nicht nur der beste DLC für Borderlands 2, sondern auch die bis heute spaßigste Erweiterung unter den unzähligen Addons der gesamten Borderlands-Reihe.“ Jetzt ist also die volle Packung da – und die macht richtig Spaß. Im Seasonpass waren vier DLC-Schübe enthalten; alle sind bereits erschienen. Gearbox-CEO Randy Pitchfork wäre nicht Randy Pitchfork, wenn er nicht lautstark den Verkaufserfolg zelebriert hätte – ob das reicht, aus dem Spin-Off eine eigene Serie zu kreieren, ist ungewiss. Wer mit Albernheiten und einigen auf das Tabletop-Rollenspiel als Spielform und Medium Meta-Kommentaren zielenden, beißenden Kommentaren leben kann und kooperatives Ludo-Miteinander auch sonst auf der Speisekarte hat, sollte sich diesen Spaß nicht entgehen lassen.   

 

Titel: Tiny Tina’s Wonderland (bereits erhältlich)

Plattformen: Xbox, PlayStation, PC 

Entwickler: Gearbox

Publisher: 2K





Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in Kopenhagen und verliebte sich. Doppelt promoviert, übernimmt er Verantwortung als Ressortleiter für digitale Spiele hier bei nahaufnahmen.ch. Liebt Stanislaw Lem, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Game Studies / Spielanalyse / Game Business an der IU und krault sich gerne seinen Bart.

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