Sie weilen unter uns und sind in der Überzahl

Eine Einführung in die vielfältige Welt der Ameisen

Billiarden von Ameisen bewohnen unseren Planeten und doch nehmen wir Menschen sie nur selten wahr. Dabei führen diese Lebewesen ein hoch komplexes Sozialleben und kommunizieren in einer “Duftsprache“ miteinander. Ihr Einfluss auf unseren Planeten ist gewaltig. Höchste Zeit also, die Ameisen genauer kennenzulernen.

Die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne erwecken die Natur. Auch die Ameisen krabbeln aus ihren Nestern und beginnen mit ihrer Arbeit. Diese ist ausgesprochen bedeutend für unseren Planeten. So sorgen zum Beispiel Ameisenarten, die unterirdische Nester bauen, neben den Regenwürmern für eine chemische, physikalische und biologische Verbesserung des Bodens. Durch ihre Bautätigkeit wird die Erde gelockert, mit organischen Substanzen durchmischt und mit Nährstoffen angereichert. Dadurch verbessert sich die Bodenatmung und -fruchtbarkeit, was das Wachstum von vielen Pflanzen begünstigt.

Eine Nahaufnahme einer roten Waldameise auf welcher man ihr typisches Aussehen erkennen kann. Der Kopf, Thorax und Petiolus sind überwiegend rot gefärbt, wobei die Gaster und die Oberseite des Kopfes schwarz sind. Bild von Makro Freak aus Wiki Commons.

Körner sammelnde Ameisen (Körnersammler) tragen zu der Verbreitung von Samen bei und helfen somit bei der Ausbreitung von etwa 30-40% unserer einheimischen Pflanzenarten, beispielsweise dem Schneeglöckchen. Dieses macht seine Samen durch ein nährstoffreiches Anhängsel, das Elaiosom, für die Ameisen attraktiv. Die Ameisen transportieren den Samen in ihren Bau, trennen das Elaiosom vom Samen ab und schleppen ihn wieder aus dem Bau, wo er dann die Chance hat zu keimen. Die Samen können aber auch bereits während des Transports zum Bau von den Ameisen fallen gelassen werden oder im Bau keimen.

Des Weiteren sind Ameisen Jägerinnen. Sie erbeuten Blattwespenraupen und andere Insekten: So regulieren sie potenzielle Schädlinge. Jedoch dienen Ameisen selber auch als Futter für andere Insekten, Vögel (insbesondere Spechte) und Wirbeltiere.

Biologische Systematik
Ameisen gehören der Klasse der Insekten an und werden der Ordnung der Hautflügler zugeordnet (wo sich z.B. auch Bienen, Wespen oder Hornissen wiederfinden). Im Speziellen sind Ameisen staatenbildende Hautflügler. Diese erkennt man an ihren variabel gestalteten Antennen und ihren häutigen Flügeln, wobei gewöhnliche Ameisen-Arbeiterinnen solche nicht besitzen, aber dazu später mehr.

Die in Mitteleuropa am häufigsten aufzufindenden Unterfamilien der Ameisen sind die Schuppenameisen, Urameisen, Knotenameisen und Drüsenameisen. Bei den Schuppenameisen ist beispielsweise die Gattung Waldameise zu finden, mit weltweit 296 beschriebenen Arten. Die Rote Waldameise (Formica rufa) findet man in unseren Laub- und Nadelwäldern recht häufig. Sie wurden 1966 in der Schweiz, aufgrund ihrer damals kritischen Bestandesdichte, als erste Insektenart unter Schutz gestellt.

Ameisearten: Riesige Zahl und …
Es gibt auf der Erde vermutlich noch zahlreiche unentdeckte Ameisenarten und es besteht dementsprechend Bedarf nach Forschung. Heute sind mehr als 15‘000 Arten beschrieben, gemäss Schätzungen könnten es 30‘000 sein.
Eine Studie um das Team Sabine Nooten und Patrick Schultheiss der Universitäten Würzburg und Hongkong vom letzten Jahr zeigt anhand systematischer und empirischer Schätzungen eine erstaunliche Zahl aller Ameisen auf der Welt auf. Die globale Ameisenpopulation wurde auf rund 20 Billiarden geschätzt.

Diese hohe Zahl berechnete das Team aus Datensätzen aus der ganzen Welt. Insgesamt trugen sie 489 Studien über boden- und baumbewohnende Ameisenarten in einer Datenbank zusammen.

… enorme Vielfalt
Je nachdem welcher Unterfamilie, Gattung, Art und Geschlecht eine Ameise angehört, kann ihr Aussehen variieren. Beispielsweise sind Ameisen schwarz, gelb, braun oder rot gefärbt. Der grundlegende Körperbau ist jedoch bei allen Ameisen gleich.

Der Körperbau und die Wahrnehmung der Ameisen
Ihre Körper sind in drei Segmente aufgeteilt, was typisch für Hautflügler ist. Dem Caput (Kopf), dem Thorax (Brust), welcher auch als Alitrunk oder modern als Mesosoma bezeichnet wird und der Gaster (Hinterleib). Dabei sind der Thorax und die Gaster durch den Petiolus, einem Stielchenglied verbunden.

Detaillierten Beschreibung der einzelnen Körperteile der Ameise.
Bild von Karl Diewald

Ameisen besitzen sechs Beine und zwei Antennen. Letztere benötigen sie für die Sinneswahrnehmung und Kommunikation. Die Arbeiterinnen der Gattung Lasius zum Beispiel besitzen an ihrer Fühlergeissel (dem vorderen Teil der Antenne) etwa 5000 Sinneszellen, welche für die Wahrnehmung unterschiedlichster Duft- und Geschmacksstoffe, Schwingungen des Bodens, Luftströme und Temperaturen verantwortlich sind.

Die Wahrnehmung von Duftstoffen spielt eine besondere Rolle beim Informationsaustausch der Ameisen, denn sie kommunizieren miteinander durch chemische Stoffe, den sogenannten Pheromonen. Diese werden in Drüsen produziert, welche sich an der Spitze des letzten Hinterleibssegments befinden. Durch die Pheromone können sich Ameisen verschiedene Botschaften mitteilen, wie den Weg zu einer Futterquelle oder sich gegenseitig vor einem Feind alarmieren.

Ameisen besitzen des Weiteren Komplexaugen an ihren Kopfseiten, die je nach Gattung verschieden stark ausgeprägt sind. Die Arbeiterinnen der Gattung Ponera besitzen Komplexaugen, die aus 3-15 Ommatidien (Facetten) bestehen. Damit können sie Bewegungen und Helligkeitsunterschiede wahrnehmen. Arbeiterinnen der Gattung Formica hingegen verfügen über Komplexaugen, mit 500-1300 Ommatidien. Sie sehen damit komplexere Konturbilder, was ihnen besonders bei der Orientierung hilft, falls keine Duftspurmarken genutzt werden können.

Für den Kampf gerüstet
Ein weiteres wichtiges Körperteil der Ameisen sind ihre Mandibeln (Oberkiefer), welche als Universalwerkzeuge dienen. Sie werden zum Beispiel verwendet, um Nahrung und Baumaterial zu zerkleinern und herumzutragen oder im Kampf gegen Feinde. Bei Gefahr verspritzen Ameisen Ameisensäure aus ihrer Giftdrüse, welche sich in ihrem Hinterleib befindet.

Bild von Karl Diewald

Bei den meisten Ameisenarten kommen Männchen, Gynen (Vollweibchen) und eine sterile Arbeiterinnenkaste vor. Unter den Arbeiterinnen unterscheidet man zwischen den Minor, Media und Major sowie den Soldatinnen. Sie sind unterschiedlich gross, so sind die Minor die kleinsten Arbeiterinnen und Majore die grössten. Ausserdem treten in manchen Ameisenarten auch Soldatinnen auf, welche nochmals grösser sind als die Majore und einen riesigen Kopf besitzen. Die Arbeiterinnen erfüllen verschiedene Funktionen, wie Brutpflege, Nestbau oder Verteidigung des Nestes.

Die Männchen sind beflügelt und leben nur für eine kurze Zeit, um beim Hochzeitsflug (Schwarmflug) die Gynen, auch Jungköniginnen genannt, zu begatten. Gynen unterscheiden sich von den Arbeiterinnen aufgrund ihrer ausgebildeten Eierstöcke und ihres stärker ausgeprägten Thorax, in welchem die Flugmuskulatur Platz findet.

Arbeiterin oben und Soldatin unten (mit riesigem Kopf).

Je nach Ameisenart findet der Hochzeitsflug zu einer anderen Zeit statt, die meisten Flüge sind aber im Frühling und Sommer. Für den Hochzeitsflug verlassen die Gynen und die Männchen ihr Nest und fliegen zu gemeinsamen Paarungsplätzen, an welchen sie auf Geschlechtstiere anderer Kolonien stossen. Dadurch minimieren sie das Risiko für Inzucht. Nach einer oder mehreren Begattungen sind die Spermienvorräte der Männchen erschöpft und die Tiere sterben.

Ein neuer Staat …
Die Jungköniginnen werden zu Königinnen und vollführen einen Ausbreitungsflug, welcher über grosse Distanzen gehen kann. Nach dem Hochzeitsflug schwellen ihre Gaster stark an, sie werfen ihre Flügel ab und gründen ihre eigenen Staaten, sobald sie einen dafür geeigneten Ort gefunden haben.

In ihrem Receptaculum seminis, einem mit Drüsen versorgtem Hohlorgan, sind die Spermien der Männchen gespeichert und ermöglichen es der Königin, bis an ihr Lebensende befruchtete Eier zu legen. Ameisenköniginnen können erstaunlich alt werden, der Rekord liegt bei einer Lasius niger, die 29 Jahre in einem Labornest lebte. Bei vielen Lasius- und Formica-Arten ist eine Lebenszeit von 15 bis 22 Jahren üblich.

Ameisen durchlaufen eine Entwicklung in vier Stadien: vom Ei hin zur Larve, dann zur Puppe und schliesslich zu einem vollentwickelten Insekt. Nach vier bis sechs Wochen können schon die ersten Arbeiterinnen aus den Eiern entstehen. Diese erste Arbeiterinnengeneration wird von der Ameisenkönigin noch selbst gefüttert, später kümmern sich andere Ameisen um die Brut und die Königin kann sich voll und ganz auf die Produktion der Eier fokussieren.

… beginnt mit dem Nestbau
Nach und nach entsteht der Ameisenstaat und zumindest die sesshaften Ameisenarten erbauen sich ihr eigenes Nest.

Dabei gibt es verschiedene Nest-Sorten. Bei den häufigen Erdnestern befinden sich die Gänge und Kammern unterhalb der Erdoberfläche. Des Weiteren gibt es auch noch Holznester, Hügelnester oder Seidennester. Rote Waldameisen bauen sich ein Hügelnest aus Baumnadeln, Moos und kleinen Ästen zusammen, welches bis zu drei Metern hoch werden kann.

Königin und einige Arbeiterinnen
Bild von Romain Libbrecht

Einige Ameisenarten bauen auch komplexe Nest-Systeme, die aus mehreren Kammern und Gängen bestehen. Diese Nester können sogar mehrere Eingänge haben, um den Verkehr innerhalb des Staates zu erleichtern und den Schutz vor Eindringlingen zu erhöhen. Insgesamt sind Ameisennester erstaunliche Konstruktionen, die widerspiegeln, wie anpassungsfähig Ameisen sind und welch ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl sie haben.

Der Beitrag den Ameisen zum Gleichgewicht unseres Ökosystems leisten, kann kaum genug hochgeschätzt werden. Es ist faszinierend zu betrachten, wie Ameisen in einem organisierten Staat leben und jede einzelne Ameise einer bestimmten Tätigkeit nachgeht. Ameisen sind mehr als nur ein kleines Insekt, denn sie bewirken Grosses auf unserem Planeten.

Ein Hügelnest von Waldameisen.
Bild von Meteor2017 auf Wiki Commons

Literatur zum Thema

Bernhard Seifert, Die Ameisen Mittel- und Nordeuropas; Lutra, 2018.
Das Buch enthält Einzeldarstellungen von 121 Ameisenarten in Text und Bildern und dient als Einführung in die Morphologie, Biologie und Ökologie der Ameisen.

Bert Hölldobler, Edward O. Wilson, Auf den Spuren der Ameisen: Die Entdeckung einer faszinierenden Welt; Springer, 2013.
Dieses Buch, welches von zwei weltberühmten Ameisenexperten verfasst wurde, befasst sich unter anderem mit typischen Verhaltensweisen und Verständigungsmöglichkeiten innerhalb einer Ameisenkolonie sowie der geplanten Kriegsführung von den Ameisenvölkern untereinander.

Axel Gutjahr, Meine große Tierbibliothek: Die Ameise; Esslinger Verlag, 2020.
Dieses Buch ist eine gute erste Einführung in die Ameisenwelt für Kinder.

Die erwähnte Studie um das Team Sabine Nooten und Patrick Schultheiss (pnas.org)

Im Netz
Ameisen: Die heimliche Weltmacht
Eine faszinierende Doku über Ameisen und ihr Verhalten bei welcher Bert Hölldobler zu Worte kommt.

Eine Doku über die argentinische Ameise, ihrer Kriegsführung und Eroberung der Ameisenwelt. Die argentinische Ameise ist eine Bedrohung für die einheimischen Ameisenarten Europas.

Ein informatives Video über die rote Waldameise (Formica Rufa).

In diesem spannenden und emotionalen Video kann man sehen, wie eine junge Königin ihre erstgeborenen Larven füttert. Der Youtube-Kanal AntsCanada ist auf Ameisen spezialisiert und lädt regelmässig spannende Videos hoch.

Auf der AmeisenWiki lässt sich alles rund um das Thema Ameisen finden. Zum Beispiel kann man detaillierte Informationen zu 225 Ameisenarten erhalten.

Die Website FORMIS ist eine grosse Sammlung mehrerer Ameisenliteratur Datenbanken. Um die 70‘000 Referenzen sind auf der Website gespeichert, nur leider sind die aktuellsten Texte aus dem Jahr 2012.





One thought on “Sie weilen unter uns und sind in der Überzahl

  • 20.04.2023 um 23:14 Uhr
    Permalink

    Danke Julia, für diesen mega coolen Artikel. Er ist so spannend und gut recherchiert! Ich wusste nicht, dass Ameisen so vielseitig sind! 🐜🐜🐜

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