Ein ethisches Angebot, das Du nicht ablehnen kannst
Im Gespräch mit Sebastian Ostritsch
In seinem neuen Buch wirft Sebastian Ostritsch einen ethischen Blick auf digitale Spiele und untersucht deren Verhältnis zu Moral und Glück sowie nach Chancen und Gefahren des Gaming. RUDOLF INDERST unterhielt sich mit ihm genau darüber.
Rudolf Inderst (RI): Lieber Herr Ostritsch, schön, dass Sie die Zeit gefunden haben für einen kurzen Gedankenaustausch. Mögen Sie sich bitte unseren Leser:innen kurz vorstellen – z. B. Ihren Werdegang und Ihre Forschungsschwerpunkte?
Sebastian Ostritsch (SO): Ich habe in Stuttgart und Paris Literaturwissenschaft und Philosoph studiert und wurde dann mit einer Arbeit über Georg Wilhelm Friedrich Hegel in Bonn promoviert. Neben Hegel beschäftige ich mich viel mit den Themen Zeit und Ewigkeit – und natürlich mit Computerspielen.
(RI): Lassen Sie uns nun ein wenig über Ihr Buch Let’s Play oder Game Over? Eine Ethik des Computerspiels sprechen. Wie begann die Arbeit daran und wie endete es schließlich im Verlagsprogramm bei dtv?
(SO): Ich bin mit Computerspielen aufgewachsen und spiele bis heute. Vor über zehn Jahren habe ich meinen ersten Aufsatz zum Thema geschrieben. Seitdem beschäftige ich mich mit Games aus philosophischer Perspektive – vor allem mit ethischen Fragen. Seit ein paar Jahren führe ich ein eigenes Forschungsprojekt zur Ethik der Computerspiele an der Universität Stuttgart durch. Das Buch, das jetzt bei dtv erschienen ist, ist die erste große Frucht dieser Arbeit. Das Ziel war, eine Ethik des Gaming zu schreiben, die philosophisch fundiert ist, aber eben auch einem breiteren Publikum einen Zugang eröffnet.
(RI): Wenn „Computerspiele wirklich nur triviale Spiele sind und keine ästhetische, kulturelle oder ethische Relevanz, keinerlei Wirklichkeitsbezug haben, dann muss man sie nicht ernst nehmen.“ Offensichtlich haben Sie sich in ihrer Arbeit für einen anderen Weg entschieden.* Sie sprechen dem Medium sehr wohl eine „gesellschaftlichen Bedeutung“ zu, welche es zu er- und begründen gilt. Über welche Argumente sprechen wir hier?
(SO): Im öffentlichen Diskurs über Computerspiele habe ich oft zwei Extreme wahrgenommen: Auf der einen Seite stehen Leute ohne Gaming-Erfahrung und mit tiefsitzenden Vorurteilen; sie halten Games entweder für sinnloses „Daddeln“ (ein grässlicher Ausdruck) oder für gefährliches Teufelszeug, das Jugendliche zu Amokläufern macht. Auf der anderen Seite ist unter Gamern eine Schutzhaltung gegen den letztgenannten Vorwurf verbreitet, die besagt: „Games sind doch nur Spiele und überhaupt ist alles in ihnen nur virtuell“. Beide Standpunkte sind zu pauschal. Mein Ziel war, einen differenzierteren ethischen Blick auf Computerspiele zu entwickeln.
Dass Games kausal relevante Faktoren für Gewaltverbrechen sind, muss man mit Blick auf die empirische Forschung in der Tat als falsch zurückweisen. Das heißt aber nicht, dass Computerspiele ethisch irrelevant wären. Jeder Gamer weiß ja, dass viele Spiele Geschichten, ja ganze Welten erlebbar machen, die durchzogen sind von bestimmten Normen und Werten. Anders ausgedrückt: Games können wie Film und Literatur einen sehr komplexen Blick auf die Welt und das Leben zum Ausdruck bringen – und damit überschreiten sie die Grenzen der belanglosen Spielerei. Games legen uns moralische Sichtweisen und Weltanschauungen nahe und erlauben uns, in einem geschützten Rahmen ethische Erfahrungen zu machen. Dazu gehört übrigens auch die Möglichkeit, böse zu sein bzw. die Konsequenzen bösen Handelns zu erfahren.
(RI): Über welche Aspekte der Spielforschung in Zusammenhang mit Ihrem Kernfachgebiet würden Sie gerne als nächstes nachdenken bzw. existiert vielleicht schon ein solches Vorhaben?
(SO): Mich interessiert zum Beispiel, wie genau ein Spiel durch Elemente, die nicht zur fiktiven Spielwelt gehören – also Menüs, Ladebildschirme, HUD u. ä . – das Spielerlebnis in normativer Hinsicht beeinflussen kann. Die Frage, die mich beschäftigt, ist also, wie sich diese Art von Rahmung auf eine ethische Bewertung eines Spiels auswirken kann. Auch will ich für meinen YouTube-Kanal Videos zur Philosophie und Ethik des Gaming produzieren.
(RI): Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!
*Disclaimer: Herzlichen Dank an dtv für die Bereitstellung eines Presseexemplars.