Gamification – aber anders?
Im Gespräch mit Jasmin Deniz Karatas
Gamification hat einen gemischten Ruf. Kritiker:innen erscheint das Thema wie verbrannte Marketing-Erde, manche wittern sogar eine Unmündigkeitsmaschine für Arbeitnehmer:innen. Jasmin Deniz Karatas hat nun allerdings ein Buch geschrieben, das versucht, den Komplex noch einmal ganz anders aufzurollen. RUDOLF INDERST spricht mit Ihr darüber.
Rudolf Inderst (RI): Liebe Frau Karatas, schön, dass Sie die Zeit gefunden haben für einen kurzen Gedankenaustausch. Mögen Sie sich bitte zunächst unseren Leser:innen kurz vorstellen?
Jasmin Deniz Karatas (JDK): Klar, sehr gerne! Mein Name ist Jasmin Deniz Karatas, aber viele kennen mich als Jay oder JayKays. Wie beginnt man eine Vorstellung, wenn man gelernt hat, immer das zu sagen, was auf der „Visitenkarte“ steht, aber ich habe zum Glück keine mehr. Also fange ich von vorne an. Mein ganzes Leben lang habe ich es geliebt, Dinge zu visualisieren und Brettspiele zu spielen. Ihr müsst wissen, ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der es gerade mal den Commodore 64 gab – und darauf gab es auch Spiele (lacht).
Eigentlich war mein Bruder der Gamer in unserer Familie. Ich war eher ein persönlicher E-Sport-Fan meines großen Bruders. Ich war so fasziniert von seiner Leidenschaft und Hingabe, dass ich selbst anfing, am PC zu spielen. Counterstrike, WoW, Gothic, Diablo, ach, und so vieles mehr. Wenn mein Rechner „AO“ machte, wusste ich, jemand hat mir auf ICQ geschrieben. Fast forward 20 Jahre, eine Ausbildung, ein Studium und drei Festanstellungen später, habe ich mich im Bereich Gamification niedergelassen. Ich bin dabei, ein eigenes Unternehmen und eine Agentur in diesem Bereich aufzubauen. Ich berate Startups, aber auch DAX-30-Unternehmen. Sie suchen meinen Rat, wenn alle anderen Versuche gescheitert sind, niemand mehr motiviert ist oder sie in der Gamer-Zielgruppe werben wollen.
Fast forward 20 Jahre, eine Ausbildung, ein Studium und drei Festanstellungen später, habe ich mich im Bereich Gamification niedergelassen.
Bevor ihr mich nun ganz abschreibt, ich sehe Gamification ein wenig anders als viele in diesem Bereich. Für mich ist Gamification, wie Jane McGonigal es ausdrückt, eine Alternative zum „echten Leben“. Ich sehe es als eine Chance, das, was wir an Spielen so lieben und was uns verbessert, ins echte Leben und in die Arbeitswelt zu integrieren. Das Nerdtum zu feiern und wirklich zu leben! Zu erkennen, dass Nerds die Welt verändern können, weil sie etwas so sehr lieben, dass sie alles dafür tun! Hier erlaube ich mir, ein paar Namen zu nennen: Albert Einstein, Steve Jobs, Marie Curie, Frida Kahlo usw. Ja, all diese Menschen haben einen „Arbeitstitel“, den man auf einer Visitenkarte findet, aber sie sind auch alle eines: NERDS!
(RI): Vielleicht können wir nun ein wenig über Ihren bisherigen beruflichen Werdegang und das Zustandekommen dieses Buches sprechen?
(DKJ): Perfekt. Ich habe in meiner „kurzen“ Vorstellung ein wenig ausgeholt. Ich habe eine Ausbildung zur Mediengestalterin absolviert und Produktgestaltung an der HfG Schwäbisch Gmünd studiert, bevor ich mich schnell in Richtung digitales Design bewegte, was heute am ehesten als UX bezeichnet wird. Mein Buch basiert auf den Erkenntnissen aus meinem Bachelorstudium und meinen beruflichen Erfahrungen. Als ich das Buch von Jane McGonigal las, hatte ich einen riesigen AHA-Moment. Mir wurde klar, dass der Spielprozess dem kreativen Prozess sehr ähnlich ist und dass man einen Spielraum schaffen muss, um kreativ sein zu können. Die Parallelen waren offensichtlich. In meiner Bachelorarbeit entwickelten wir ein Kartenspiel zur Unterstützung des Kreativprozesses, aber es war zu komplex. In den folgenden Jahren lernte ich Methoden wie Design Thinking und Agile kennen. Aber mir wurde schmerzlich bewusst, dass Methoden und Prozesse nicht der Schlüssel zur Kreativität sind.
Es geht vielmehr um den Freiraum, das Ausprobieren, Experimentieren, Scheitern und Weiterentwickeln, das Neudenken. Das ist es, was Spiele und Games ermöglichen. Sie schaffen eine Balance, nicht zu viel und nicht zu wenig. Und genau darum geht es in Game Changing – Werde zum Business-Nerd, um diese Balance und die Liebe zum Spiel.

(RI): Was sind die zentralen Ideen, Themen und Thesen Ihres Buchs?
(JDK): Die Thesen meines Buches befassen sich, wie bereits oben erwähnt, mit den verschiedenen Aspekten und Perspektiven von Spielen und Games. Ich untersuche, inwieweit wir in unserer Gesellschaft bereits mit Spielen und Games in Kontakt gekommen sind und welche Auswirkungen dies auf uns, unser Verhalten und unsere Gesellschaft hat. Ich erörtere Themen rund um das Spiel (hier nicht nur als digitales Spiel oder Game verstanden, sondern als philosophisches Grundkonzept), seinen Sinn oder Unsinn, liefere Beispiele und gehe detaillierter auf den allgemeinen Gestaltungsprozess ein, nicht spezifisch auf den eines Spiels, sondern im Kontext der Kreativitätsentwicklung. Es gibt einen kurzen Exkurs in die Neurobiologie und Motivation sowie zum Thema Performativität und Theaterwissenschaften, stets im Zusammenhang mit dem Einfluss von Spielen auf uns als Menschen und unseren kreativen Freiraum. Ich schließe das Buch mit einer Art Manifest, einem Aufruf für mehr Spiel im Business und mehr Raum für Kreativität.
(RI): Am Ende unserer kurzen Gespräche ist es mittlerweile eine liebgewonnene Tradition, unsere Gäste nach Ihrer Meinung zur aktuellen deutschsprachigen Digitalspielforschung zu befragen. Was meinen Sie – wo stehen wir hier aktuell in Forschung sowie Lehre und wo könnte die Reise in den nächsten, sagen wir, fünf Jahren hingehen?
(JDK): Ich bin überzeugt davon, dass es in diesem Bereich noch enormes Potenzial gibt, insbesondere in Bezug darauf, wie digitale Spiele auch als Framework für andere Lebensbereiche genutzt werden können. Auch im Bereich der immersiven Technologien und Welten bin ich gespannt, wie diese Aspekte uns als Menschen beeinflussen werden. Denn irgendwann wird alles zum Spiel, und dann könnten wir uns in einer Realität wie in Ender’s Game wiederfinden. Dies wirft schnell Fragen zur Moral und Ethik auf. Ebenso ist es wichtig zu überlegen, wie man „gesunde“ Umgebungen schafft, denn auch Spiele haben eine Schattenseite, die es ebenso zu erforschen gilt wie die positiven Aspekte. Ich freue mich auf alles, was die Zukunft bringt, denn ich weiß, es gibt viele kluge Köpfe, die sich diesen Themen widmen (lacht).
(RI): Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!
Weitere Webauftritte der Autorin:
- LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/jasminkaratas/
- Instagram: https://www.instagram.com/jaykays_life/
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Disclaimer: 2022 haben Rudolf Thomas Inderst und Jasmin Deniz Karatas an der IU Internationale Hochschule im Rahmen des Kursangebotes „Einführung in die Game Studies“ zusammengearbeitet.