Der Gamedidaktik auf der Spur

Im Gespräch mit Michael Hebel

portrait michael hebel

Im Sommer 2023 stellten sich im Rahmen des gamescom congress spielkulturinteressierte Ohren auf, als Michael Hebel über die Möglichkeiten und Potentiale einer eigenen „Games-Uni“ sprach. Warum das Thema relevant ist, versucht RUDOLF INDERST in einem Gespräch mit dem engagierten Hochschullehrer näher zu ergründen. 

Rudolf Inderst (RI): Lieber Herr Hebel, schön, dass Sie die Zeit gefunden haben für einen kurzen Gedankenaustausch. Mögen Sie sich bitte unseren Leser:innen zunächst kurz vorstellen? 

Michael Hebel (MH): Guten Tag Herr Inderst. Ich möchte mich für die Einladung bedanken. Ich bin derzeit Professor für Game Design und Game Art an der Hochschule Neu-Ulm und dort Leiter des Studiengangs Game-Produktion und Management (B.A.). Zuvor bekleidete ich eine Professur für Crossmedia Design mit Schwerpunkt Game-Development an der Hochschule Heidelberg. Meine Expertise begründe ich mit meiner Arbeitszeit in der Kern-Games-Branche bei Ubisoft Studio Mainz. Ich durfte mich glücklich schätzen, direkt im Anschluss an mein Mediendesign-Studium an der Hochschule Augsburg, dort als Junior Digital Artist, an der Entwicklung von Anno 1404 teilzuhaben. Im Laufe der Jahre arbeitete ich mich über die Entwicklung verschiedener Spiele bis hin zum Lead Artist hoch, mein letztes Projekt hieß Might and Magic Heroes Online.

RI: Bitte skizzieren Sie Ihren Weg in die Spielausbildung und -forschung. Was sind Ihre persönlichen Schwerpunkte?   

MH: Während meiner Zeit bei Ubisoft Studio Mainz unterrichtete ich an der Hochschule Augsburg in verschiedenen Modulen und Workshops zum Thema Game. Mein Anliegen war es, die Studierenden mit der Realität des Berufs eines Spieleentwicklers zu konfrontieren und sie bestmöglich zu fordern und zu fördern. Dies führte auch dazu, dass ich mich intensiver mit der Art und Weise des Unterrichtens in der Disziplin Game beschäftigte. Der fachliche Ausdruck wäre „Gamedidaktik“. Da ich auch schon zum Thema „Designdidaktik“ forschend und publizierend tätig war, war es für mich eine logische Evolution, hier tiefer einzutauchen. Es stellen sich uns Game-Lehrenden immer die Fragen, was wir den Studierenden auf welche Art und Weise bestmöglich vermitteln können, damit sie alle nötigen Skills und Kompetenzen besitzen können, um sich damit in der Kern-Games-Branche oder dem erweiterten Games-Markt bewerben zu können.

Zusätzlich hat sich mein persönlicher Horizont über die Jahre dergestalt verändert, dass ich das Medium Game nicht mehr als reines Unterhaltungsmedium ansehe, sondern als ein eigenständiges Medium auf Augenhöhe mit anderen Medien, wie der Literatur, dem Radio und dem Film, um nur einige zu nennen. Daher stellt sich die Frage, nicht nur für mich, sondern auch für die Studierenden und zukünftigen Game-Entwicklerinnen und -Entwicklern, wie wir mit dem Medium Game umgehen können, welche gesellschaftlichen Fragestellungen wir mit oder durch das Medium thematisieren können. Ich bin da sehr positiv gestimmt, da hier immer wieder Ambitionen festzustellen sind.

RI: Kommen wir nun einmal auf die Studium- und / oder die Ausbildungssituation zu sprechen – welchen Status Quo stellen Sie in Deutschland fest? Gibt es spezifische Defizite?  

MH: Wir können uns glücklich schätzen, dass die deutsche Bildungslandschaft das Thema Game aufgegriffen hat und mittels verschiedener Ausbildungs- und Studiengänge Karrieremöglichkeiten für leidenschaftliche Entwicklerinnen und Entwickler anbietet. Dabei sehe ich dies jedoch ambivalent. Deutschland hat eine starke Tradition im Ausbildungsbereich, der enorm wichtig für unsere Wirtschaft ist. Der Ausbildungsbereich ist jedoch davon abhängig, dass Unternehmen auch Ausbildungsplätze anbieten können und wollen, die durch staatliche oder zumindest staatlich anerkannte Ausbildungsinstitute begleitet werden – und dies in großem Stil. Dieser Sektor ist derzeit ausschließlich durch private Bildungsinstitutionen wie die Games Academy oder School 4 Games oder School of Games abgedeckt.

Dazu kommt verschärfend, dass es keinerlei staatliche Berufsbilder für diese Ausbildung gibt. Ich spreche hier von dem Berufsbild des Game Artists, des Game Designers oder des Game-Engineers. Interessierte haben lediglich die Möglichkeit, die Ausbildung als Mediengestalter oder Softwareentwickler anzustreben. Wichtige Ausbildungsberufe, die jedoch bei weitem nicht auf die Besonderheiten der Games-Branche Rücksicht nehmen (können). Diese Diskussion beherrscht die Branche bereits seit vielen Jahren. Seit diesem Jahr soll daher der Ausbildungsberuf „Gestalter für immersive Medien“ starten. Dies ist meines Erachtens ein erster wichtiger Schritt, doch stellt sich die Frage, warum hier auf den wichtigen Begriff „Game“ explizit verzichtet wurde und wie dieses Projekt in der Industrie und den Auszubildenden angenommen wird.

Deutschland hat eine starke Tradition im Ausbildungsbereich, der enorm wichtig für unsere Wirtschaft ist.

Leider entscheiden sich derzeit viel zu viele Interessierte für ein Studium, welches  in irgendeiner Form das Wort „Game“ in sich birgt, unabhängig davon, ob es ein Studiengang ist, der „Game“ nebenbei behandelt, oder ob es sich um einen echten Game-Design-Studiengang handelt, welcher eine holistische Ausbildung in sich birgt. Die meisten Studierenden, mit denen ich spreche, wollen eigentlich eine klassische Ausbildung haben, sind bereits stark auf eine Teildisziplin bzw. ein Gewerk ausgerichtet. In einem holistischen Studiengang sollte jedoch aufbauend auf solch eine Expertise dann die holistische Ausbildung aufsetzen. Game besteht aus mehr als 30 Disziplinen, von der man jede einzelne separat studieren kann. Üblicherweise studieren gestaltungsaffine Persönlichkeiten Visuelle Kommunikation oder Kommunikationsdesign oder Mediendesign, um sich dann als Concept Artist oder 3D Artist oder ähnliches in der Branche zu bewerben.

Wir haben das Problem in der holistischen Ausbildung an Hochschulen, dass wir die Berufsausbildung, also das jeweilige Handwerk in bspw. Programmieren oder Gestaltung, mit integrieren müssen, was die Anforderungen und den Umfang unnötig hoch schraubt. Sinnvoller wäre es meiner Meinung nach, wenn wir eine starke staatliche Ausbildungslandschaft hätten, und dieser Weg Usus wäre, um einen Job in der Industrie zu bekommen. Mit solch einer Ausbildung wäre es dann für einige wenige Kandidaten für die eigenen Weiterentwicklung anstrebsam, aus der eigenen Subdisziplin zu entwachsen, die holistische Entwicklung kennen zu lernen, und dann entsprechend anspruchsvolle Posten in der Industrie –  zumindest mittelfristig – bekleiden zu können. Da rede ich dann von den üblichen Direktorenposten, leitenden Funktionen. Interessanterweise ist das jedoch nur selten der eigene Anspruch von Studierenden. Diese sind glücklich, wenn sie überhaupt in der Branche Fuß fassen dürfen, und dann sich lediglich mit ihrem eigenen Gewerk beschäftigen müssen, da dieses bereits für sich schon sehr komplex ist.

Sie sehen, ich hinterfrage hier die Akademisierung von Ausbildungsberufen sehr kritisch und stelle mir die Frage, welche Aufgabe wir als Hochschulen oder Hochschuldozenten eigentlich haben und wie es um die Studierbarkeit steht. Leuchtturmprojekte wie bspw. das Cologne Game Lab (CGL) sieben aus hunderten Bewerbern diejenigen wenigen Kandidaten aus, die überhaupt eine holistische Ausbildung absolvieren können – wie es übrigens in allen Designstudiengängen in Deutschland üblich ist (Game (Design) ist stets den Designstudiengängen zuzuordnen oder wenigstens den Multimediastudiengängen).

Sie sehen, ich hinterfrage hier die Akademisierung von Ausbildungsberufen sehr kritisch.

Deutschland muss sich also darüber klar werden, ob eine Unterteilung zwischen Ausbildung und Studium sinnvoll ist, worin die Unterschiede bestehen und wie dies dann entsprechend umgesetzt werden kann. Sollte eine Akademisierung hier vollständig durchgeführt werden, so werden die privaten Ausbildungsinstitute ausgeschlossen – und die logische Frage wäre dann, ob ich nicht für jedes Gewerk einen eigenen Studiengang benötige, im Grunde Ausbildung+.

RI: Auf dem gamescom-Kongress in Köln sprachen Sie im Sommer über ihre Vision einer eigenen Games-Hochschule. Wie können sich das unsere Leser:innen vorstellen?  

MH: Diese Vision wurde von mehreren Game-Lehrenden verschriftlicht, ich durfte diese dann für diese Arbeitsgruppe und den game-Verband vorstellen. Im game-Verband treffen sich regelmäßig mehrere Dozenten und Professoren (w/m/d) und debattieren über viele Themen, unter anderem auch über das Thema der Bildung und Forschung. Meine letzten Ausführungen hierüber bekräftigen die Etablierung einer institutionalisierten Form, in der unter einem Dach alle Gewerke und Ausbildungsformen, ob nun Ausbildung oder Studium, aber insbesondere auch die angewandte und die Grundlagenforschung vereint sind. Auf der Suche nach ähnlichen Formaten sind die Kollegen dann relativ schnell auf die Filmhochschule Konrad-Wolf gestoßen, die eine ähnliche Idee verfolgt. Leider haben wir in Deutschland absolut nichts vergleichbares, nicht mal eine Game-Fakultät, in der mehrere Game-Studiengänge geclustert und sich durchdringend aufgebaut sind. Wir haben tolle Studiengänge, wie bspw. an der HTW Berlin, an der HAW Hamburg, der HS Darmstadt oder auch besagtem CGL. Es handelt sich jedoch nicht um eine „erwachsene“ institutionalisierte Form.

Auch gibt es an Universitäten nichts vergleichbares. Lediglich die Universität Bayreuth beschäftigt sich mit Games. Wo sind die Lehrstühle? Wo sind die Forschungstöpfe? Wo ist die in der Forschungslandschaft wichtige Bereitschaft, entsprechende Forschungstöpfe bereitzustellen? Derzeit müssen wir in anderen Disziplinen wildern. Von einem Forschungstopf in der etablierten (derzeit emergierenden) Disziplin Game ist nichts zu sehen. Und dies ist weiterzuführen mit einem Promotionsrecht, welches jegliche ernsthafte und etablierte Disziplin besitzt. Doch zurück zur Game-Hochschule. Wir reden hier von wenigen spezialisierten Einrichtungen, die Kompetenzen in Lehre und Forschung bündeln – jede Einrichtung mit eigenem Profil, um sich auch voneinander abzuheben und Orientierung für Auszubildende, Studierende, Lehrende und Forschende, aber auch die Industrie bieten. Vorstellbar wären in jeder Himmelsrichtung bis hin zu jedem Bundesland eine dedizierte Game-Hochschule – oder Hochschule mit dediziertem Game-Institut oder dedizierter Game-Fakultät. Und hier sollten mindestens alle Grundsäulen (Game Design, Game-Art, Game Engineering, Game Economics, Game Studies) abgedeckt sein. Da sich an solchen Institutionen die Kräfte bündeln, sollte auch der Finanzaufwand geringer sein, als an zahlreichen Einzelstandorten in singulären Studiengängen eine Subform davon zu etablieren, welche bei weitem nicht in der Lage sein kann, die komplexen Themen der Disziplin Game sach- und fachgerecht zu vermitteln.

RI: Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft! 

 

*Disclaimer: Der Verfasser unterrichtete mehrere Semester als Lehrbeauftragter an der HS Neu-Ulm.





Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in Kopenhagen und verliebte sich. Doppelt promoviert, übernimmt er Verantwortung als Ressortleiter für digitale Spiele hier bei nahaufnahmen.ch. Liebt Stanislaw Lem, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Game Studies / Spielanalyse / Game Business an der IU und krault sich gerne seinen Bart.

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