„Das Fischkind“ von Lucía Puenzo

Was hat denn Liebe schon damit zu tun?

„Das Fischkind“ von Lucía Puenzo

Lucía Puenzo, die Frau, die mit ihrem Erstling „XXY“ international für Beachtung gesorgt hat, meldet sich zurück. Natürlich sind die Erwartungen entsprechend hoch. „Das Fischkind“, eben ihr neuer Film, beschäftigt sich ebenfalls mit Sexualität, der Konfusion derselben, mit Verlust und sexueller Gewalt – alles Zutaten, die auf einen tiefgründigen und guten Arthouse-Film schliessen lassen.

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Von Alexander Sigrist.

Argentinien in der Gegenwart: die gut betuchte Teenagerin Lala hat eine heimliche Affäre mit ihrem Hausmädchen, der 20jährigen Guayi. Gemeinsam träumen sie davon, nach Paraguay zu emigrieren und dort ein Leben fernab vom sozialen Druck der Heimat zu führen. Als Lalas Vater jedoch stirbt, muss Lala flüchten, da sie verdächtigt wird ihn ermordet zu haben. In Guayi Geburtshaus wartet sie auf die Ankunft ihrer Geliebten, während sie in Gedanken die gemeinsame Vergangenheit zusammenbaut und mehr als ein Vebrechen ans Tageslicht kommt.

Wäre das Metier des Filmkritisierens eine einfache Angelegenheit von Addition und Substraktion, so hätte es der Filmkritiker mit Filmen wie „Das Fischkind“ ganz leicht: Abstrahiert man alle positiven und negativen Faktoren von Lucía Puenzos neuem Film, so scheint der Film durchaus schwarze Zahlen zu schreiben – und dennoch, so viele positive Ideen und Faktoren er auch zu haben scheint, so ganz zünden will der Film einfach nicht. Er postuliert sich schlussendlich als gut gemachter Arthouse-Film, der aber zu wenig Fleisch am Knochen hat, um wirklich anregend zu wirken.

Soll und Haben

Aber bleiben wir vorerst auf der Haben-Seite: mit Lucía Puenzos hat der Film schon mal sein grösstes Plus. Die Frau hat mit ihrem Drama „XXY“ (2007) einen internationalen Achtungserfolg geschaffen, welcher an unterschiedlichen Festivals mit gut zwanzig Awards ausgezeichnet wurde. Kein Wunder also erwartet man von „Das Fischkind“ bereits vor dem Einlegen des Silberlings Grosses. Und erst scheint es auch, als würde sie diese Prämisse erfühlen: die Schauspieler spielen grandios, eindringlich, mitreissend, dennoch distanziert – halt so, wie man es vom spanisch-argentinischen Arthouse-Kino der Gegenwart gewohnt ist. Ebenfalls die zwei Zeitebenen und der magisch-realistische Touch vermögen von Anfang an zu faszinieren.

Auch die Story ist eigentlich interessant: Es geht um die junge Lala, welche sich in der Unsicherheit über ihre Homosexualität völlig auf einen anderen Menschen, nämlich Guayi, bezieht. Dieser Mensch kann aber diese Singularisierung nicht vollends beantworten: ständig hadert Guayi mit sich, mit ihrer Hetero-, Homo-, und Bisexualität und löst so das Drama aus, dass sich um sie und Lala entwickelt und schliesslich beide in den Abgrund zieht. Und da fragt der Film dann auch seine Gretchenfrage: was ist Sexualität? Und was ist Liebe? Und wo ist die Linie zwischen den Beiden?

Copyright Studio/Produzent
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Für Anhänger gepflogener Kinokost mag das jetzt alles sehr faszinierend klingen, doch leider muss nun unweigerlich die Soll-Seite folgen. Das grösste Problem des Films ist es, dass er einfach nicht weiss, was er mit dem Stoff anfangen soll. Das Verhältnis zwischen Lala und Guayi verdichtet sich kaum, wird eigentlich nur dargestellt und nie reflektiert – und das dann auch noch absolut amateurhaft: um das Verhältnis zwischen den beiden zu zeigen, küssen sie sich die beiden einfach in jeder zweiten Szene der ersten Hälfte des Films, damit auch jener, der zwischendurch eingeschlafen ist, mitbekommt, dass die beiden was laufen haben. So läuft Lala in der ersten Hälfte des Films traumwandlerisch im Geburtshaus Guayis rum und erinnert sich an die Vergangenheit: daran, wie sie mit Guayi in der Badewanne hockte und sie sich küssten, wie sie mit nassen Haaren im Zimmer hockten und sich küssten, wie sie in der Disco waren und sich küssten und so weiter und so fort – der Film kommt in der ersten Hälfte praktisch nicht vom Fleck und wird zeitweilen fast zur plumpen Fleischbeschau.

Auch die Inszenierung ist mehr Selbstzweck als Sinn: so baut die Erinnerungsstruktur der ersten Hälfte zwar eine mythische Atmosphäre auf, lässt den Film aber auch arg episodenhaft wirken, der Zuschauer fühlt sich verwirrt und weiss nicht, was man mit den Szenen, die bisweilen chaotisch wirken, anfangen soll. Diese Episodenhaftigkeit wird dann zum Glück in der zweiten Hälfte über Bord geworfen, es wird an der Drama- und Spannungsschraube gedreht. Das resultiert in einigen guten Szenen, interessanten Gedanken, doch der Film hat sich in der ersten Hälfte einfach schon zu weit defragmentiert, als dass man jetzt noch mit den Figuren mitfühlen möchte.

“Das Fischkind“ ist also wie ein Arthouse-Versuch: der hilflose Versuch an „XXY“ anzuknüpfen. Puenzos hat gewusst, dass sie einen guten Stoff in der Hand hält und macht vieles auch richtig – gute Schauspieler, eindringliche Szenen, eine tolle Atmosphäre. Doch man wird das Gefühl nicht los, dass sie nicht wirklich wusste, was sie mit ihrem Stoff anfangen soll. So dümpelt “Das Fischkind“ über weite Strecken dahin, verwechselt bisweilen inszenatorisches Geschick mit Tiefgründigkeit, sexuelle Reflektion mit voyeuristischer Fleischbeschau, Stille mit Langeweile – schade, denn da wäre mehr drin gewesenen.


Seit dem 30. März 2010 im Handel.

Originaltitel: El niño pez (Argentinien, Spanien, Frankreich 2009)
Regie: Lucía Puenzo
Darsteller: Inés Efron, Mariela Vitale, Carlos Bardem, Arnaldo André
Genre: Drama
Dauer: 95 Minuten
CH-Verleih: Warner

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