„Die Einsamkeit der Primzahlen“ von Paolo Giordano

Einsam – aber nicht allein

„Die Einsamkeit der Primzahlen“ von Paolo Giordano

Alice und Mattia, beide seit ihrer Kindheit Aussenseiter, lernen sich auf dem Gymnasium kennen und finden trotz – oder gerade wegen – persönlicher Schwierigkeiten schnell eine enge Bindung zueinander. Seit traumatischen Erlebnissen in ihrer Kindheit fühlen beide eine Einsamkeit, welche sie nun teilen können. Es gelingt ihnen jedoch nicht, diese Einsamkeit jemals ganz hinter sich zu lassen. – Ein Roman so schlicht wie brillant.

Von Andrea Schmuki.

dieeinsamkeitderprimzahlenNiemals hatte Alice Skifahren lernen wollen. Ihr Vater hatte sich aber genau das in den Kopf gesetzt. Nach einem Skiunfall körperlich behindert, schottet sich Alice immer mehr ab. Nie wieder fasst sie Vertrauen zu ihrem halsstarrigen Vater. Ihrem inneren Schmerz und dem Gefühl, ein ungeliebter Krüppel zu sein, versucht sie auf ihre ganz eigene Art zu entgehen: Sie hungert und gerät in eine schwere Magersucht.

Mattia wuchs derweil mit seiner geistig schwerstbehinderten Zwillingsschwester Michaela auf. Als er einmal – wirklich nur einmal – ein ganz normales Kind sein will und seine Schwester für kurze Zeit alleine lässt, um an einer Geburtstagsparty teilzunehmen, passiert das Unglück: Michaela verschwindet spurlos. Fortan verstümmelt sich Mattia, der sich für seine Zwillingsschwester verantwortlich fühlte, immer häufiger selbst mit Glasscherben, Klingen und auch mit Feuer, um seinen seelischen Schmerz auch körperlich zu spüren.

Die Angst vor sich selbst

Als ob das Schicksal die beiden traumatisierten Jugendlichen zusammengefügt hätte, verstehen sie sich auf Anhieb gut. Obwohl sich aber beide zueinander hingezogen fühlen, kommt es jahrelang zu keiner körperlichen Nähe; es bleibt bei beiden immer zu viel Angst vor sich selber und zu viel Angst davor, jemandem restlos zu vertrauen. Mattia, der sich schon seit seiner Kindheit für Zahlen interessiert hat, erkennt, dass sie wie Primzahlzwillinge sind, die nur durch eine einzige gerade Zahl getrennt sind, aber doch nie ganz zusammen finden werden. Mattia meidet von sich aus den Kontakt zu anderen, Alice leidet darunter, dass sie von anderen gemieden wird. Nur untereinander haben sie diese Gefühle nicht, doch jedes Mal wenn es um etwas Verbindlicheres geht, um eine Beziehung, wird es einem von ihnen zu viel und sie driften wieder mehr auseinander, bis sie schliesslich vor einer schweren Entscheidung stehen.

Beeindruckend

Fernab von Klischees schildert Paolo Giordano die seelischen Notzustände seiner beiden Protagonisten Alice und Mattia. Zwischen verborgenen Hoffnungen, tiefen Ängsten, Uneinsichtigkeit und nagendem Kummer entwickelt sich eine feine Liebesgeschichte. Die nüchterne und präzise Erzählweise, mit der Figuren, Handlungen und Vorgänge geschildert werden, steht im Kontrast zur nicht selten blumigen, beeindruckenden Sprache. Jedoch nicht nur die Sprache, sondern auch die Lesung des Schauspielers Daniel Brühl vermag zu überzeugen und so ist „Die Einsamkeit der Primzahlen“ auch als Hörbuch ein Vergnügen ganz besonderer Art.

„Die Einsamkeit der Primzahlen“ ist ein schlichtweg brillanter und grandios erzählter Episodenroman um die Geschichte von zwei normalen und doch nicht ganz so gewöhnlichen Menschen.

Random House Audio
6 CDs, 378 Minuten, ca. CHF 44.90

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