„Les Milles“ von Sébastien Grall

Held mit Zug

„Les Milles – Gefangen im Lager“ von Sébastien Grall

Oskar Schindler gab es auch in der Provence. Unter der Obhut des Produzenten von „Der Pianist“ und Koproduzenten von „Schindlers Liste“ entstand die wahre und faszinierende Erzählung eines dramatischen Kapitels des Zweiten Weltkrieges in Frankreich.

Von Tom Messerli.

les millesSüdfrankreich Juni 1940. Im Internierungslager Les Milles sind über 2000 Männer untergebracht, die vor dem Naziregime des Dritten Reiches nach Frankreich geflohen sind. Als die deutsche Wehrmacht Nordfrankreich besetzen, wächst unter den Lagerinsassen die Angst, an die Deutschen ausgeliefert zu werden, was dem sicheren Tod gleichkäme. Der Lagerkommandant Charles Perrochon (Jean-Pierre Marielle) entschliesst sich für eine spektakuläre Rettungsaktion: ein Zug soll Hunderte von Insassen in nur zwei Tagen an die Atlantikküste bringen, wo ein Schiff in die Freiheit ablegen wird.

Geschichten, die erzählt gehören

Es gibt immer wieder erstaunliche Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg. So auch in diesem Film nach historischen Ereignissen des Kriegsjahres 1940, der bereits 1995 in die Kinos kam, aber erst jetzt auf DVD erscheint. Das ist gut, denn auch diese Geschichte gehört erzählt. Obwohl in vielerlei Hinsicht nicht vergleichbar, so sind die Prallelen zu Spielbergs Meisterwerk „Schindlers Liste“ doch unverkennbar. Der durch Giftgase im Stellungskampf des Ersten Weltkriegs gesundheitlich schwer angeschlagene Reserveoffizier Charles Perrochon wird zum Kommandanten des Lagers Les Milles bestimmt. Im Gegensatz zu einigen seiner Untergebenen ist er sehr darauf bedacht, ein Mindestmass an Menschenwürde zu ermöglichen. Als die Gefangenen befürchten müssen, von den Franzosen bald an die Deutschen ausgeliefert und ermordet zu werden, entschliesst sich der Kommandant im Alleingang, ihnen zu helfen. Er konfisziert einen Zug, der die Menschen über 700 Kilometer weit nach Bayonne am Atlantik bringen soll, wo ein Schiff nach Casablanca auf sie wartet. Das Unternehmen erweist sich jedoch als weitaus schwieriger und gefährlicher als erhofft. Das ist der Stoff, aus dem Drama ist, soviel steht fest. Und dennoch gelingt es dem Film, trotz vorhersehbarem Verlauf, die entscheidenden Punkte richtig zu beleuchten.

Schwerpunkte intelligent gesetzt

Serviert wird nicht Einheitsbrei, sondern eine gut durchdachte Erzählung, die Wert auf feine Details legt. Am Drehbuch des Films wirkte auch der jüdische Schriftsteller Lion Feuchtwanger (Rüdiger Vogler) mit, der mit Walter Franck, Golo Mann, dem Maler Max Ernst und vielen anderen Oppositionellen, Juden und Künstlern damals im Lager von Les Milles interniert war. Bezeichnenderweise stellt der Film aber weniger die Schicksale dieser berühmten Deutschen in den Mittelpunkt, als vielmehr die in das Geschehen in und um das Lager involvierten französischen Militärs, insbesondere den Kommandanten und die Offiziere, die den Zug begleiten. Gerade weil in Südfrankreich das allgemeine Hassgefühl gegenüber Deutschen damals so gross war, wirken deren Taten und deren Zwiespalt zwischen Befehlsgehorsam und eigenem Gewissen besonders nachhaltig. Dem Film gelingt es somit bisweilen auch, die Politik und Scheinheiligkeit des mit Nazideutschland kollaborierenden Vichy-Regimes effektvoll zu kritisieren. Obwohl zu Beginn etwas zäh inszeniert, gewinnt der Film bald an Dynamik und Spannung und wird zu einem weiteren, bemerkenswerten Beispiel für Kühnheit, Toleranz und Menschenfreundlichkeit unter unlenkbaren Bedingungen.

Ausstattung

Kritikpunkt Nummer Eins bezüglich der DVD ist dessen Bild- und Tonqualität, welche leider nicht optimiert worden sind. Man ist sich heute anderes gewöhnt, da hätte gepunktet werden können. Ebenso spärlich verhält es sich mit der Ausstattung: Die Erstveröffentlichung auf DVD wurde leider nicht genutzt, einige interessante Extras anzufügen. Die DVD kommt mit einem lediglich vierminütigen ‚Making of‘ daher, das wenig interessante Interviews beinhaltet. Die mehr versprechenden Rubriken ‚Zeitdokus‘ und die Trailer verweisen bloss auf weitere Bücher und andere Filme, zum Thema „Les Milles“ findet sich schlicht nichts. Schade.


Seit dem 29. August 2008 im Handel.

Originaltitel: Les Milles (Frankreich, Deutschland, Polen 1995)            
Regie: Sébastien Grall
Darsteller: Jean-Pierre Marielle, Philippe Noiret, Kristin Scott Thomas, Rüdiger Vogler
Genre: Drama / Kriegsfilm
Dauer: 103 Minuten
Bildformat: 4:3
Sprachen: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch
Audio: Doby Digital 2.0
Bonusmaterial:
Vertrieb: Max Vision

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