Friedrich Schiller „Maria Stuart“ (Schauspielhaus Zürich)

In my end is my beginning

Friedrich Schiller „Maria Stuart“ | Schauspielhaus Zürich | 18.9.2009

Foto/Copyright: Matthias Horn.
Foto/Copyright: Matthias Horn.

Barbara Frey eröffnet ihre Intendanz und die neue Spielzeit mit einem der meistgespielten Stücke Schillers. Mutig streicht sie dabei vieles, was viele missen werden. Bei ihr gibt es kein Abendmahl, keine Kommunion auf der Bühne, dafür aber eine Elisabeth, die zur Hauptfigur avanciert.

Von Béla Riethausen.

Barbara Frey lässt sich nicht beirren und streicht im 5. Akt die ersten Szenen bis hin zum 8. Auftritt.  Melvil werden wohl einige vermissen. Dies ist wohl nicht dem protestantischen Spielort geschuldet, dem politisch hart umkämpften Schiffbau, der ihr als Kulisse des Königinnendramas dient, sondern der Konzentration des Stückes auf die Gegenspielerin.

Zurück zum Anfang
Schiller war beim Verfassen der Maria Stuart ein anerkannter Theaterautor und sich seiner Sache so sicher, dass es, anders als bei anderen seiner Stücke, kaum briefliche Auseinandersetzungen über das Fortkommen der Arbeit gibt. Gleichwohl bemerkt er in einem Brief an seinen Freund Goethe vom 18. Juni 1799, „dass man die Katastrophe gleich in den ersten Szenen sieht, und in dem sich die Handlung des Stückes sich davon wegzubewegen scheint, ihr immer näher und näher geführt wird“. Das behält die Regisseurin Barbara Frey in ihrer Inszenierung bei und kann so dem Autor Schiller treu bleiben, ohne allzu treu zu sein.

Foto/Copyright: Matthias Horn.
Foto/Copyright: Matthias Horn.

Schiller konzentriert den historischen Stoff auf die letzten Tage vor der Hinrichtung der schottischen Königin. Als er das Stück einsetzen lässt, ist die Katastrophe bereits geschehen, denn das Todesurteil ist schon über sie gefällt. Dabei geht es ihm nicht darum, uns einen Kriminalfall mit bekanntem Ausgang zu präsentieren, sondern das Gegebene mit dem Wahrscheinlichen zu vertauschen. Bei ihm dürfen sich die beiden Königinnen treffen, müssen es sogar, um der Peripetie schuldhaft ihren Anteil einzulösen.

Männer als Schwächlinge
Zuerst jedoch sträubt sich die Gefangene Maria gegen das Urteil, will es nicht anerkennen, hofft auf Rettung, die im Zweifel auch aus Flucht besteht. Auch hat sie Fürsprecher im Staatsrat der englischen Königin, wie den alten Talbot – hervorragend, als mit der Weisheit des Alters ausgestatteten Staatsmannes Siggi Schwientek – oder den Günstling Elisabeths, Graf Leicester, den Frank Seppeler aalglatt verkörpert. Der wird die Titelheldin, nur um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, schliesslich verraten. Wie auch überhaupt alle Männer in dieser Inszenierung, so ist auch er ein Schwächling, ein schwankendes Rohr im Winde. Einzig Burleigh, engster Vertrauter Elisabeths, der stets auf die Vollstreckung des Urteils drängt. Lambert Hamels Burleigh verbirgt hinter der Larve des väterlichen Freundes einen knallharten Realpolitiker, der für das Staatswohl selbst vor Mord nicht zurückschreckt, was seine Forderung umso grausamer erscheinen lässt. „Ihr Leben ist dein Tod! Ihr Tod dein Leben!“, wird der kompromisslose Vertreter der Staatsräson der schwankenden Elisabeth entgegenrufen. Am Ende wird er der einzige sein, der der englischen Königin – seiner Königin – beiseite stehen wird.

Maria als Auge des Sturms
Maria wird in Barbara Freys Inszenierung zum ruhenden Pol, zum Auge des Sturms. Um sie herum toben sich die Gegenspieler aus, rennen in der Bühne herum, schreien auf, entkommen aber dem System der Macht nicht. Wenn sich die beiden Königinnen treffen, so ruht sie gelehnt an einer kalten Rohrleitung und hört sich die Schmachrede ihrer Gegnerin an. Hier wird das vorher so politische ganz persönlich. Sie bleibt, auch wenn sie selbst Schmähungen ausspricht, ganz eine Grande Dame, darin unübertroffen Jördis Triebel. Anders Elisabeth. Sie ist die Getriebene, die Gehetzte, die zum Schluss verlieren muss. Carolin Conrads Elisabeth ist schwankend, mutlos mutig, depressiv und trotzdem stark. Auch sie sitzt im Gefängnis. Der dumpfe Knall, mit dem sich die Tür hinter den Abgehenden immer schliesst, macht dies unüberhörbar.

Foto/Copyright: Matthias Horn.
Foto/Copyright: Matthias Horn.

Eine unüberblickbare Bühne
Sie und alle anderen Protagonisten dieses Trauerspiels beherrschen nicht die Bühne, die auch für das Publikum kaum überblickbar ist. Diese Bühne, die aus den kalten Wänden der Halle des Schiffbaus besteht, in der die Bühnenbildnerin Bettina Meyer übergrosse Röhren gesetzt hat, die den Spielraum nicht nur begrenzen, sondern unübersichtlich werden lassen, beherrscht die Szenerie vollständig. So bleibt für alle Beteiligten der Aufführung dieses Röhrensystem der Macht ein Labyrinth, in dem sie sich verlieren können, oder gar ganz verschwinden, so wie der Günstling Mortimer. Er entsorgt sich praktisch selbst, wenn er sterbend in eine dieser Röhren steigt. Er verschwindet im System der Macht und verkommt danach zur Randbemerkung.

Die eigentliche Tragödie
Am Ende wird Elisabeth, denkt sie als Souverän eingreifen zu können, das Todesurteil unterschreiben. „Ein Blatt entscheidet noch nicht, ein Name tötet nicht.“ Sie weiss es besser, muss es besser wissen. Denn klingen nicht ihre Worte nach, die sie zu dem jungen Mortimer gesprochen hat. „So muss ich Sorge tragen, dass mein Anteil an ihrem Tod in ew’gem Zweifel bleibe.“ Das gelingt ihr, denn niemand anderem als einem Neuling an ihrem Hofe, dem Schreiber Davison – als hadernder Bürokratenverschnitt unübertroffen Jan Bluthardt -, gibt sie das unterschriebene Todesurteil aus der Hand und tut dies doch nur vordergründig. Denn sie weiss, dass Davison gegen Burleigh keine Chance haben wird, fordert dieser das unterzeichnete Urteil. So schiebt sie die Verantwortung einem Subalternen zu und will ihn am Ende dafür gerade noch bestrafen. Der einzige, der sie durchschaut ist der alte Talbot. „Die Gegnerin ist tot. Du hast von nun an nichts mehr zu fürchten, brauchst nichts mehr zu achten“, spricht er und geht ab.

Maria Stuart gelingt am Ende das, was ihrer Gegenspielerin versagt bleibt. Die Erfahrung der Freiheit, ganz so wie sie sich Schiller vorstellt, wenn nämlich die Angst des Irdischen von einem abfällt. Der Wahlspruch „In meinem Ende ist mein Anbeginn“, den die historische Maria Stuart für ihr Wappen gewählt hat, darf sich beim Theaterautor Schiller voll und ganz bewahrheiten. Zurück bleibt Elisabeth. Einsam, verlassen von den einst Vertrauten. Sie hat die Erfahrung dieser Freiheit nicht gemacht. Und dies ist die eigentliche Tragödie. Bravo, Barbara Frey, für diese mutige Inszenierung.

Besprechung der Aufführung am 18. September 2009.

Weitere Vorstellungen (nicht ausverkaufte) am 23., 24. und 27. September 2009, weitere im Oktober,  jeweils ab 19.30 Uhr/Schiffbau.

Dauer: 150 Minuten (keine Pause)
Regie
: Barbara Frey
Besetzung

Elisabeth, Königin von England: Carolin Conrad
Maria Stuart, Königin von Schottland: Jördis Triebel
Robert Dudley, Graf von Leicester. Frank Seppeler
Georg Talbot, Graf von Shrewsbury: Siggi Schwientek
Wilhelm Cecil, Baron von Burleigh: Lambert Hamel
Wilhelm Davison / Graf Aubespine: Jan Bluthardt
Amias Paulet, Hüter der Maria: Klaus Brömmelmeier
Mortimer, sein Neffe: Jirka Zett
Hanna Kennedy, Marias Amme: Marita Breuer

Musiker
: Claus Boesser-Ferrari, Graham F. Valentine

Im Netz
www.schauspielhaus.ch


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