Mehr Politik(en) wagen …

Ein Gespräch mit Arno Görgen und Tobias Unterhuber

Buchcover

Nicht selten galt der mehr als fragwürdige Krakeeler-Ausruf „Keep politics out of games!“ als der zu beantwortende Morast einer sich bildenden Game-Studies-Gemeinschaft Die Spielforscher Arno Görgen und Tobias Unterhuber zeigen in ihrem neuen Band nun auf, warum das noch nicht alles sein sollte. RUDOLF INDERST hat sich mit ihnen genau darüber unterhalten.

Rudolf Inderst (RI): Lieber Herr Görgen, lieber Herr Unterhuber, schön, dass Sie die Zeit gefunden haben für einen kurzen Gedankenaustausch. Mögen Sie sich bitte unseren Leser:innen zunächst kurz vorstellen? 

Arno Görgen (AG): Ich bin Kultur- und Medienhistoriker/-wissenschaftler, habe bis 2022 an der HKB Bern im Projekt Horror-Games-Politiks mitgewirkt und bin derzeit angestellt im Projekt Confederatio Ludens. Swiss History of Games, Play and Game Design 1968-2000, worin es um die Umstände geht, innerhalb derer in der Schweiz Games entwickelt wurden. Kurz: Welche Schweizer Spiele gibt es und warum? Nebenher beschäftige ich mich in meiner Forschung viel u.a. mit politischer Ideengeschichte, Systemtheorie, Medikalisierung und Games, und Wissenschafts- und Krankheitsdarstellungen im Computerspiel.

Arno Görgen

Tobias Unterhuber (TU): Ich bin Medienkulturwissenschaftler mit Schwerpunkt Literatur und Spiele. Ich bin seit 2018 Post-Doc an der Uni Innsbruck. Gemeinsam mit meinen großartigen Kolleg*innen habe ich hier in den letzten Jahren die Forschungsgruppe Game Studies aufgebaut, für die ich auch die Co-Leitung übernommen habe. Während meines Studiums in München habe ich PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung mitbegründet und bin nun auch seit ein paar Jahren einer ihrer Herausgeber. Ich habe mich inzwischen sehr breit mit Spielen befasst, in den letzten Jahren immer stärker auf die Medienkulturgeschichte des Spiels, den Komplex Arbeit und Spiel sowie die Fachgeschichte der Game Studies konzentriert.

(RI): Wir wollen heute natürlich auch über Ihr kürzlich bei transcript erschienenes Buch Politiken des (digitalen) Spiels sprechen. Wie kamen Sie zu dem Thema und wie sind Sie dieses anschließend angegangen? Was war für Sie das Reizvolle?   

(AG): Hervorgegangen ist der Band aus einer lapidaren Twitter-Konversation im Sommer 2021, als ich anmerkte, dass es endlich eines einführenden Sammelbandes bedürfe, der nicht wie oft im deutschsprachigen Raum üblich Politik IN digitalen Spielen betrachtet, sondern ausschließlich auf die politischen Kontexte von Games fokussiert. Tobias ist glücklicherweise gleich auf diesen Honigtopf angesprungen (lacht).

Ich sehe auch in meiner eigenen Forschung immer das Defizit, dass die Produktionsbedingungen von Games, politisch, sozial, kulturell etc., entweder kaum rekonstruierbar sind und/oder keine Rolle in den weiteren Analysen spielen. Dabei ist es unheimlich wichtig, wie das Studio demografisch zusammengesetzt ist, wieviel Geld für eine Entwicklung zur Verfügung steht, wo das Geld herkommt, wie die Arbeitsbedingungen sind, welche Regeln für Spiele gelten, wie sie distribuiert werden, wer an Games teilhaben darf – ich könnte diese Liste an Teilaspekten ewig fortsetzen.

Ich sehe auch in meiner eigenen Forschung immer das Defizit, dass die Produktionsbedingungen von Games, politisch, sozial, kulturell etc., entweder kaum rekonstruierbar sind und/oder keine Rolle in den weiteren Analysen spielen.

Besonders reizvoll fand ich die unterschiedlichen Formate, die wir in den Band integrieren konnten: In Analysen konnten sich die Beitragenden in aller Tiefe mit einem Thema auseinandersetzen, während Miszellen als kurze Schlaglichter gedacht waren. Hier sollte lediglich deskriptiv ein Thema angerissen werden und zur weiteren Beschäftigung einladen. Mich hat besonders gefreut, dass wir hierfür auch einige Werkstattberichte von Entwickler:innen und Künstler:innen aufnehmen konnten, die ein wenig Licht in die Blackbox der Spielentwicklung bringen konnten. Schließlich konnten wir in Interviews mit unterschiedlichen wichtigen gesellschaftlichen Protagonisten aus Politik, Gesellschaft, Forschung und Spielindustrie auf direkte Tuchfühlung gehen und deren ureigenste Perspektiven und Interessenslagen einbringen. 

(TU): Weswegen ich damals auch sofort auf Twitter in Arnos Falle lief, ist, dass mich schon seit längerem die diskursiven Zusammenhänge, in denen Spiele verhandelt werden, interessieren. Die Definitionshoheit, was ein Spiel ist, wie Spiele gesellschaftlich und kulturell bewertet werden, wie sie von anderen Phänomenen abgegrenzt werden, wer die Macht besitzt, solche Einordnungen auszusprechen und wie dies vonstattengeht, beschäftigen mich sehr. Gerade auch in der historischen Dimension. Wenn wir ins 18. Jahrhundert blicken, sehen wir eine plötzliche Explosion an Auseinandersetzungen mit Spiel. Die Frage, ob es nun eine ernste oder eine unernste Betätigung sei, ob es zweckhaft oder selbstzweckhaft sei, formt unser Spielverständnis und jeder Diskursivierung von Spielen bis heute. Ich sehe es immer noch als großes Desiderat der Game Studies stärker historisch zu arbeiten und dies meint nicht nur, die Geschichte der Computerspiele aufzuarbeiten, sondern auch die historischen, diskursiven, materiellen und vor allem epistemischen Voraussetzungen, für das was wir heute als Spiel und als Computerspiel verstehen in den Blick zu nehmen. Es geht mir also um die Bedingung der Möglichkeit von Computerspielen.

Tobias Unterhuber

Zudem halte ich es für extrem wichtig, kritische Perspektiven auf die Computerspielindustrie und -kultur voranzutreiben, wie sie zum Beispiel von Nick Dyer-Witheford und Greig de Peuter mit ihrem Buch Games of Empire. Global Capitalism and Video Games vorgelegt haben, weiterzuführen. Spiele sind eben nicht nur in ihren Inhalten, sondern bereits in ihren möglichen Formen und Strukturen, in ihren Produktions- und Rezeptionsbedingungen mit vielen anderen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen verknüpft und damit inhärent politisch. Wie auch Arno freut es mich, dass wir mit der Konzeption des Sammelbandes nicht nur eine Vielzahl an Themen, sondern an Blickwinkeln miteinbeziehen konnten. Dies trägt der Komplexität des Gegenstand Rechnung und schafft hoffentlich auch für Lesende aus verschiedenen Feldern und Kontexten Zugangsmöglichkeiten.

(RI): Lassen Sie uns am Ende des Gesprächs einmal in die Meta-Glaskugel blicken – was erwarten Sie sich von der digitalen Spielforschung in den nächsten fünf bis zehn Jahren?   

(AG): Ich erwarte leider nicht all zu viel, wünschen würde ich mir allerdings eine fortschreitende Institutionalisierung des Querschnittsbereiches Game Studies, eine Anerkennung des Faches durch eine Ausweitung der Drittmittelförderung und den Mut der Forscher:innen, nicht lediglich Praxisorientierung, sondern auch mehr Theorie und kritische Reflexion in der akademischen Auseinandersetzung mit Games zu fördern.

(TU): Ich erwarte mir viel. Die Institutionalisierung des Forschungsfeldes ist gerade im deutschsprachigen Raum immer noch kaum vorhanden, aber es ist ein Thema das aktuell breiter und wirksamer angegangen wird. Lange Zeit ging man wohl davon aus, dass sich diese Etablierung schon von alleine ergeben wird und mit jedem gescheiterten Versuch brach oft auch der Kontakt zu einer ganzen Generation an Forschenden ab, so dass die Nachkommenden immer wieder von vorne anfangen mussten. Deshalb verstehe ich die Förderung junger Wissenschaftler*innen und auch deren Selbstorganisation (wie zum Beispiel die Ludobande) als ein zentrales Element für die Anerkennung der Game Studies. Es ermöglicht Traditionsbildung, es macht das Thema Spiele dauerhaft präsent an den Unis und bringt diese auch hoffentlich zum Handeln.

Lange Zeit ging man wohl davon aus, dass sich diese Etablierung schon von alleine ergeben wird und mit jedem gescheiterten Versuch brach oft auch der Kontakt zu einer ganzen Generation an Forschenden ab, so dass die Nachkommenden immer wieder von vorne anfangen mussten.

Ich mache mir keine Illusionen, dass der Weg zu einer umfassenden Institutionalisierung noch schwierig werden wird, aber ich bin guter Dinger und voller Zuversicht. Und so sollten wir als Game Studies auch auftreten, wenn wir eine Institutionalisierung wollen: Selbstbewusst, überzeugt von der Bedeutung des Feldes und nicht in der ewigen Verteidigungshaltung verharren, die wir uns so angewöhnt haben.

(RI): Vielen Dank für das Gespräch und für die Zukunft alles Gute! 





Rudolf Inderst

*1978 in München. Lebte in (und ♥️) Kopenhagen. Er leitet mit Norman Volkmann das Ressort "Digitale Spiele" hier bei Nahaufnahmen. Liebt Genrefilmkost, Hörspiele und Podcasts. Spielt Videospiele seit etwa 40 Jahren. Lehrt als Professor für Game Design an der IU Internationale Hochschule. Einmal pro Woche bringt er den Newsletter DiGRA D-A-CH Game Studies Watchlist heraus.

1 thoughts on “Mehr Politik(en) wagen …

  • 30.10.2023 um 10:25 Uhr
    Permalink

    Sympathische Leute!

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