Durch die Hölle. Kein Zurück. Des Erlebnisberichts 2. Teil.

Durch die Hölle. Kein Zurück. Des Erlebnisberichts 2. Teil.

„Sasori“ von Shunya Ito und Yasuharu Hasebe

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Was bisher geschah: Dunkelheit hatte sich über die Redaktionsräume von nahaufnahmen.ch gelegt. In einem Anfall dämonischer Tobsucht verschloss Chefredakteur Lukas Hunziker die Türen vor seinen besten Pferden im Kritikerstall, Alexander und Christof, Christof und Alexander. Umherirrend in einer ihnen feindselig gesonnenen Stadt und einem tragischen und sinnentleerten Schicksal als Ex-Kritiker verwahrlosten Alexander und Christof zusehends und näherten sich immer mehr auch äusserlich dem Dreck an, als der sie sich fühlten.

Von Alexander Sigrist und Christof Zurschmitten.

Schliesslich wurden sie von den Vertretern rechter Ordnung an- und aufgegriffen und in ein dunkles Verlies geworfen, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gab… Aus Stunden wurden Tage, aus Tagen Monate, aus Monaten Ewigkeiten, in denen Alexander und Christof ununterbrochenem Missbrauch und Pein ausgesetzt waren. In einer glücklichen Fügung des Schicksals aber entkamen sie ihrer Zelle und nutzten die neu gewonnene Freiheit, um sich einen Raum zu erobern, der mit einem TV- und DVD-Gerät ausgerüstet war. Hier verbarrikadierten sie sich vor dem Schlagstöcken und Bluthunden der Wächter und gaben ihrem Leben den Sinn zurück, der ihm so lange verwehrt geblieben war: Sie schauten sich endlich wieder Filme an! die ersten beiden Teile der „Sasori“-Trilogie an, bis schliesslich die Türe gesprengt wurde und Alexander und Christof, Christof und Alexander in einer Tränengasschwade verschwanden…

…und während über ihren Köpfen Hunde kläfften und heisere Stimmen Befehle bellten, krochen sie, beflügelt von neuem Lebensmut, auf allen Vieren am Tumult vorbei. Über all dem Aufruhr war vergessen worden, die Gefängnispforten zu schliessen, und Alexander und Christof wanden sich, mit der Anmut giftiger Schlangen, an allen Gefahren vorbei nach draussen, ins Licht! wo sie zu rennen begannen, als wäre der Chefredakteur selbst hinter ihnen her. So eroberten sich Christof und Alexander, Alexander und Christof, schliesslich die Freiheit zurück, um die sie so lange betrogen worden waren. Durch brackiges Wasser wateten sie, durch undurchdringliche Wälder führte ihr Weg, bis sie, gehetzt und geschunden, aber immer noch beseelt von einem glühenden Lebensfunken, schliesslich ankamen bei einem alten Bauernhaus. Ein einziger Donner war ihr Poltern an die schwere Türe, die ihnen schliesslich auch geöffnet wurde. Christof und Alexander stellten sich nicht vor, bedanken sich nicht, sondern stürmten an den eingeschüchterten Bewohner vorbei (ein einziges Fauchen von Christof, ein Brüllen von Alexander liessen sie zurückschrecken), hinein ins Wohnzimmer… wo nichts stand, ein nierenförmiges Clubtischchen, das ja, ein Bücherregal, schon, eine geblümte Polstergruppe, all das, nur: In der Nische an der Wand war nur mehr ein heller Fleck, der noch verriet, das hier einst das Wichtige, das Einzige gestanden haben musste… tausend Beteuerungen waren Alexander und Christof nicht genug, sie tobten, sie verwüsteten, und liessen sich schliesslich sagen, dass alle Fernseh- und DVD-Geräte konfisziert worden seien, von der Regierung, zum Schutz der Bevölkerung vor schädlichen Einflüssen, es sei nicht lange her, und…
Den Rest hörten Christof und Alexander nicht, sie waren bereits wieder nach draussen gestürmt, über staubige Felder, hin zum nächsten Haus, in die nächste Stadt, robbten durch U-Bahnschächte, stürmten Luxuswohnungen, Elektrogeschäfte, wo sich überall dieselbe Szene wiederholte… als die Erkenntnis ihnen endlich dämmerte, sackten Christof und Alexander, Alexander und Christof in sich zusammen, wie ausgelöscht, wie ausgeknipst, und ausgeschaltet und verharrten lange in diesem Zustand. Schliesslich aber kamen sie wieder zur Besinnung, ein Augenlid zuckte, der Herzschlag setzte wieder ein, und Alexander sprach die folgenschweren Worte: „Es ist klar, was zu tun ist. Uns bleibt keine Wahl.“ Christof stimmte zu, und Alexander und Christof, Christof und Alexander, machten sich daran, einen Plan zu entwickeln. Es müsste möglich sein; sie kannten die Sicherheitsvorkehrungen schliesslich, sie kannten der Rhythmus der Wächter, und, schliesslich, wenn sie einmal hatten ausbrechen können, wieso sollte es da nicht auch in umgekehrter Richtung möglich sein?
Und so geschah es tatsächlich: Christof und Alexander entwendeten die Schaufel eines buckeligen Totengräbers, weitab vor der Stadt, und schickten ihn mit einem Spatenstich in eines seiner frisch ausgehobenen Gräber. Zurück führte der Weg, über Felder, durch Wälder und Gewässer, und sie begannen zu graben, zu schnaufen, zu schwitzen, doch was war schon diese Mühsal, nach all den Strapazen, die sie innerhalb der Gefägnismauern erlebt hatten?! Und dann, eines Nachts, war es so weit – ein letztes Mal fuhr die Schaufel in die Erde, Dreck rieselte auf sie herab, und sie standen im Innenhof des Gefängnisses. Wieselgleich, wie ein Skorpion im Sand, schlichen sie an den Wächtern vorbei, räumten aus dem Weg, was aus dem Weg zu räumen war, und kamen schliesslich wieder dort an, wo sie vor so langer, viel zu langer Zeit Glückseligkeit durchlebt hatten.

Mit einiger Zufriedenheit besahen sich Christof und Alexander, Alexander und Christof den Raum, den sie sich ein weiteres Mal erobert hatten. Nicht viel hatte sich geändert, der Boden war vielleicht einmal gesaugt worden, doch noch immer stand da der Fernseher, verheissungsvoll, noch immer blubberte die Kaffeemaschine vor sich hin und gab eine teerartige, nicht allzu übel riechende Flüssigkeit von sich. Ja, Christof und Alexander, Alexander und Christof, Gefangene 701a und 701b, waren wieder da. Bereit zu neuen Schandtaten. Bereit für Sasori 3 und 4. Bereit für alles.

A: Na, dann schmeiss das Dingens mal rein.
sasori2Alexander warf Christof eine DVD mit dem klingenden Namen Sasori – Den of the Beast zu. Christof besah sich das Cover einen Moment lang träumerisch, bevor er tief Luft holte und zu reden begann (während er nebenher vor dem DVD-Player rumkrabbelte und die DVD einlegte):

C: Sasori 3. Wieder von Shun’ya Ito inszeniert und das bereits 1973, also kein Jahr nach den ersten beiden Teilen. Wieder mit Meiko Kaji in der Hauptrolle.. Never change a winning team, wie es so schön heisst.
A: Will heissen: Mehr Sleaze! Mehr Brüste! Mehr Schnecken! Die Regel der Fortsetzung: mehr, mehr, mehr!
C: Nein, nein. Will heissen: Mehr Tiefgang. Mehr Reife. Mehr Aussage. Mehr Arthouse.

In der Zwischenzeit war der Silberling angelaufen, rotierte fröhlich summend im Player und das Menu wurde heraufbeschworen. Dann wieder: das wohlige Gefühl in den Bäuchen von Christof und Alexander, das wohlige Fortsetzungs-Gefühl. Sasori war wieder da. Alles würde gut werden. Also: Play!

A: Hmm, kennen wir irgendwie aus dem zweiten Teil. Nur wurde der Gefängnisgang mit einer U-Bahn ausgetauscht. Olle.
C: Und wieder liegst du falsch. Das ist keine Repetition des Bestehenden, sondern eine Analogiesetzung, eine Aufnahme der Vergangenheit und gleichwohl die Verheissung…
A: Schnauze, da passiert was! Pause. Blut spritzt auf der Mattscheibe. Hellas, der Arm ist ab. Das ist meine Sasori! Und jetzt, jetzt rennt sie… Mann, das ist mal ein Bild für die Götter, ein Bild für die Ewigkeit: Sasori rennt mit abgetrenntem Arm an ihren Handschellen durch die Stadt. Das, mein lieber Christof, ist Sleaze. Brutal, dreckig und auf fiese Art verdammt lustig.

Christof setzte dazu an, etwas zu sagen, doch wurde er brutalstens von Alexander unterbrochen.

A: Und jetzt sag nicht, du willst behaupten, dass hier Freud wieder im Spiel ist. Der Arm also als Phallussymbol, die Armabtrennung als symbolische Kastration, blabla. Wehe!
C: Auch wenn ich mit Freuden verfolge, wie sich dein analytischer Scharfsinn geschärft hat: Wollte ich gar nicht.
A: Ah. Aha. Dann ist ja gut.

Die Szene wechselt und der geneigte Zuschauer betrachtet zwei menschliche Wesen beim Liebesspiel. Er oben, sie unten, doch keine Freude liegt im Spiel, vielmehr scheint die Frau abwesend, ihr Blick starr auf die Decke gerichtet. Auf eine Eidechse.

C: Da, da, da! Welch eine Bildsprache, welch ein Genie! Die Eidechse, während dem Liebesspiel, das ihr offensichtlich nicht gefällt.
A: Äh, was?
C: Eidechsen haben die Eigenart, dass ihnen schnell mal der Schwanz abfällt!
A: Was?
C: Eine Analogie zum Wunsch der armen Frau, die unten liegen muss und die Penetration über sich ergehen lassen muss: der Wunsch, der Mann möge eine Eidechse sein.
A: Was?
C: Der Wunsch dem Manne möge, analog zur Eidechse, der Schwanz abfallen!

Eine lange Pause entfaltete sich zwischen Christof und Alexander.

A: Na. Das ist ja mal abartig. Schwanz abfallen. Uäää…

Wieder wechselte die Szene und entführte den Zuschauer dieses Mal in einen Rotlichtbezirk.

C: Ha! Und wieder schlägt er zu. Kein Gefängnis mehr, sondern ein Rotlichtbezirk. Die kommerzialisierte Ausbeutung, Exploitation der Frau. Der Mann ist weiterhin der Oppressor, weil er das Kapital hat, denn Kapital ist Macht, Macht ist Phallus.
A: Quatsch. Ist nur der beste Ort, um möglichst viele nackte Brüste zu zeigen. Stell dir mal vor, er liesse seinen Film in einem Vorortteekränzchen spielen. Würde recht unglaubwürdig werden, wenn da alle oben ohne rumrennen… aber vielleicht trotzdem sehenswert.
C: Da passiert was! Das wird ja auf einem Friedhof Koitus betrieben…
A: Und wieder ist unsere Dame da, die sich einfach hinlegt und an die Decke starrt. Das ist ja schon fast Nekrophilie. Mit einer Lebenden. Die daliegt, als wär sie eine Leiche. Du hast Recht, der Typ ist genial. Hab noch nie eine Nekrophilie-Szene mit Lebenden gesehen.
C: Schau, Sasori ist auch da und…
A: Knabbert sie da an dem Arm rum? Sind wir jetzt bei den Zombies gelandet?
C: Na, ich denke, sie will die Handschellen loswerden.
A: Aber warum hat sie dann den Arm im Maul?
C: Phallussymbole?
A: Lässt sein Schweigen für sich sprechen

sasori3Die Geschichte um Sasori nahm ihren Lauf. Zwischendurch stand Alexander auf und sah sich im Zimmer nach etwas Essbarem um. Schliesslich fand er unter der Couch eine alte Schachtel mit kalten KFC-Überresten. Es schmeckte zwar nicht gut – aber es war fettig und nährte.

A: Was in aller Welt?
C: Uaaa!
A: Diese Sonnenbrille… das ist ja schrecklich. Folter, Folter! Warum in aller Welt hat man ihm so eine Sonnenbrille verpasst?
C: Vielleicht… um zu zeigen das männlich Unterdrücker keinen Modegeschmack haben? Warte mal, da passiert etwas Neues: Die Dame schminkt sich!
A: Und?
C: Und wieder einmal verstehst du gar nichts. Das ist eine Gesellschaftskritik. Sie ist vernichtet, am Boden zerstört, doch dann schminkt sie sich, ergo, sie setzt eine gesellschaftstaugliche Maske auf und wirkt fröhlicher. Aussage: Wir verstecken uns in der Gesellschaft hinter Masken, unser Äusseres herrscht über unser Inneres.
A: Christof: Sie ist eine Nutte. Sie muss sich schminken, damit sie gut aussieht. Warte, schau: endlich: Brüste!
C: Eine Vergewaltigung. An sich nichts Neues in der Reihe.
A: Mit einem Golfschläger?
C: Das ist neu. Und genial!
A: Genital!
C: Verstehst du nicht, es ist eine Frau, die den Schläger führt. Wieder führt der Film vor Augen, dass es nicht nur Männer sind, die die Frau ausbeuten, sondern auch Frauen. Und wieder fungiert der Golfschläger als Symbol für die Männlichkeit, doch dieses Mal auf einer neuen Ebene: Es sind nicht die Waffen, wie in den vorherigen beiden Teilen, die als Phallussymbole fungieren, sondern ein Golfschläger. Ein Symbol für Geld (da Golf ein teurer Sport ist), ergo, im dritten Teil wird ausgesagt, dass Geld männliche Macht verleiht. Quod erat demonstrandum.
A: Was?
C: Silencio! Und wieder passiert etwas, was in deinen Augen wohl nur pure zur Schau-Stellung ist.
A: Ist es auch.
C: Nein, hier wird ein Dilemma aufgeworfen. Die Dame befriedigt ihren Bruder – weil dieser schwachsinnig ist und entscheidet sich dazu, das weiterhin zu machen, obwohl sie es eigentlich nicht gut findet. Also wird folgendes Dilemma aufgeworfen: Der Trieb, auch wenn er darauf abzielt andere auszunutzen, ist nicht das Schlimme: das wissentliche Ausnutzen des Anderen ist verdammungs-, ja rächenswert, während die Taten des schwachsinnigen Bruder zwar nicht gut geheissen werden, aber verständlich gemacht.
A: Bla, bla. Hier gehts nur um Inzest. Das ist alles. Das ist Sleaze. Tabu-Brechung, im Dienste der Umsatzgenerierung.
C: Arthouse!
A: Sleaze!
C: Arthouse!
A: Déjà vu!

So breitete sich wieder Schweigen zwischen den beiden Helden aus, während der Film seinen Gang nahm. Alexander beendete in der Zwischenzeit seine KFC-Mahlzeit, während er sich überlegte, wie er Christof die M&Ms streitig machen konnte, die dieser aus unerfindlichen Gründen aus der Tasche gezaubert hatte. Doch dann passierte etwas auf der Leinwand: es wurde geblutet.

A: Das ist ja mal richtig viel Blut.
C: Jep.
A: Literweise. Und so schön gefilmt!

Doch bereits näherte sich die Geschichte ihrem Endpunkt und die Spannung konnte im Raum förmlich gespürt werden. Christof und Alexander, Alexander und Christof sahen beide gespannt auf die Mattscheibe, während Sasori ihre finale Tat abrundete. Es wurde gestorben.

A: Hab ich nur das Gefühl, oder ging Sasori diesmal etwas überlegter an die Sache ran?
C: Ja, sie hat ihre Rache richtig eingefädelt. Gutes Mädchen.
A: Irgendwie will das ja nicht so recht zum Skorpion, zum Viehischen passen. Auch wenn es brutal ist. Aber trotzdem… es ist so berechnend, so fädenzieherisch.
C: Jau, und genau hier zeigt sich die von allen Konventionen gelöste Genialität des Machers. Ito will nicht, dass wir Sasori mögen. Sie ist schon lange keine Rächerin aus reiner Notwehr mehr, sondern eine kalte, berechnende Killermaschine. Keine Identifikationsfigur, sondern ein Mahnmal.
A: Mit tollen Brüsten.

Mit diesen Worten schwang Alexander sich von der Couch und legte schliesslich den letzten Silberling ein. Bald würde ihr Lebenswerk beendet sein, dachte er. Bald würde sie alle vier Teile gesehen haben und dann würde egal sein, was mit ihnen passiert. Sollte man sie an den Galgen hängen, auf den elektrischen Stuhl setzen, es spielte keine Rolle.

C: Ah, Sasori 4. Grudge Song. Dieses Mal aber nicht von Ito inszeniert, sondern von Yasuharu Hasebe, der ausser dem vierten Teil der Sasori-Reihe nichts Nennenswertes gemacht hat. Bin ja mal gespannt, ob er einen neuen Stil in den Film gebracht hat.
A: Jepp. Hat er. Oder hatten wir schon mal vorher einen Vorspann?
C: Nein. Interessant. Vielleicht eine Anschmiegung an den Kommerz?
A: Oder vielleicht fand er die Splitscreens cool. Schau, es geht los.
C: Hmm. Irgendwie ist das anders.
A: Ja. Irgendwie hektisch gefilmt.
C: Und die Musik.
A: Fast schon ne Big Band, die da rumtrötet.

Und da war es: das Fortsetzungs-Enttäuschungs-Gefühl. War das Sasori, die da zu ihnen zurückgekommen war? Oder war es ein anderer Film, ein hektischer Film, der die Genialität der Vorgänger vermissen lies? Doch dann:

A: Alles wieder gut. Lesbensex. Nackte Weiber! Besser kann’s nicht werden.

Der Sleazefan war es genug. Nacktes Fleisch, Blut, keine Zimperlitzchen. Unter diesen Umständen liess es über den neuen Regiestil hinwegsehen. Der Arthousefan aber sass missmutig da. Wo war der Tiefgang? Die Aussage? Die abstrakten Perspektiven? Doch da – Sasori in den Händen eines Mannes, verliebt, fast schon, ihr Blick.

C: Ha, endlich! Ein Mann, der Sasori hilft. Siehst du,  Hintersinn! Nicht eine etwaig zu passierende Sexszene zwischen den beiden, sondern Bodensatz: Oppression ist eben nicht gender-spezifisch ist! Er hilft ihr, weil er selber zu den Unterdrückten gehört (hörst du den politischen Tenor raunen?).
A: Etwaige Sexszene? Na, ich hoffe doch sehr.
C: Hört er denn überhaupt zu?
A: Ja. Ja. Ja! Nur: das nicht gender-spezifische der Unterdrückung hatten wir bereits schon genug diskutiert. Repetition, ik hör dir trappsen.
C: Repetion? Repetition?! Repetition! Als ob! Hier wird hier endlich! Endlich! gezeigt, dass es nicht nur Frauen sein können, die ebenfalls männliche Gewalt ausüben, sondern Männer, die unterdrückt werden und aktiv den Unterdrückten helfen.

Alexander begab sich zur Kaffeemaschine. Das war das letzte Mal, dachte er sich, dass er mit Christof sich einen Film ansah. Zu viel Gerede. Zu wenig Gejohle. Zu wenig Leidenschaft. Der würde es noch schaffen, in einem Zombiefilm eine Parabel auf die moderne Gesellschaft zu finden. Schrecklich. Schweigend besorgte Alexander sich einen Kaffee, bevor er sich wieder vor die Mattscheibe begab. Gerade rechtzeitig, wie sich herausstellte. Die etwaige Sexszene fand statt.

A: Na, freizügig ist anders. Das hatten wir ja schon besser.
C: Und genau hier liegt Intelligenz. Dies ist das erste Mal, das wir in der Reihe freiwilligen Sex betrachten dürfen –
A: Joa, Blümchensex.
C: Genau. Aber nicht nur für die Beteiligten, auch für den Zuschauer. Alles gesittet, verdeckt, richtig brav halt, so wie guter Sex sein sollte. Keine Vergewaltigung, keine Zur-Schau-Stellung.
A: Zur-Schau-Stellung. Ob das eine Stellung aus dem Kama Sutra ist?

Zurück ins Gefängnis.

A: Endlich. Wieder im Gefängnis. Endlich, endlich.
C: Jau, und schau dir die Wärter an!
A: Ja?
C: Das sind Wärterinnen! Wieder betont der Film das nicht gender-spezifische der Gewalt. Eine Dekonstruktion des Verhältnisses zwischen Macht und Geschlecht also. Waren Teil 1 bis 3 vor allem feministisch gesinnt, so ist Teil 4 postmodern, dekonstruktiv.
A: Weisse was? Wenn’s Wärterinnen hat, dann ist das meist nur ein Vorwand für guten Lesbensex. Eine ungeschriebene Regel des Gefängnisfilms.
C: Ach ja? Und wie erklärst du dir, dass die Frauen ein Pornomagazin mit nackten Männern ansehen? Das ist eine Umdrehung der Geschlechterrollen!

So drehte sich der Silberling weiter – mit teilweise umgedrehten Geschlechterrollen, wie Christof standhaft behauptete, bevor die Geschichte wieder ihrem Endpunkt zusteuerte, einer eher unglaubwürdigen Galgenszene, gefolgt vom finalen Racheakt.

A: Sag mal, was war jetzt fies, oder?
C: Eben, wie gesagt: Sasori wird zu kalten Killermaschine.
A: Aber: Sasori war bis jetzt alles – nur nicht unmenschlich. Das eben war unmenschlich.
C: Jau. Das war vielleicht auch der Grund warum Kaji nach dem vierten Teil auch aus der Reihe ausgestiegen ist. Immerhin wurde ihre Figur mit diesem finalen Racheakt brutal umgeschrieben. Wenn vorher ihre Taten immer motiviert waren, die Frage nach Schuld, Sühne und Rache aufwarfen, so ist dieser Akt nur noch Selbstjustiz. Ein letzter Abgesang an Sasoris verlorene Menschlichkeit.

Dann wurde es still zwischen den beiden Männern, als ihnen klar wurde, dass dies nicht nur ein Abgesang auf Sasoris Menschlichkeit gewesen war, sondern auch das Ende ihres DVD-Abends. Es war vorbei, dämmerte es ihnen. Sasoris Reise hatte ein Ende gefunden. Die letzte DVD war durchgelaufen. Die fette Lady hatte gesungen.

C: Nun, was meinst du dazu?
A: Hmm. Es ist schon ein Mammutwerk, muss ich zugeben. Die vier Filme, wovon Teil 1 und Teil 2 eine stilistische Einheit bilden, während Teil 3 und Teil 4 sich ziemlich unterscheiden, diese vier Filme sind auf der einen Seite klarer Sleaze. Es wird miteinander geschlafen, gemordet, geblutet, vergewaltigt. Das ist Exploitation in Reinform und nicht jede nackte Brust, wie du das behauptest, steht im Dienst eines tieferen Sinnes. Jedoch kann man den Filmen Tiefgang nicht abstreiten. Die Filme haben Anspruch – und zwar weitaus mehr, als dass es im Genre üblich ist. Aber bei dem ganzen Arthouse-Geplänkel sollte nicht vergessen werden, dass die Sasori-Quadrologie immer noch Exploitation und Sleaze ist und deshalb nicht für zartbesaitete Gemüter. Sasori 1-4, das ist Sleaze-Arthouse – nur wer bereit ist, sich mit beidem zu befassen, wird Befriedigung aus den Filmen mitnehmen. Und du?
C: Ich brauch einen Kaffee.

The End.

Ausstattung:
Die Sasori-Box kommt im Schuber im schönen Design daher, mit derart schmückendem Beiwerk wie einem Poster (samt klärendem Essay von Tom Mes auf der Rückseite), Postkarten, und Fotoabzügen von Filmstills. Die DVDs selbst bieten eine optionale deutsche Synchronisation und Trailer für die ersten beiden Teile, für die letzten beiden nur Untertitel. Dafür sind diese mit Interviews ausgestattet.

Seit dem 7. Dezember 2008 im Handel.

Originaltitel: Joshuu sasori: Kemono-beya (Japan 1973) / Joshuu sasori: 701-gô urami-bushi (Japan 1973)
Regie: Shunya Ito / Yasuharu Hasebe
Darsteller: Meiko Kaji, Mikio Narita, Reisen Lee, Yayoi Watanabe/ Meiko Kaji, Masakazu Tamura, Yumi Kanei
Genre: Sleaze-Arthouse / Arthouse-Sleaze
Dauer: 87/89 Minuten
Bildformat: 2,35:1 (16:9)
Sprachen: Japanisch (Mono)
Untertitel: Deutsch
Audio: DD 2.0
Bonusmaterial: Trailer, schicker Schuber, Postkarten, Fotoabzüge von Filmstills, Poster, Interviews

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