„Behind The Pink Curtain“ von Jasper Sharp

Paint It Pink

Ein Blick hinter den Vorhang des Japanischen Erotikkinos

Kunst oder Kommerz? Pornographie oder Erotik? Art- oder Grindhouse? Auch nach vierzig Jahren „pinku eiga“, einer japanischen Spielart des Softsex-Films, ist die Frage nicht entschieden. Jasper Sharp hat in seinem Buch „Behind the Pink Curtain“ die Geschichte dieses Subgenres kompetent aufgearbeitet.

Von Christof Zurschmitten.

2807268983_9bdaa12a12_oWo genau die Geschichte beginnt, ist wie immer Ermessenssache. Exakt datieren kann man nur den Begriff: 1963 fand das Wort „pinku eiga“ („Pink Film“) erstmals Verwendung – die Farbe ist in Japan mit diversen einschlägigen erotischen Konnotationen belegt. Damit ist die Geschichte des Pink Films ungleich älter als das westliche Interesse an ihr, das erst Mitte der 90er-Jahre aufflammte und einen vorläufigen Höhepunkt erreichte: ein Film namens „Horny Home Tutor: Teachers Love Juice“ (bekannter allerdings als „The Glamorous Life of Sachiko Hanai“) lief anno 2005 auf zahlreichen internationalen Festivals. Die bush-kritische Farce um eine mit Superintelligenz und beachtlichen körperlichen Reizen gesegnete Nachwuchslehrerin bildet freilich nur den vorläufigen Abschluss einer wechselhaften Geschichte, die zumindest im Westen bis anhin weitgehend ungeschrieben war.

Wirklich überraschen kann das nicht, steht der angehende Historiograph doch vor faustdicken Problemen: Zu den naheliegenden Hindernissen wie der Sprachbarriere und der Nischenexistenz des Genres kommt die mangelnde Verfügbarkeit der Filme. „Pinku eigas“ wurden ursprünglich als reines Gebrauchsobjekt betrachtet und die Film-Kopien entsprechend umgehend nach Aufführung vernichtet. Und selbst heute, da der Pink Film sowohl in seiner Heimat wie auch im Westen zunehmend als (potentiell) wertvoll betrachtet wird, ist nur ein verschwindend kleiner Anteil des jährlichen Outputs hierzulande auf DVD erhältlich. Jasper Sharp, Mitbegründer der in Sachen japanisches Kino wegweisenden Website midnighteye.com, hat sich den Schwierigkeiten gestellt – mit Erfolg. Natürlich ist auch er wie jedermann auf Spekulationen angewiesen über die Qualitäten der verlorenen frühen Genre-Vertreter. Von dem, was der Nachwelt erhalten geblieben ist, vermittelt „Behind the Pink Curtain“  mittels zahlreicher Abbildungen und lebendiger Beschreibungen aber ein plastisches Bild.

Konventionalisierte Freiheiten
Sharps Definition eines „Pink Films“ lautet kurz und knapp: Ein unabhängig produzierter Film mit eindeutig sexuellem Inhalt, der auf 35mm-Film gedreht wurde mit einer (semi-)professionellen Crew und ebensolchen Darstellern. Neben diesen Grundpfeilern haben sich im Verlauf der Jahre weitere Konventionen herausgebildet, die mal mehr, mal weniger absolute Geltung hatten:

Dazu gehört das bescheidene Budget – etwa die Kosten eines PKWs -, die bescheidene Drehzeit von höchstens einer Woche, sowie die Laufzeit von ungefähr einer Stunde, die strukturiert wird durch eine Sex- und/oder Nacktszenen ca. alle zehn Minuten. Typisch für diese Szenen ist, dass sie mittels allerlei lauterer und unlauterer Tricks die Abbildung jeglicher Schambehaarung oder gar Geschlechtsteile umgehen – Resultat des japanischen Gesetzes für „Öffentliche Hygiene“, das entsprechende Bilder bis heute selbst in Hardcore-Pornos untersagt. Produziert, vertrieben und (meist im Dreierpaket) vorgeführt schliesslich werden die Filme durch eine Kette exklusiv darauf spezialisierter Unternehmen und Kinos  – vom Entwurf des Drehbuchs bis zur Uraufführung dauert es zuweilen weniger als einen Monat. Die „pinku eiga“-Industrie ist somit ein sehr effizientes, in sich geschlossenes System, das jedoch gelegentliche Ein- und Ausflüsse in das Mainstream- Studiosystem erlaubt.

Glamorous-Life-Of-Sachiko_jpg_595x325_crop_upscale_q85„The Glamorous Life of Sachiko Hanai“ (2003) von Mitsuru Meike

Entscheidend aber sind die Freiräume, die dieses auf den ersten Blick rigide System erlaubt – und letztlich sind es auch diese Freiräume, resp. die Filmemacher, die sie genutzt haben um teilweise ganz und gar einzigartige Werke zu schaffen, die im Zentrum von „Behind the Pink Curtain“ stehen.

Swinging Sixties
Das Buch setzt allerdings lange vor der Durchsetzung besagter Konventionen an und verfolgt die Frühgeschichte des japanischen Films im Allgemeinen und der Filmzensur im Besonderen. Ein Vorläufer regulärer Pink Filme findet Sharp etwa in den 50er-Jahren mit dem Genre der „ama“-Filme, die in ursprünglich dokumentarischer, später immer freier fiktionalisierter Form das Leben der weiblichen Muscheltaucher in den ruralen Küstendörfern Japans portraitierten – und dabei reichlich Gelegenheit zur Darstellung von nur spärlich bedeckter Haut hatten.

Erst in den 60ern aber installierte sich eine wirkliche Industrie mit den ersten Unternehmen, die bis heute dominierend im Pink-Sektor geblieben sind, spezialisierten Zeitschriften und der ersten Generation von Pink-Regisseuren. Inspiriert wurden sie zunächst noch primär von Gross-Studio-Produktionen wie dem mittlerweile kanonischen „Insect Woman“ (1963) von Shohei Imamura, der einflussreich werden sollte weniger wegen seiner (sehr zurückhaltenden) Nacktszenen als aufgrund seiner Beschäftigung mit Prostitution und seinem nüchternen Umgang mit Sexualität. Auch „Gate of Flesh“ (1964) von Renegade-Regisseur Seijun Suzuki („Branded to Kill“) darf als Vorbild gelten, ist in seinem Hang zur quietschbunten Stilisierung allerdings in mancherlei Hindernis das genaue Gegenteil von Imamuras Film.

Regisseure wie Mamoru Watanabe oder Kinya Ogawa verhandelten in den ersten „pinku eigas“ unterschiedliche Themen, von traditionellen Geistergeschichten über diverse Formen der Prostitution bis hin zum Yakuza-Thriller. Ebenso sinister waren und die ersten Darstellungen von sadomasochistischen oder rein sadistischen Handlungen. Sex wurde, so Sharp, in der weit überwiegenden Zahl der frühen „pinku eigas“ zwar noch kaum explizit dargestellt, aber immer als etwas Düsteres oder Pathologisches angesehen – ein Pfad, der in den 80ern bis zum bitteren Ende weiter gegangen werden sollte und den „pinku eiga“ an den Rand des Abgrunds brachte. Einzelne Regisseure wie Shinya Yamamoto brachten allerdings bereits in dieser Frühphase des Subgenres Slapstick-Momente in die Filme ein, was sehr viel später Regisseure wie Mitsuru Meike oder Yuji Tajiri erneut als Erfolgsrezept für sich entdecken sollten.

Das Rote Jahrzehnt
Der interessanteste Aspekt des Pink Films in den 60er-Jahren ist aber zweifelsohne seine Verbandelung mit den politischen und sozialen Strömungen der Zeit, auf die „Behind the Pink Curtain“ ausführlich eingeht (Sharps historische Kontextualisierungen sind meist kurz, aber prägnant). Dass das Private politisch ist, wurde auch in studentenbewegten Kreisen in Japan erkannt. Entsprechend war die Kopplung von Sex-Filmen und politischen Aussagen quasi der nächste logische Schritt. Berühmt wurde etwa das Beispiel von Tesuji Takeshis „Black Snow“ (1965), der sich explizit gegen die amerikanische Besetzung Japans wandte und – ebenso sehr aufgrund seiner kritischen Haltung wie seiner Nacktszenen – als erster japanischen Film der Nachkriegszeit einen Prozess wegen Obszönität nach sich zog.

sex_jack„Sex Jack“ (1970) von Kôji Wakamatsu

Davon abgesehen war Takeshis eher reaktionäre Agenda kaum deckungsgleich mit den Anliegen der neuen sozialen Bewegungen. Gerade deren Vertreter fanden sich aber – mehr oder weniger freiwillig – immer wieder „portraitiert“ in Pink Filmen.

Diese hatten einige handfeste Vorteile vorzuweisen, wenn es darum ging, den Finger am Puls der Zeit zu behalten: Der kurze Produktionsprozess erlaubte es, aktuelle Bilder zwischen die üblichen Szenen zu schneiden und in kürzester Zeit im Kino zur Aufführung zu bringen. So fanden etwa Aufnahmen vom blutigen Aufeinandertreffen zwischen der als kidôtai bekannten Anti-Demonstrations- Polizeikorps ihren Weg in diverse pinku eigas, ebenso wie Aufnahmen von der gewaltsam aufgelösten Vietnam- Demonstrationen am Haneda-Flughafen 1967.

Sharp stellt die berechtigte Frage, ob Filme schon dadurch politisch werden, dass sie politische Ereignisse auf diese Art en passant mitbehandeln – eine Frage, die sich doppelt stellt angesichts des fragwürdigen Frauenbilds in vielen Pink-Filmen. Eine eindeutige Antwort gibt er nicht – überhaupt bleibt „Behind the Pink Curtain“ wohlweislich undogmatisch in der Behandlung eines Thema, dem eine polemische Herangehensweise nur schaden könnte. Allerdings räumt er ein, dass diese „politischen“ pinku eigas zumindest als Zeitgeist-Dokument einen unschätzbaren Wert zukomme.

Die lupenreinste Ausprägung finden sowohl politische Tendenzen wie auch die diese unterlaufenden Fragwürdigkeiten in den Filmen von Kôji Wakamatsu und Masao Adachi, den schillerndsten Figuren in dieser Agitprop-Stossrichtung des Pink Films. Nach Anfängen bei verschiedenen kleineren Produzenten gründete der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Wakamatsu seine eigene Firma Wakamatsu Pro – und fuhr damit Erfolge ungeahnten Ausmasses ein. Sein achtzehnter (aber lange nicht letzter) Film „Secret Acts Behind Walls“ schaffte es durch eine Reihe von Zufällen an die Berlinale 1965.

Der Film ist eine dunkle Parabel, in der ein Reihenhaus zu einem Brutkasten für sexuelle Frustrationen und Ambitionen wird – Inzucht und Mord ebenso inklusive wie ein eher kruder politischer Subtext, bei dem ein von der Atombombe Versehrter Sex im Angesicht eines Stalin-Posters hat. Zu viel für die heimischen Behörden, die im Film eine Schande für das öffentliche Bild Japans sahen und Wakamatsu entsprechend ächteten. Nichtsdestoweniger gelangten 1971 mit „Sex Jack“ und „Violated Angels“ erneut zwei Watsamatu Pro-Produktionen an ein internationales A-Klasse-Festival, dieses Mal Cannes.

Entscheidend beteiligt an diesen Filmen war Masao Adachi, dem eine ganz und gar einzigartige Laufbahn beschieden sein sollte: Im Gegensatz zu Wakamatsu kann Adachi auf eine universitäre Ausbildung zurückblicken, samt Drogen- und Demonstrationserfahrungen. Beides führte zu ersten experimentellen Filmen, die das Interesse Wakamatsus weckten und Adachi schliesslich zu einer Anstellung in dessen Produktionsfirma verhalfen. Adachi schuf mit „The Embryo Hunts in Secret“ (1966) das Skript für einen ebenso psychedelischen wie psychotischen, aufs Äusserste reduzierten Film über Misshandlung und Folter, der bis heute in verschiedenen Kreisen als ein Quäntchen ZU effizient eingeschätzt wird. Weitere Zusammenarbeiten sollten folgen, mit Filmen wie dem kaiserkritischen „Japan Assault Dark History: Blood of an Abnormal Man“ auch wieder vermehrt mit politischem Subtext – der sich auch  im Kultreisser „High School Girl Guerilla“ (1969) findet, in dem eine Gruppe barbusiger High School-Mädchen den bewaffneten Kampf aufnimmt, nur um am Ende desillusioniert das Scheitern ihres Aufstandes anerkennen zu müssen. Dass Adachi, der bei diesem Film Regie führte, nicht die Revolution an sich, sondern nur ihre inkonsequente Ausführung zu Graben tragen wollte, sollte sich später unmissverständlich herausstellen.

TheFreeloadingSexmachine-Bild05„The Strange Saga of Hiroshi the Freeloading Sex Machine“ (2005) von Yûji Tajiri

Kôji Wakamatsu und Masao Adachi machten auf dem Rückweg von ihrem Ausflug nach Cannes einen Abstecher nach Beirut. Dort trafen sie sich mit Vertretern der Japanischen Roten Armee, die den Befreiungskampf des palästinensischen Volks als Teil der Weltrevolution verstand und folglich Bande mit der PFLP geknüpft hatte. Der Aufenthalt und Adachis Bemühungen, die Ideale aus Studentenzeiten zu reaktiveren und zu fördern, resultierte in dem offen propagandistischen Dokumentarfilm „Red Army / PFLP: Declaration of World War“ (1971). Die Agitationswirkung blieb bescheiden, und so kehrte Adachi anschliessend zurück zu nur auf den ersten Blick konventionelleren Pink Filmen wie „Ecstasy of the Angels“ (1972),  in dem der Terrorismus als Thema immer präsent bleibt.

Währenddessen kam es zu dramatischen Entwicklungen innerhalb der bewaffneten Gruppierungen in und aus Japan (u. a. das berühmte Asama Berghütten-Drama), die einen generellen Kurswechsel anbahnten. Adachi vollzog diesen auch für sich persönlich, indem er 1974 nach Beirut zurückkehrte, um während Jahrzehnten im Umfeld der PFLP und der Japanischen Roten Armee zu verbleiben. Erst 1997 wurde er im Libanon festgenommen und zurück nach Japan geführt, wo er bis 2003 im Gefängnis verblieb, aber schliesslich frei gelassen wurde, da ihm keine direkte Beteiligung an bewaffneten Handlungen nachgewiesen werden konnte. Quasi als Nachtrag zu diesen politischen Irrungen und Wirrungen hat Wakamatsu kürzlich die Geschichte der Japanischen Roten Armee in seinem umstrittenen „United Red Army“ aus einer persönlichen Perspektive noch einmal Revue passieren lassen.

Der Weg zum Exzess
„Behind the Pink Curtain“ lebt – wie die Pink Industrie selbst – von derartigen exzentrischen Persönlichkeiten. Einen derart legendären Status wie Wakamatsu und Adachi konnte in den 70ern und 80ern aber kein Filmemacher mehr einnehmen. Jasper Sharps Darstellung konzentriert sich im Folgenden denn auch eher auf grössere Entwicklungen: In den 70ern ist deren wichtigste zweifelsohne der Versuch der grossen Studios, ein Stück vom zunehmend lukrativen Pink-Kuchen abzukommen: Toei machte Vorstösse mit den auf nahaufnahmen.ch bereits besprochenen Sasori-Filmen. Wichtigster Akteur war aber Nikkatsu, das von 1973-1988 eine eigene Erotik-Reihe lancierte, die von einem erheblich grösseren Budget profitierte und unter dem Namen „Roman Porno“ schliesslich zur schärfsten Konkurrenz für die traditionellen Pink-Produzenten werden sollte. Sharp widmet den entsprechenden Filmen mehrere Kapitel und bespricht in diesem Kontext auch den berühmtesten japanischen Erotik-Film überhaupt, Nagisa Oshimas skandalträchtigen „L’empire des senses“ (1976), der allerdings mit französischen Geldern entstand. Da diese Filme aufgrund ihrer radikal anderen Produktionsbedingungen nicht zum „pinku eiga“ im engeren Sinn gerechnet werden können, sollen sie an dieser Stelle aber nicht weiter interessieren.

Dennoch blieb die Major Studio-Konkurrenz nicht ohne Wirkung auf den „kleineren Bruder“. Die wohl auffälligste Entwicklung war eine zunehmende Abgrenzungsbemühung, die zu einem Verzicht auf formale und politische Experimente führte, aber dennoch immer drastischere Werken hervorbrachte: Die 70er-Jahre sahen die Entstehung und Verbreitung von WIRKLICH ausbeuterischen Genres wie den Nunsploitationfilmen (wobei es erstaunlicherweise auch in Japan vorzugsweise katholische Nonnen waren, die misshandelt wurden) oder Bondage-,  Vergewaltigungs- und Folterreissern. Die Grenzen dessen, was in Sachen Gewalt zumut- und zeigbar war, wurden im Pink-Metier immer weiter verschoben, wobei die Verbreitung von Heimvideo-Recordern und die zunehmende Konkurrenz durch die billigeren Hardcore-Video-Produktionen für einen weiteren Radikalisierungs-Schub sorgten. „Behind the Pink Curtain“ behandelt auch diese Entwicklungen mit nüchterner Distanz und hebt zu Recht zugleich mehrere bemerkenswerte Regisseure und Filme aus dieser Zeit hervor (unter ihnen Takashi Ishii mit seiner „Angel Guts“-Serie). Zudem sahen just jene Jahre des Exzesses den Aufstieg einer Reihe von Filmemachern, die ihre ersten (Assistenz-)Regieschritte  in der Pink-Branche machten und mittlerweile in der ersten Riege der Welt-Regisseure angekommen sind: Namen wie Hideo Nakata („The Ring“), Kyoshi Kurosawa („Pulse“, „Cure“) oder Ryûchi Hiroki („Vibrator“) sprechen für sich.

Der Weg aus dem Exzess
Dass die zunehmende Radikalisierung dennoch ein Irrweg war, lässt sich durch handfeste Fakten belegen: Nicht nur das Major-Studio-System befand sich Ende der 80er-Jahre in einer veritablen Krise, wofür der Bankrott von Nikkatsu den schlagendsten Beweis lieferte. Auch der „pinku eiga“ sah sich durch den explodierenden Video-Markt immer mehr in der Bedrängnis – und tatsächlich hat die ungleich teurere und umständlichere Produktion von auf Film aufgenommenen Sex-Streifen und die Verbreitung in spezialisierten Kinos etwas Anachronistisches in Zeiten von Heimvideo und Digitalisierung.

Doch der Pink Film überlebte die Krise, wozu einerseits der Boost durch die wegbrechende Roman Porno-Konkurrenz nach 1988 beitrug. Mindestens ebenso entscheidend dürfte aber das Erscheinen einer neuen Generation von Regisseuren gewesen sein, die die Weltuntergangsstimmung nützten, um in einer Nach-uns-die-Sintflut-Haltung das starre Pink-Gerüst nach allen Regeln der Kunst zu verbiegen und zu brechen. Die Filme des als shitennô oder „Vier Teufel“ bezeichneten Quartett Takahisa Zeze, Kazuhiro Sano, Hisayasu Satô und Toshiki Satô erfüllten oben skizzierten Richtwerte des Pink Films  gerade noch; alles andere aber wurde einer Frischzellenkur unterzogen. Auf der formalen Ebene griff man zu allerlei Arthouse-Gimmicks: Jump Cuts und häufige Formatwechsel, das Einreissen der Vierten Wand sowie aussergewöhnliche Kamerawinkel. Inhaltlich aber hielt wieder Düsteres, Psychologisches – und endlich wieder offen Politisches Einzug in den „pinku eiga“. Es überrascht nicht, dass die shitennô das Duo Wakamatsu/Adachi als Väter im Geist betrachten. Die Vier Teufel und ihre Nachfolger verschafften dem pinku eiga ab den 90er-Jahren einen seit Jahrzehnten nicht mehr gekannten Respekt auch unter (ausländischen) Kritikern – und neue Publikumsschichten.

Trotz Unzeitgemässheit des Pink Films endet „Behind the Pink Curtain“ deshalb mit einer Note der Hoffnung: Vieles mag sich verändert haben in den letzten vierzig Jahren; das Stammpublikum wird immer älter; der Kampf gegen die Zensur und für die künstlerische Freiheit, die politischen und ästhetischen Reibeflächen, die die bemerkenswertesten „pinku eigas“ hervorgebracht haben, mögen im 21. Jahrhundert an Bedeutung verloren haben. Doch die Industrie hat  immer wieder erstaunliches Regenerationsvermögen bewiesen – und selbst heute noch zeichnet sich der „pink film“ für einen Grossteil der japanischen Filmproduktion verantwortlich.

Selbst wenn er in absehbarer Zukunft tatsächlich untergehen sollte, bleibt ein verschwendend grosser Back-Katalog, der für das westliche Filmpublikum noch über Jahre Entdeckungen bereithalten dürfte. „Behind the Pink Curtain“ ist ein guter Kompass auf dem Weg dahin.

Jasper Sharp: Behind the Pink Curtain: The Complete History of Japanese Sex Cinema

FAB Press

348 Seiten, ca. CHF 45.50 CHF

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