NIFFF 2010 – Kritik zu „Transfer“

Zwei Seelen in meiner Brust (aber echt jetzt)

NIFFF 2010 – „Transfer“ von Damir Lukacevic

transfer

Neben viel Horror, Gore, Geistern und Vampiren war ein Film im internationalen Wettbewerb vertreten, der auch ohne visuelle Effekte und Kunstblut ziemlich fantastisch war – in beiden Bedeutungen des Wortes. In „Transfer“ bietet eine deutsche Firma alten Menschen an, ihre Persönlichkeit in den Körper eines jungen Menschen zu überführen, und ihnen so ein zweites Leben zu ermöglichen.

Von Lukas Hunziker.

Hermann und Anna geniessen eigentlich den schönsten Lebensabend, den man sich vorstellen kann: Sie leben in einem grossen, modernen Haus an einem See, haben zahlreiche Freunde und Hobbies, und lieben sich noch immer so wie bei ihrer Hochzeit. Doch das Alter macht Angst, und nichts fürchten die beiden so sehr, wie nicht gleichzeitig zu sterben. Als bei Anna Krebs im fortgeschrittenen Stadium festgestellt wird, entschliessen sich die beiden, die Dienste der Firma Mensana in Anspruch zu nehmen, welche nicht weniger verspricht als ein zweites Leben. Mensana ermöglicht es seinen Kunden, ihre Persönlichkeiten in einen jungen Körper zu transferieren, in welchem sie weiterleben können. Die ursprüngliche Persönlichkeit des jungen Körpers, also seine wahre Identität, wird dabei zwar nicht gelöscht, ist allerdings nur noch nachts während vier Stunden aktiv. „Spender“ findet die Firma vorwiegend in Drittweltländer; vor allem junge Afrikaner, die aus ärmsten Verhältnissen stammen und ihren Familien eine bessere Zukunft ermöglichen wollen, stellen sich zur Verfügung.

„Mein Gott seid ihr schwarz!“

Auch Annas und Hermanns neue Körper sind schwarz, woran sich die beiden nach dem Transfer erst noch gewöhnen müssen. Doch abgesehen von kleineren Anfangsschwierigkeiten leben sich die beiden in ihren neuen Körpern gut ein und beginnen das Leben in vollen Zügen zu geniessen. Obwohl sich ihre Freunde schwer tun zu glauben, dass die beiden jungen Schwarzen ihre alten Freunde Hermann und Anna sind, halten sie zu ihnen und das Leben geht weiter wie zuvor – nur mit anderen Spiegelbildern. Währenddessen freunden sich jedoch Apolain und Sarah, die ursprünglichen „Besitzer“ der beiden Körper“, in der nachtaktiven Phase an und erzählen sich von ihren Familien. Sarah, die sich aus Not prostituiert hatte, kann sich mit ihrem neuen Leben, dessen Tage zwar kürzer sind aber die sie dafür in vollen Zügen geniessen kann, gut abfinden. Apolain, der sich Mensana nur zur Verfügung gestellt hat, um seiner Familie aus tiefstem Elend zu helfen, machen die ethischen Implikationen des Transfers mehr zu schaffen, und so sucht er nach einem Weg, aus diesem seltsamsten aller Gefängnisse zu fliehen. Als sich die beiden schliesslich verlieben, werden die Fluchtpläne konkreter.

Meine Nase oder ihre Nase?

„Transfer“ beruht auf der Kurzgeschichte „Tausend Euro, ein Leben“ der spanischen Autorin Elia Barceló. Der Transfer der Persönlichkeit in einen anderen Körper ist ein beliebtes Motiv des Science Fiction, und  jüngst auch in „Avatar“ zu sehen. Damir Lukacevics Film ist jedoch, obwohl darin die Persönlichkeiten reicher Weisser in jene armer Schwarzer überführt werden, wesentlich weniger schwarz-weiss als „Avatar“: Obwohl Rassismus oder zumindest ethnische Vorurteile ein Thema sind, wird der Film nie zum Exploitation-Thriller, sondern stellt viel mehr die Frage nach dem Zusammenhang von Identität und Körper ins Zentrum. Wie Hermanns und Annas Freunde hat man auch als Zuschauer Mühe, die liebenswürdigen Senioren in den Körpern der jungen und attraktiven Schwarzen wiederzuerkennen. Hermann und Anna merken immer wieder, dass die Harmonie zwischen Seele und Körper, welche sie nach dem Transfer sehr schnell wiederherstellen können, für andere schlicht nicht sichtbar ist. Auch eine geliebte Person in einem neuen Körper wiederzuerkennen, ist anfangs schwierig für die beiden; bis der junge Hermann und die junge Anna miteinander schlafen, vergeht einige Zeit, und als Hermann Anna sagt: „Du hast die schönste Nase“ der Welt, fragt sich Anna zurecht, welche Nase er denn nun meint.

In Deutschland schwarze Schauspieler zu finden, die der anspruchsvollen Doppelrolle des Films gewachsen waren, stellte sich als so schwierig heraus, dass das Casting schliesslich auf England, Frankreich und Südafrika ausgeweitet wurde und man schliesslich sogar erst in der USA zwei geeignete Darsteller fand. Das B.J. Britt und Regine Nehy, welche die Hauptrollen spielen, amerikanische Schauspieler sind, merkt man dem Film aber durchaus nicht an – die Synchronisation ist perfekt gelungen und die beiden sind als altes deutsches Ehepaar in jungen schwarzen Körpern durchaus glaubhaft. Doch nicht nur bei der Synchro überzeugt „Transfer“, auch Kamera, Licht und Drehbuch sind erste Klasse. Das Ende des Films mag ein Quäntchen zu melodramatisch sein, doch insgesamt war „Transfer“ der wohl durchdachteste und abgerundetste Film im internationalen Wettbewerb des NIFFFs. Dass er das Festival ohne Preis verlassen musste, spricht nicht für die Jury, denn obwohl „Enter the Void“ visuell innovativer und beeindruckender war, hat „Transfer“ immerhin eine Geschichte zu erzählen, die mehr als nur eine Ausrede ist, um möglichst viel Sex auf die Leinwand zu bringen.

„Transfer“ erntete, obwohl er noch nicht oft zu sehen war, viel Lob von Kritikern und Publikum und hat somit gute Chancen, in die Schweizer Kinos zu kommen, auch wenn ein Startdatum noch nicht feststeht. Falls dies geschieht: Anschauen! – sonst verpassen Sie einen der besten deutschen Filme der letzten Jahre.

Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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