NIFFF: „Short Peace“

Was man sagt über Männer mit kurzen Werken

„Short Peace“ von Shuhei Morita, Katsuhiro Otomo, Goichi Suda u.a.

short peace

Vier Anime-Kurzfilme spannen zusammen mit einem Computerspiel von Goichi „51“ Suda auf einer einzigen Disc: Short Peace hat nur schon dank seines ungewöhnlichen Konzepts die Aufmerksamkeit verdient. Verdient es aber auch unsere Herzen? Wie passt das alles zusammen? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen? Nun…

Von Christof Zurschmitten.

Eier. Wer auch immer grünes Licht gegeben hat für die Finanzierung von Short Peace, hat Eier. Strausseneier. T-Rex-Eier. Vier experimentierfreudige Kurzfilme – bei Gott nicht eben das Gassenhauer-Format schlechthin – auf eine Playstation 3-Disc gepresst neben einem kurzen Spiel… wer soll das schon kaufen? Die richtige Antwort darauf lautet: Wen juckt‘s?! Tatsache ist: Short Peace existiert, entgegen aller Vernunft und kommerziellen Perspektive, und muss allein schon deshalb niemandem mehr etwas beweisen. Dass es dennoch den Beweis dafür antritt, dass der Kurzfilm als ästhetisches Labor produktiv ist wie eh und je, und immerhin noch andeutet, wie falsch vermeintliche Wahrheiten im Hinblick auf Computerspiel und Film sind, ist insofern lediglich ein Bonus. Einer freilich, den wir gerne mitnehmen.

Eine kurze Animation von Koji Morimoto stösst zum Auftakt faszinierend irisierend die Pforten auf zu psychedelischen Experimentierfeldern, auf die der Rest der Kurzfilme allerdings nur noch zögerlich nachfolgen wird. Dies ist allerdings zu verkraften, denn auch auf stabilerem Grund bietet Shuhei Morita, der Zweite im Bunde und seit seinem verblüffend virtuosen Garagenprojekt Kakurenbo – Hide and Seek (unsere Kritik) heimliches Wunderkind des Animes, noch genug: In Possessions, dem ersten „richtigen“ Beitrag von Short Peace, sucht ein Wanderer Zuflucht in einem Schrein und schliesst Bekanntschaft mit den Geistern verlassener Haushaltsgegenstände. Was klingt wie eine Mischung aus Poltergeist und Auction Hunters, ist tatsächlich der vielleicht schönste Farben- und Formenrausch, seit Satoshi Kon in Paprika ein tanzendes Tempeltor eine feiernde Parade verdrängter Dingsymbole anführen liess. Völlig zurecht oscar-nominiert, und allein schon Grund genug, Short Peace anzuschauen.

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Absolut sehenswert ist auch der Beitrag von Katsuhiro Otomo, dem Anime-Altmeister[1], der sich passenderweise vom Alten inspirieren liess: Combustible blickt zu den Emakimono, einer auf Schriftrollen verwirklichten, traditionellen japanischen Form der illustrierten Erzählung, um wortwörtlich neue Blickwinkel zu eröffnen: Otomo leiht sich von den Schriftrollen eine distanzierte, isometrische Perspektive, um einfache Geschichte von einer hoffnungslosen Liebe und den Gefahren der Feuerbekämpfung im alten Edo[2] zu zeichnen — eine Perspektive, die so einnehmend wie ungewohnt im Medium des Films ist. Eher zufällig bietet Otomo damit auch eine Anschlussmöglichkeit an das Computerspiel, dem die Iso-Perspektive schiesslich alles andere als fremd ist.

Nach diesem doppelten Höhenflug flacht Short Peace merklich ab, und zieht damit auch auch eine eher flache Assoziation nach sich: Wenn die zweite halbe Stunde „wie ein Computerspiel“ ist, dann in jener beissenden Bedeutung des Wortes, mit der Kritiker Filme gerne als Machwerk abkanzeln: Charaktere schrumpfen zusammen zu reinen Spielfiguren, die in einen mit Bombast inszenierten Konflikt geworfen werden, der kaum eine weitere Handlung neben sich duldet.

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Was nicht heissen soll, dass beide Filme nicht ihre Qualitäten hätten: Gambo etwa kommt in einer eigenwilligen Optik daher, die man „flirrend“ nennen möchte, mit körnigen Farben und sich unablässig kräuselnden Linien, die den Eindruck von skizzenhaften Aquarellen erwecken. Farewell to Weapons dagegen ist in einem recht konventionellen Anime-Stil gehalten, bietet dafür aber eine unerwartete Pointe, und, was wichtiger ist: Souveränität. Schlichte, Brot-und-Butter-Souveränität. Kommandos mögen gebellt werden, pseudo-militärischer Jargon rezitiert, irgendwo hechtet jemand hinter die Deckung, und jemand zündet einen überlebensgrossen Knaller – aber all dies geschieht nicht nur unter Ausnutzung futuristischer Waffentechnik, sondern auch des gesamten Arsenals filmischer Möglichkeiten.

Neben so versierten wie originellen Kurzfilmen wie Possessions oder Combustible ist das immer noch wenig, aber es ist, für sich allein genommen, doch gut genug. Und wenn man ihn neben den letzten Teil von Short Peace, Sudas Computerspiel Ranko Tsukigime’s Longest Day, stellt, beginnt Farewell to Weapons tatsächlich zu schillern.

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Dass im Übrigen Goichi Suda für Short Peace ausgewählt wurde, macht Sinn und ist bedauerlich. Sudas frühe Spiele, allen voran Killer 7 und No More Heroes, gehören bis heute zu den räudigsten, visuell interessantesten und rundherum LAUTESTEN Spielen nicht nur ihrer Zeit. Kein Wunder, dass ihr Ruf bis zu Otomo & Co. schallte – wer in Japan in einem Videospielladen tritt und dreimal laut die Worte „hungrig“, „wild“ und „jung“ sagt, bekommt schliesslich Sudas Telefonnummer im Spiegel zu sehen.

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Da gibt es vorerst nichts zu bedauern. Wir alte Säcke mögen zwar monieren, dass wir live dabei waren, damals, als Suda im Fernsehen das Wort „Cunt“ sagte, und heute? Heute können wir jeden verdammten regelverspottenden Schachzug der einst so unberechenbar wirkenden Nr. 51 voraussehen. (Wieder mexikanische Wrestler, 8-Bit-Flashbacks und zu kurz geratene Schulmädchen-Röcke in Ranko Tsukigime’s Longest Day? Wirklich, Goichi?) Für ein Projekt wie Short Peace fallen wir freilich kaum ins Gewicht, kann und will es doch ein Publikum erreichen, das die visuellen Ticks und Fetische Sudas tatsächlich als elektrisierend neu erleben mag.

Dass genau dieses Publikum nicht vergessen werden sollte, ist allerdings das entscheidende Problem und der Anlass des Bedauerns bei Short Peace: Bekanntlich übertönten in Sudas Spielen die Schrulligkeiten und der auf Anschlag gedrehte Meta-Kommentar seit jeher das, was man, je nach Gemütsverfassung, verstehen kann als Subversion verknöcherter Game Design-Weisheiten oder als absolute Unfähigkeit, ein „smoothes Spielerlebnis“ herzustellen. Ob Sudas Spiele gewollt oder ungewollt widerborstig sind, ist allerdings keine Frage für Neulinge. Es ist eine Frage, die sich ein Publikum stellt das die attackierten Normen verinnerlicht hat und den inneren Revoluzzer trapsen hört.

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Die Wahl Sudas führt Short Peace also in ein Dilemma: entweder zurrt es seine potentielle Zuschauerschaft auf die doch verflucht exklusive Schnittmenge von Kurzfilmen-Aficionados und Liebhaber von bilderstürmenden Computerspielen zusammen. Oder Suda wird gezwungen, an seinen Stärken vorbeizuarbeiten. Wer Eier in der Grösse der Short Peace-Macher hat, sieht verständlicherweise einer skrotumzusammenschnürenden Einengung des Zielpublikums mit Horror entgegen.

Und damit ist nahegelegt, welche Antwort Suda finden muss auf eine Serie paradoxer Fragen. (Wie entwickelt man ein Spiel, das zugleich die Stärken des Mediums repräsentiert und sich nahtlos in ein Kurzfilmprojekt einreiht? Das visuell Neues probiert und dennoch auch für Neulinge lesbar bleibt? All das mit reduzierten finanziellen Mitteln?) Die Antwort lautet: zähneknirschende Vereinfachung. Die titelgebende Heldin in Ranko Tsukigime’s Longest Day rennt, als dürfe sie den Anschluss an den Mobilmarkt nicht verpassen, in halsbrecherischer Geschwindigkeit von links nach rechts, weicht hüpfend und schlitternd einigen Hindernissen aus und räumt andere mit einem simplen Tastendruck aus dem Weg. Ist sie zu langsam, beginnt sie vorne – ein Schicksal, das allerdings leicht zu vermeiden ist, ausserhalb jedenfalls von eingesprenkelten Boss-Kämpfen, in denen Suda Suda sein darf, das Genre wechselt und damit Verwirrung und Frustration stiftet. Doch selbst mit diesen kalkulieren Rückschlägen verlängert das Spiel-Segment die Short Peace-Erfahrung um bestenfalls zwei Stunden – zu den Kurzfilmen gesellt sich also tatsächlich ein „short game“, jedenfalls wenn man seine Zeit nicht mit dem Sammeln alternativer Kostüme und anderem Tand verschwenden will. Ranko Tsukigime’s Longest Day ist, darauf läuft das Urteil mit Hochgeschwindigkeit hinaus, ein banales Spiel.

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Die ironische Ehrenrettung ist immerhin, dass Ranko, durchaus passend für den Short Peace-Kontext, ausgerechnet dort (und nur dort) interessant wird, wo es aufhört, Game zu sein: In den filmischen Zwischensequenzen. Nicht in deren Handlung, die so durchdringend WEIRD JAPAN bellt, dass Einzelheiten unmöglich zu vernehmen sind. (Auch wenn sie sich wenigstens heiser schreit im gut gemeinten Vorsatz, unbedingt zu unterhalten, weshalb man ihr den Übereifer unmöglich übel nehmen kann.) Aber doch im Stil, oder eher: in den Dutzend Stilen, die in einem Trommelfeuer von Parodien auf unterschiedliche Animetechniken die Verspieltheit des Short Peace-Projekts konsequent weiterführen.

Vor dem Hintergrund dieser Bildereruption wirkt die Optik in den spielbaren 2D-Ansichten der rennenden Heldin allerdings nur noch umso, mit Verlaub, lahmer. (Die oben abgebildete Szene einmal ausgenommen.) Doch genau hierin gelingt es Short Peace, die anfangs erwähnten Selbstverständlichkeiten nachhaltig in Frage zu stellen: Ein nicht zu unterschätzender Verdienst von Short Peace liegt nämlich darin, künftig als ultimativer Argumentverstärker herangezogen werden zu können, wenn wieder einmal ein tumbes „Spiele sind interaktiv, und darum einnehmender!“-Gepoltere widerlegt werden muss: ein Auge auf Farewell to Weapons, in dem eine vermeintlich banale „Videospiel“-Handlung in allen denkbaren Lichtreflexen auf der Leinwand explodiert, das andere Auge auf Ranko Tsukigime, die sich verzweifelt um Originalität abstrampelt und doch unvermeidlich ins Hintertreffen gerät… die Augen der Interaktivitäts-Fraktion werden sich mit Tränen füllen,  während es sehr, sehr still wird im Saal.

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Nicht, dass Short Peace jemandem dies beweisen müsste, oder irgendetwas sonst. Nicht, dass es alles richtig machen müsste, und schon gar nicht allen. Es ist, was es ist: ein Experiment, und Experimente bringen nun mal naturgemäss erfreuliche (hier sogar extrem) und eher unbrauchbare Resultate hervor. All in the game. Wie übrigens auch die Tatsache, dass Experimente wiederholbar sein müssen, um legitim zu sein. Bleibt zu hoffen, dass jemand Short Peace sieht und sich an diesen Umstand erinnern wird. Idealer Weise jemand mit Weitblick, Geld. Und Eiern.


[1] Akira lief am NIFFF ebenfalls auf Grossleinwand und hat kein Jota von der Sprengkraft eingebüsst, mit der er anno 1988 den Anime ins westliche Bewusstsein katapultierte.

[2] Short Peace und Akira liefen in der Reihe Le japon imaginaire, die zu Ehren des 750-jährigen Jubiläums der politischen Beziehungen zwischen Japan und der Schweiz programmiert wurde. Unter demselben Titel war zeitgleich im ethnologischen Museum eine Ausstellung programmiert, in der die Kunst zu sehen war, die der Leiter der damaligen ersten diplomatischen Expedition, Aimé Humbert, in Japan gesammelt hatte. Unter ihnen finden sich auch Darstellungen der Feuerwehr aus der Edo-Ära, die Otomo zum Vorbild hätten dienen können – eine wenn nicht von den NIFFF-Machern beabsichtigte, so doch willkommene Parallele.

Bereits erschienen.

Originaltitel: Short Peace (Japan 2013/2014)
Plattform: Playstation 3
Regie/Design: Koji Morimoto, Shuhei Morita, Katsuhiro Otomo, Hiroaki Ando, Hajime Katoki und Goichi Suda
Studio/Entwickler: Sunrise, Shochiku, Grasshopper Manufacture
Genre: Animationskurzfilme/Side Scrolling-Platformer/Experimental
Dauer: 68min. (Filme), cs. 120min. (Spiel)
Veröffentlicht von: Namco Bandai

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